Tx-Prozess in Göttingen

Für jede Leber 1500 Euro

Ein früheres Vorstandsmitglied des Göttinger Uni-Klinikums widerspricht dem beim Transplantations-Prozess angeklagten Chirurgen. Experten kritisiert die ehemaligen Zahlungen von Boni in Göttingen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Weiße Fassade: Hier hat Doktor O. Boni für Lebertransplantation erhalten.

Weiße Fassade: Hier hat Doktor O. Boni für Lebertransplantation erhalten.

© Julian Stratenschulte / dpa

GÖTTINGEN. Im Prozess um den Transplantationsskandal am Göttinger Universitätsklinikum hat am Montag erstmals ein früheres Vorstandsmitglied der Göttinger Universitätsmedizin vor dem Landgericht Göttingen ausgesagt.

Die Kammer hatte als Zeugin Barbara Schulte geladen. Sie war bis Ende 2011 für den Bereich Wirtschaftsführung und Administration zuständig gewesen und hatte 2008 die Vertragsverhandlungen mit dem angeklagten Chirurgen geführt.

Ihre Aussagen stehen in deutlichem Widerspruch zu den Angaben, die dieser zu Beginn des Prozesses gemacht hatte. Dr. O. hatte damals behauptet, dass er sich gegen Bonuszahlungen für Transplantationen gewehrt habe, weil er diese für unethisch gehalten habe. Die Klinikumsleitung habe jedoch auf einer solchen Regelung bestanden.

Schulte erklärte dagegen, dass Dr. O. selbst diese Bonuszahlungen vorgeschlagen und keinerlei Bedenken dagegen geäußert habe.

Gehaltsforderung passte nicht in das normale Gefüge

Dr. O. war im Oktober 2008 von Regensburg nach Göttingen gewechselt und hatte dort die Leitung der Transplantationschirurgie übernommen. Sein Arbeitsvertrag sah vor, dass er zusätzlich zu seinem Monatsgehalt von 14.000 Euro für jede über die Mindestanzahl von 20 hinaus gehende Lebertransplantation eine Zusatzvergütung von 1500 Euro bekommen sollte.

Ein Jahr später wurden die Bonuszahlungen auf die Höchstzahl von 60 Lebertransplantationen begrenzt, so dass die maximale variable Vergütung bei 60.000 Euro jährlich lag.

Schulte erläuterte, wie es zu dieser Bonus-Regelung gekommen war. Dr. O. habe eine hohe Gehaltsforderung gestellt, die "nicht in das normale Gehaltsgefüge hineingepasst" habe.

Man habe dann über einen außertariflichen Vertrag für leitende Oberärzte verhandelt, der ein Grundgehalt und einen variablen Anteil beinhalten sollte. Dr. O. habe erst moniert, dass das Fixgehalt zu gering sei, und dann den Vorschlag gemacht, den variablen Gehaltsanteil an die Fallzahlen der Transplantationen zu koppeln.

Der damalige Vorstand sei diesem Vorschlag gefolgt, weil der Chirurg seine Überstunden und Bereitschaftsdienste nicht extra habe abrechnen dürfen. Die Bonusregelung sei als Entschädigung für dessen besonderen Zeitaufwand gedacht gewesen.

Damals habe keine Seite Einwände gegen diese Regelung erhoben, sagte Schulte: "Aus damaliger Sicht war es ein sauber und gut verhandelter Vertrag."

Nach Ablauf der Bonusregelung sank die Zahl der Transplantationen

Der Angeklagte erfüllte die Zielvorgaben, ging aber nicht darüber hinaus. Dies geht aus der Aussage eines Referenten des heutigen Klinikumsvorstandes hervor. Danach gab es bis Ende 2009 insgesamt 59 Lebertransplantationen in Göttingen, 2010 waren es dann 58. Die Bonus-Vereinbarung galt nur für zwei Jahre.

Nachdem 2011 die Regelung ausgelaufen war, sank die Zahl der Transplantationen. Bis Ende November - in dem Monat wurde Dr. O. wegen der aufgedeckten Manipulationen von seinen Aufgaben entbunden - waren es nur noch 31.

Die Expertenkommission, die im Auftrag des Klinikumsvorstandes das Lebertransplantationsprogramm untersucht hat, übt heftige Kritik an der Bonus-Regelung.

Die "ausschließliche und lineare Koppelung der variablen Vergütung" an die Zahl der Lebertransplantationen erscheine "unter Ethikgesichtspunkten problematisch", heißt es in ihrem Bericht.

Ein variabler Vergütungsanteil von über 25 Prozent der Gesamtvergütung in einem Jahr sei "eine bedeutsame Gehaltskomponente". Es sei nicht auszuschließen, dass auch dieser "erhebliche monetäre Anreiz" zu den Manipulationen und Regelverstößen beigetragen habe.

Lesen Sie dazu auch: Tx-Prozess: Mit Wodka zur Transplantation

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