Wenn die Ampel auf Grün springt, kann der Unterricht beginnen

REUTLINGEN (dpa). Die Ampel zeigt rot. Es herrschen über 80 Dezibel Kinderlärm in der Reutlinger Kindertagesstätte Steinenberg. "Rot!", ruft ein Kind und zeigt mit dem Finger auf die Plastikampel, die gerade ein trauriges Gesicht macht. Sofort wird die Gruppe ruhiger, die Ampel schaltet erst auf Gelb (65 bis 80 Dezibel) und dann auf lächelndes Grün.

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"Das hat eine starke selbstregulatorische Wirkung bei den Kindern", freut sich Kita-Leiterin Monika Klett, die das Gerät für acht Wochen von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommen hat. "Vom Gefühl her ist es deutlich leiser geworden, und lärmempfindliche Kinder sitzen nicht mehr mit den Händen vor den Ohren da."

Lärmampeln sind ein Instrument, das Pädagogen helfen kann, die Ohren von Kindern und Mitarbeitern zu schützen, aber auch ihre Leistungen zu verbessern. "Dauerschallwerte von 85 Dezibel, ab denen man in Industriebetrieben einen Gehörschutz tragen müßte, werden selten erreicht", sagt Michael Deeg vom Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. "

Aus medizinischer Sicht wird es erst kritisch, wenn sich die Kinder ins Ohr schreien." Weitaus nachhaltiger als fiepende Ohren nach so einer Attacke sind denn auch die Lerndefizite, die Kindergarten- und Schulkinder durch einen zu hohen Lärmpegel erleiden.

Störgeräusche führen generell dazu, daß sich Zuhörer stärker konzentrieren müssen. "Bei Kindern ist die Sprachverarbeitung noch nicht so entwickelt wie bei Erwachsenen, die fehlende Silben ohne Nachzudenken ergänzen", sagt die Oldenburger Psychologin Maria Klatte. Bei lauter Umgebung bekommen Kinder nicht nur weniger mit, sie behalten auch weniger.

"Je anstrengender das reine Verstehen für Kinder ist, desto weniger Kapazität bleibt für das Behalten." In Studien wies Klattes Team nach, daß auch moderate Hintergrundgeräusche die Leistungen von Schülern um zehn bis 25 Prozent verschlechterten. Umgekehrt steigerte eine bessere Raumakustik die Ergebnisse um bis zu zehn Prozent.

Der Hall ist das Kernproblem in vielen Räumen. Richtlinien zufolge sollen Geräusche in Klassenzimmern nicht länger als eine halbe Sekunde nachhallen. Sonst überlagern sich die Silben von gesprochenen Wörtern, und Störgeräusche schaukeln sich auf. "In unseren Räumen kann man sich deshalb schlecht verstehen, alle reden zu laut", sagt etwa der Leiter des Stuttgarter Ferdinand-Porsche-Gymnasiums, Erhard Hönes. Die nackten Betonwände eines der 30 Klassenzimmer des 60er-Jahre-Baus wurden jetzt mit Schalldämmplatten ausstaffiert.

Die Raumakustik läßt sich mit porösen Absorbermaterialien wie Schäumen, Mineralwolle oder Fasern verbessern. Platten aus Gips oder Blech schlucken die störenden tiefen Frequenzen. "Die besten Ergebnisse erzielt man, wenn man beide Methoden kombiniert, etwa durch Platten mit winzigen Löchern oder durch Metallstreifen, die auf einer zehn Zentimeter Faserschicht aufliegen", sagt Roman Wack vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (Stuttgart).

Solche Maßnahmen kosten aber Geld, das die kommunalen Träger oft nicht aufbringen können. Hönes hat Hoffnung. "Wir haben Signale von der Stadt, die bereit ist, etwas zu machen." Zur landesweiten Situation hat das Kultusministerium keine Erkenntnisse.

Daß es in dem Raum in Hönes’ Schule schlagartig leiser wurde, liegt dabei nicht nur an den geschluckten Frequenzen. "Die Kinder reden automatisch leiser, weil sie sich besser verstehen", erklärt Klatte. Auch profane innenarchitektonische Veränderungen wie Filze an den Stuhlfüßen können dabei viel bewirken. Klett von der Reutlinger Kita: "Die Lärmampel hat uns deutlich gemacht, wie laut das Stühlerücken ist."

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