Mangelnder Datenschutz bei E-Card?

FRANKFURT AM MAIN (fst). Einführung und Anwendung der künftigen elektronischen Gesundheitskarte müssen kritisch durch Bürger und Datenschutzbeauftragte begleitet werden. Das hat Professor Spiros Simitis, früherer hessischer Datenschutzbeauftragter und langjähriges Mitglied im Nationalen Ethikrat, gefordert.

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Privat und geschützt ist nach Expertenansicht bei Patientendaten im Informationszeitalter nichts mehr.

Privat und geschützt ist nach Expertenansicht bei Patientendaten im Informationszeitalter nichts mehr.

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Angesichts der demografischen Entwicklung und steigender Gesundheitskosten "müssen wir akzeptieren, dass präventive Anstrengungen in der Gesundheitsversorgung nötig sind", sagte Simitis bei einem Vortrag zum Thema "Schöne neue Gesundheitswelt - Datenschutz und präventive Gesundheitspolitik" in Frankfurt.

Die elektronische Gesundheitskarte, so Simitis, sei konzipiert "für einen offenen Kreis von potenziellen Interessenten". Damit gerät aber das zentrale Merkmal des Datenschutzes in Gefahr, das seit den 1980er Jahren in entsprechenden Gesetzen seinen Niederschlag gefunden hat: nämlich die strenge Zweckbindung bei der Sammlung von Daten.

Heute gibt es nichts mehr, was nicht gespeichert wird

So sei die Debatte um die Volkszählung in den 1980er Jahren noch von der Frage geprägt gewesen, welche Daten gespeichert werden sollen. "Heute dagegen gibt es nichts mehr, was nicht gespeichert wird", sagte Simitis - oft unter tatkräftiger Mithilfe von Kunden. "Wollen Sie Punkte sammeln", heiße es beispielsweise an der Tankstelle. Willigt der Kunde ein, würden die Konsumentenprofile für "eine offene Zahl von Zwecken gespeichert", erläuterte Simitis.

Wer alles hat Zugriff auf die UK Biobank in England?

Anschauliches Beispiel für den heutigen Umgang mit Gesundheitsdaten ist für Simitis die UK Biobank in Großbritannien. Dort startete im Jahr 2006 das in seiner Größe einmalige Biobank-Projekt. Dabei sollen in Großbritannien insgesamt 500 000 Menschen im Alter von 40 bis 69 Jahren befragt werden. Finanziert wird das 88 Millionen Euro teure Vorhaben unter anderem vom Londoner Gesundheitsministerium, dem Medical Research Council und mittels Spenden durch den Wellcome Trust. Dabei werden, so Simitis, "detaillierte Informationen über Familie und Lebensgewohnheiten, das berufliche Umfeld und die unmittelbare Umwelt abgefragt", Urin- und Blutprobe inklusive.

"Just in dem Augenblick", so erläutert der Jurist Simitis, als die Datensammlung begann, hätten zwei Gruppen Interesse angemeldet, nämlich Versicherungsgesellschaften und Sicherheitsbehörden. Durch wiederholte Befragungen über eine lange Zeit sollen Erkenntnisse über das Zusammenwirken von genetischer Ausstattung, Umwelteinflüssen, Lebenswandel und Zufall als Krankheitsursachen gewonnen werden - die Datenbasis für den präventiven Gesundheitsstaat. In einer Informationsbroschüre der UK Biobank heißt es, die Daten seien in- und ausländischen Wissenschaftlern zugänglich, "die nach neuen Behandlungsmethoden forschen".

Für Simitis ist entscheidend, ob datenschutzrechtliche Regelungen sprachlich präzise sind und eine strenge Zweckbindung der Datenerhebung festschreiben - oder ob sie viele Generalklauseln enthalten. Diese Klauseln könnten, wie beispielsweise bei Mautdaten in Deutschland geschehen, dann von Sicherheitsbehörden als Begründung genutzt werden, um Daten abzugleichen.

Für Simitis ist die Gesundheitspolitik das "kardinale Beispiel" dafür, ob es gelingt, eine Kultur des Umgangs mit Daten zu etablieren, die den Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft gerecht wird: "Denn zu einer demokratischen Gesellschaft gehört auch die Bereitschaft zum Informationsverzicht."

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