HINTERGRUND

Grenze für Lärmpegel? Die Ärztetag-Forderung bleibt ungehört

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Von Christian Beneker

"Schluß mit laut" - so betitelte das Bundesumweltministerium seine Maßnahmen gegen die steigende Lärmbelastung durch Geräte und Maschinen in Deutschland aus dem Jahr 2002. Allerdings kommen derzeit die Impulse, gesundheitsschädlichen Lärm zu bekämpfen, eher aus Brüssel denn aus Berlin.

Zur Zeit müht man sich in Berlin, wenigstens Lärmkarten für besonders belastete Ballungsräume zu erstellen, weil die EU dies vorschreibt. Mitte 2002 erließ Brüssel die "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm". Darin werden Lärmkarten für Ballungsräume vorgeschrieben sowie Aktionspläne, wie dem Krach zu Leibe zu rücken sei. Mitte des Jahres sollen die Karten fertig sein.

Härtere Bestimmungen in Frankreich und der Schweiz

Trotz dieses europäischen Drucks fehlen in Deutschland noch Gesetze wie in der Schweiz oder in Frankreich. Dort sind etwa Disko-Besitzer dazu verpflichtet, die Musik nicht über eine bestimmte Dezibelzahl hinaus aufzudrehen. So wenig es eine gesetzliche Beschränkung des Lärms im Freizeitbereich gibt, so sehr fehlt in Deutschland auch eine generelle Regelung zum Schutz vor Straßenlärm, von dem sich laut Umwelt-bundesamt die Bürger am meisten gestört fühlen.

"Lärmkarten sind schön und gut", meint Jens Ortscheid vom Umweltbundesamt, "die Frage ist nur, was mit Karten gewonnen ist. Wir brauchen wirksamen Schutz!" Lediglich beim Neubau einer Straße oder ihrer wesentlichen Änderung sind Immissionsschutzwerte festgelegt. Seit Jahren fordern zum Beispiel das Umweltbundesamt ebenso wie die Bundesärztekammer weitergehende Gesetze. Auch die Organisatoren des heutigen "Tages des Lärms" wünschen nachhaltig Ruhe.

Gewiß - auch die Bundesregierung leugnet nicht, daß es ständig lauter wird in Deutschland. Trotz Flüster-asphalt und leiseren Flugzeugen fühlen sich immer mehr Bundesbürger gestört vom allgegenwärtigen Rauschen, Rasseln und Dröhnen. In ganz Europa habe der Lärm im Vergleich zu den 50er Jahren um das 30-fache zugenommen, beklagt Professor Karl Karst vom Kölner Verein "Initiative Hören". Doch der Gesetzgeber lahmt.

Für Kreisstraßen ist der Bund nicht zuständig

Es existiere zwar ein Lärm-Sanierungsprogramm für bestehende Straßen des Bundes, sagt Henry Wyes, Sprecher des Bundesumweltministeriums, "aber das betrifft zum Beispiel keine Kreisstraßen, weil hier der Bund nicht zuständig ist." Wyes: "Eine Gesetzesinitiative zur Lärmreduzierung allgemein gibt es derzeit nicht."

Dabei ist längst klar: Lärm macht krank. In dem Forschungsprojekt "Chronischer Lärm als Risikofaktor für den Myokardinfarkt", die an 32 Berliner Kliniken im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin (BAuA), sowie des Umweltbundesamtes, Berlin, in Auftrag gegeben worden war, wird deutlich: Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, steigt bei Männern um etwa 30 Prozent, falls sie längere Zeit in Gebieten mit hohem Verkehrslärm wohnen, deren mittlerer Schallpegel im Außenbereich am Tag über 65 Dezibel liegt, teilte das Umweltbundesamt mit.

Viele Kinder und Jugendliche sind schon seit Jahren taub für die zarteren Laute ihrer Umwelt. "Jeder vierte Jugendliche ist schwerhörig", sagt Hans-Jörg Freese, Sprecher der Bundesärztekammer. Laut Kammer schätzen Wissenschaftler, daß ein Drittel der Jugendlichen mit spätestens 50 Jahren auf Grund von Freizeitlärm ein Hörgerät benötigen wird.

Schon jetzt leiden nach Angaben der Kammer 16 Millionen Menschen in Deutschland an Hörstörungen. Auf Betreiben der Bundesärztekammer forderte der 103. Ärztetag Spielzeughersteller, Elektronik-Industrie und Disko-Betreiber auf, wenigstens freiwillig für abschwellenden Lärm zu sorgen, wenn schon der Gesetzgeber wenig tut.

Zugleich wandten sich die Ärztetagdelegierten an die Regierung, sie möge die Unfallverhütungsvorschrift "Lärm" der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege als Grundlage einer gesetzlichen Lärmpegel-Begrenzung einführen. Konkret: den Dauerschallpegel in Diskos und aus Walkman-Kopfhörern auf 95 Dezibel begrenzen, und lärmgebende Spielzeuge bei Kinder auf 80 Dezibel.

Bisher ist nichts geschehen, im Gegenteil. In den Diskos gelte 105 Dezibel als untere Grenze, schreibt die BÄK. "Die Regierung bremst!", kritisiert denn auch Dr. Johann-Wolfgang Landsberg-Becher, Umweltberater aus Berlin.

Vielleicht können sich die Deutschen an der Schweiz ein Beispiel nehmen. Dort hat man sich "ein brachiales, aber wirkungsvolles Mittel" ausgedacht, erläutert Professor Karl Karst von der Kölner "Initiative Hören": "Ab einer bestimmten Dezibelzahl fliegt in der Disko die Sicherung raus."

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