Mindestlohn in der Pflege könnte die Bereitschaft zur Qualifizierung senken

Keinen Mindestlohn, aber neue Berufsbilder für Pflegende - das empfiehlt das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) gegen den wachsenden Fachkräftemangel in der Pflege.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

Ein Mindestlohn in der Pflege, wie die Gewerkschaft verdi ihn mit 9,68 Euro pro Stunde fordert, würde aus Sicht des RWI den Trend zum Pflegekräftemangel verstärken. Es bestehe die Gefahr, dass dadurch die Lohndifferenz zwischen Hilfs- und Fachkräften und damit die Bereitschaft sinke, sich weiter zu qualifizieren, so das Institut in seinem aktuellen Pflegeheim-Rating-Report. "Vor dem Hintergrund des zu erwartenden Mangels an Fachkräften im nächsten Jahrzehnt wäre dies kontraproduktiv", heißt es dort weiter. Das RWI geht zudem davon aus, dass ein Mindestlohn in dieser Höhe einige Insolvenzen von Pflegeheimen und ambulanten Diensten zur Folge hätte.

Zwischen 1999 und 2007 stieg die Zahl der Mitarbeiter in der ambulanten und stationären Pflege laut Report um 30 Prozent, die Zahl der Pflegefachkräfte sogar um 40 Prozent. Insgesamt 67 500 Pflege-Vollzeitstellen sind bei Heimen und Diensten hinzugekommen, während 36 500 in Krankenhäusern wegfielen. Bis 2020 rechnen die Wirtschaftsforscher mit einem zusätzlichen Bedarf von 50 000 Pflegefachkräften in den Pflegeeinrichtungen.

Als dringend nötig erachten sie die Schaffung neuer Berufsbilder in der Pflege. Es "sollten Karrierepfade neu definiert werden, die Aufstiegsoptionen bieten und den Beruf attraktiver machen", so der Report. Beispielhaft wird eine "medizinische Assistenz" genannt, die einfache ärztliche Tätigkeiten übernehmen könnte. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass dazu zumindest teilweise eine Akademisierung des Pflegeberufs nötig wäre.

"Eine grundlegende Pflegereform sollte schon frühzeitig auf den absehbaren Finanzierungsengpass eingehen", so die dritte zentrale Empfehlung des Reports. Die Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die soziale Pflegeversicherung trotz Finanzkrise bis 2015 einen positiven Saldo aufweist. Die damit aufgebaute Kapitalreserve werde allerdings bis 2021 aufgezehrt sein, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung und die Pflege- und Erwerbsquoten sich nicht wesentlich ändern, warnen die Wirtschaftsforscher.

Die wichtigsten wirtschaftlichen Trends im Pflegemarkt laut RWI-Report:

  • Die Bedeutung der Pflege im Gesundheitsmarkt wächst. 1997 hatten ambulante Pflegedienste und Pflegeheime einen Anteil von 8,6 Prozent. 2007 betrug er elf Prozent am gesamten Volumen des Gesundheitsmarkts von rund 252 Milliarden Euro.
  • Der Anteil der privaten Anbieter steigt. 33 Prozent der stationär und 45 Prozent der ambulant Pflegebedürftigen wurden 2007 von privaten Einrichtungen betreut. Das entspricht jeweils einer Zunahme um zwei Prozentpunkte. Bis 2005 ist die Zahl der stationären Pflegeplätze in privater Trägerschaft seit 2001 um 47 Prozent gewachsen, in freigemeinnütziger dagegen nur um 14 Prozent.
  • Privat getragene Heime schneiden in der wirtschaftlichen Bewertung deutlich schlechter ab als andere. 16 Prozent der privaten Heime befinden sich in der roten Zone mit Insolvenzgefahr, freigemeinnützige und öffentlich-rechtliche dagegen zu rund 10 Prozent.
  • Pflegeheime sind insgesamt in besserer wirtschaftlicher Verfassung als Krankenhäuser. 85 Prozent der Heime schrieben 2007 zumindest ausgeglichene Ergebnisse, 15 Prozent schreiben rote Zahlen. Teure Heime stehen dabei nicht besser da als günstige. Die Forscher erwarten insgesamt eine Verschlechterung.
  • Das Preisniveau der Heime ist zwischen 2003 und 2007 real leicht gesunken, jedoch bestehen große Unterschiede: Heime im Osten sind billiger als im Westen, private billiger als freigemeinnützige oder öffentliche.

Ein weiteres Ergebnis: Die Betreuungsrelation hat sich leicht verbessert: Eine Pflegekraft kümmerte sich 2007 durchschnittlich um etwa vier Pflegebedürftige, 1999 hatte sie noch knapp fünf Pflegebedürftige zu versorgen. Einen Zusammenhang zwischen Preis und Qualität konnte der Report jedoch nur eingeschränkt feststellen: Prozess- und Strukturqualität scheinen mit dem Preisniveau zu wachsen, nicht unbedingt jedoch die Ergebnisqualität. Daraus ziehen die Wirtschaftsforscher eine ernüchternde Schlussfolgerung: "Offenbar gelingt es nicht, bei guten strukturellen Voraussetzungen und vermutlich besseren Prozessen auch die Ergebnisqualität zu steigern."

www.rwi-essen.de

Pflegeheim Rating Report

Dem Pflegeheim Rating Report des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen in Kooperation mit den Unternehmensberatungen ADMED und HCB liegen die amtlichen Daten aller rund 11 000 Pflegeheime in Deutschland zugrunde. Analysiert wurden fast 400 Jahresabschlüsse aus 1052 Pflegeheimen. Zudem haben die Wissenschaftler Qualitätsdaten eines Medizinischen Dienstes zu den Vergütungssätzen der Heime in Bezug gesetzt und so versucht, einen Zusammenhang zwischen Qualität und Preisniveau darzustellen. (ami)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Pflege: Teuer muss nicht gut sein

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