Beipackzettel verstehen

Überforderte Ärzte?

Selten, gelegentlich oder häufig: Wie oft Nebenwirkungen auftreten können, steht in jedem Beipackzettel. Aber wissen Ärzte auch um die Bedeutung dieser Begriffe? Eine Lübecker Studie kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Völlig unspontan: Anhand des auf dem Beipackzettel aufgelisteten Nebenwirkungsprofils können Ärzte ihre Patienten in der nötigen Ruhe über die Häufigkeit von einzelnen unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufklären.

Völlig unspontan: Anhand des auf dem Beipackzettel aufgelisteten Nebenwirkungsprofils können Ärzte ihre Patienten in der nötigen Ruhe über die Häufigkeit von einzelnen unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufklären.

© Gina Sanders / fotolia.com

LÜBECK. Beipackzettel für Medikamente sind häufig für Patienten unverständlich. Sind sie es auch für niedergelassene Vertragsärzte?

Dass selbst Experten Schwierigkeiten haben, die Häufigkeit von Nebenwirkungen richtig einzuschätzen, wollen jetzt Wissenschaftler des Instituts für Medizinische Biometrie und Statistik der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein herausgefunden haben.

Ärzte, Apotheker und Juristen überschätzen ihrer Ansicht nach das Nebenwirkungsrisiko deutlich (Dtsch Arztebl Int 2013; 110(40): 669-673).

Häufigkeitsangaben zu Nebenwirkungen sind Bestandteil eines jeden Medikamentenbeipackzettels. Ein Team um Professor Andreas Ziegler, Direktor des Instituts für Medizinische Biometrie und Statistik, hat nach eigenen Angaben 600 Mediziner, 200 Apotheker und 200 Juristen zufällig ausgewählt und mit Fragebogen angeschrieben.

Die Studienteilnehmer hätten im Kontext von Nebenwirkungen angeben sollen, was es bedeutet, wenn ein Medikament "häufig", "gelegentlich" oder "selten" Nebenwirkungen hat.

Die Definitionen für sämtliche Beipackzettel hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorgegeben, und sie sind Bestandteil eines jeden Beipackzettels. So sind Nebenwirkungen "häufig", wenn Patienten sie in einem bis zu unter zehn Prozent der Fälle entwickeln.

"Gelegentlich" treten Nebenwirkungen auf, wenn sie 0,1 bis weniger als 1 Prozent der Fälle betreffen. Und "selten" sind Nebenwirkungen gemäß BfArM dann, wenn sie bei 0,01 bis unter 0,1 Prozent der Patienten auftreten.

Die Ergebnisse der Lübecker Studie waren für die Forscher nach eigener Aussage überraschend: "Nur wenige Experten haben den Begriffen ,häufig', ,gelegentlich' und ,selten' im Kontext von Nebenwirkungen den richtigen Prozentwert zugeordnet", so Andreas Ziegler.

Professor Inke König, Mitautorin der Studie, betont: "Die größten Probleme gab es beim Begriff ‚häufig‘. Hier haben Ärzte im Mittel eine Nebenwirkungsrate von 60 Prozent angegeben." "Die richtige Antwort lautet hier bis zehn Prozent, und weniger als 4 von 100 befragten Ärzten lagen dabei richtig", so König.

"Auch wenn Apotheker bei allen Begriffen am besten abgeschnitten haben, ist es überraschend, wie häufig Experten die Nebenwirkungsrisiken überschätzt haben", kommentiert Ziegler das Studienergebnis.

Bei näherer Betrachtung des Studiendesigns fällt allerdings auf, dass die Studienteilnehmer ihre Angaben spontan machen sollten. Dafür wurde ihnen zum Beispiel eine Liste mit 20 Begriffen zur Häufigkeit unterbreitet, auf der sie den jeweiligen Terminus mit einer Prozentzahl versehen sollten - ohne nachzuschlagen.

Die Studie blendet allerdings aus, dass Niedergelassene im Praxisalltag die Option haben, in der Roten Liste oder in EDV und Web den Beipackzettel und darin die Herstellerangaben zur Häufigkeit von Nebenwirkungen zu finden - dass sie also im Falle von Patientennachfragen nicht allein auf die Zuverlässigkeit ihres spontanen Erinnerungsvermögens angewiesen sind.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Realitätsfernes Memorieren

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