Big Data in der Praxis
Schlüssel für einen Paradigmenwechsel?
Wearables könnten als Therapiehelfer in naher Zukunft eine signifikante Schnittstelle zwischen Patient und Praxis einnehmen. Doch: Kommt hier der Datenschutz zu kurz?
Veröffentlicht:BERLIN. Technische Geräte für das Gesundheits-Tracking werden immer öfter von immer mehr Menschen genutzt.
Doch: Sind diese digitalen Möglichkeiten treue Assistenten oder Trojaner an unserem Körper? Um diese Problematik ging es vor Kurzem bei einer Diskussionsveranstaltung des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) in Berlin.
Dr. Franz Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Vorsitzender des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer, kritisierte dabei, dass die Diskussion über Big Data in der Medizin bisher noch ohne eine erkennbare strukturierte Zielrichtung ablaufe.
Chance für die Forschung
"Big Data wird unser gesellschaftliches Leben komplett umkrempeln. Die Digitalisierung in der Medizin erschlägt uns in ihrer Komplexität", so Bartmann. Derzeit komme man nicht mehr nach, "diese digitalisierte Medizin mit unseren analogen Verwaltungskriterien und Kommunikationsmethoden korrekt zu verwalten".
Big Data liefert nach Ansicht Bartmanns Antworten auf Fragen, die wir bislang nie gestellt haben. Die Chancen bestünden darin, neue Muster in der Entstehung von Krankheiten und in der Behandlung erkennen zu können.
Gleichzeitig würden die Wearables das klassische Verhältnis zwischen Arzt und Patient ändern: "Es ist nicht mehr der Arzt, der Daten beim Patienten erhebt, sondern der Patient bietet ihm Daten an."
Bartmann warnte aber auch , dass negative oder kritische Daten, wenn sie denn überall zur Verfügung stünden, dazu führen könnten, dass Menschen deshalb stigmatisiert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen würden.
Ministerialdirektor Oliver Schenk vom Bundesministerium für Gesundheit betonte die Notwendigkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen. "Es ist überfällig, dass wir hier endlich Fortschritte erzielen." Es gehe jetzt darum, den Dialog zu führen und Lösungen zu finden.
Schenk: "Dabei denke ich auch an die dringend notwendige Erweiterung des Kataloges abrechnungsfähiger telemedizinischer Leistungen."
Stephan Noller, der mit seinem Start-up ubirch aktuell einen Digital-Tampon namens Trackle zur Zyklusmessung entwickelt, skizzierte laut DIVSI die Zukunft der Wearables.
Heute würden sie meistens von Menschen getragen, die ihren Körper sportlich verbessern wollen oder Anhänger der totalen Selbstvermessung sind. Auf der anderen Seite stünden Nutzer mit Risikokrankheiten, bei denen Wearables in der Telemedizin zur Überwachung von Messwerten eine Rolle spielen.
Entsolidarisierung verhindern
Aktuell arbeiten Unternehmen daran, dass Wearables in den Körper eingelassen werden können.
Noller: "Wearables können im Extremfall Leben retten." Gleichzeitig warnte er vor einer Ausgrenzung der Menschen, die keine Wearables tragen und eben nicht durch gesundes Leben und Laufen die Bonuspunkte ihrer Kassen sammeln können. Solche Entsolidarisierungseffekte müssten energisch bekämpft werden.
Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar machte auf die hochproblematischen Nutzungsbestimmungen der Wearables aufmerksam. Fast alle kämen mit einem Blankoscheck auf den Markt, der den Herstellern bereits mit dem Verkauf eines Gerätes alle Nutzungsrechte an den Daten einräume.
Es sei sicher eine tolle Sache, wenn digitale Technik dabei helfe, in Fragen der Gesundheit mehr über den eigenen Körper zu erfahren. "Ich finde es jedoch genauso wichtig, dass man seine Daten-Hoheit auch dann bewahrt", forderte Schaar.
Auf Risiken der Wearables wies auch Kai Burmeister, Teamleiter Versorgung-Verträge der AOK Nordost, hin: "Wir sehen, dass diese digitalen Möglichkeiten derzeit einen Hype auslösen und die Menge an Angeboten immer weniger überschaubar wird."