Homocystein-Senkung ohne Nutzen in der Sekundärprävention

Die Hoffnung, durch Senkung der Homocystein-Spiegel mit B-Vitaminen / Folsäure bei Patienten mit manifesten Gefäßerkrankungen kardiovaskuläre Ereignisse verhindern zu können, schwindet weiter. Auch in der in Atlanta vorgestellten HOPE-2-Studie, der bislang größten und zeitlich längsten Studie zur Homocystein-Senkung, blieb diese Therapie den Beweis ihrer sekundärpräventiven Wirkung schuldig.

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Peter Overbeck

In vielen epidemiologischen Studien ist eine Assoziation von erhöhten Homocystein-Spiegeln und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen beobachtet worden. Mit Blick auf Homocystein sprachen deshalb einige schon vom "neuen Cholesterin".

Kein Wirkungsunterschied in HOPE-2
Endpunkt B- Vitamine/Folsäure Placebo p- Wert
kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall (primärer kombinierter Endpunkt)
18,8 %
19,8 %
0,41
  • kardiovaskulärer Tod
10,0 %
10,5 %
0,59
  • Myokardinfarkt
12,4 %
12,6 %
0,82
  • Schlaganfall
4,0 %
5,3 %
0,03
Gesamtsterblichkeit
17,0 %
17,2 %
0,94
Quelle: E. Lonn, Tabelle: Forschung und Praxis / Ärzte Zeitung
HOPE-2 ist die Studie mit der bislang größten Patientenzahl und längsten Beobachtungsdauer, in der es um die Sekundärprävention mit Folsäure ging.

Nach den beeindruckenden klinischen Erfolgen der Cholesterinsenkung mit Statinen lag es deshalb nahe, auch in der Senkung des Homocystein-Spiegels ein mögliches Rezept zur Bekämpfung kardiovaskulärer Erkrankungen zu vermuten. Folsäure und die Vitamine B6 und B12 senken den Homocystein-Spiegel.

Nutzen in der Sekundärprävention bisher in drei Studien geprüft

Um zu klären, ob die Behandlung mit diesen Vitaminen auch tatsächlich eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse zur Folge hat, sind große prospektive randomisierte Studien gestartet worden.

Wie im Falle der Cholesterinsenkung wählte man dafür zunächst gezielt diejenigen Personen aus, bei denen eine ausreichend hohe Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen zu erwarten war, um im begrenzten Zeitraum einer Studie Wirksamkeitsunterschiede überhaupt nachweisen zu können - also Patienten mit bereits bestehender Gefäßerkrankung.

Drei klinische Studien mit jeweils mehreren tausend Patienten sind inzwischen abgeschlossen worden. Leider haben sich in keiner Studie die in die Homocystein-Senkung gesetzten Erwartungen erfüllt.

In der VISP-Studie hatte die zweijährige Behandlung mit Folsäure und B-Vitaminen auch in hoher Dosierung bei Patienten mit Schlaganfall keinen Einfluß auf klinische Ereignisse.

In der letztes Jahr beim europäischen Kardiologenkongreß erstmals vorgestellten NORVIT-Studie war auch bei Patienten mit Myokardinfarkt kein klinischer Nutzen einer über dreijährigen Folsäure- und B-Vitamin-Supplementierung zu erkennen.

In der mit einer Dreier-Kombination aus Folsäure und den Vitaminen B6 und B12 behandelten Gruppe zeichnete sich als Trend sogar eine ungünstige Wirkung ab. Das Ausbleiben eines klinischen Nutzens ist sicher nicht mit mangelnden Effekten auf die Homocystein-Spiegel zu erklären, die in beiden Studien - in NORVIT zum Beispiel um 27 Prozent - deutlich gesenkt wurden.

Auch die beim ACC-Kongreß erstmals vorgestellte HOPE-2-Studie enttäuscht als bisher größte Studie alle Hoffnung darauf, mit der Vitamin-B / Folsäure-Supplementierung eine sowohl wirksame als auch preisgünstige Option für die Sekundärprävention verfügbar zu haben.

Auch in HOPE-2 kein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt

Für diese Studie sind 5522 Patienten mit manifester Gefäßerkrankung oder Diabetes ausgewählt worden. Fünf Jahre lang wurden sie entweder mit einem Vitamin-Mix (2,5 mg Folsäure, 50 mg Vitamin B6 und 1 mg Vitamin B12) oder Placebo behandelt.

Auch in dieser Studie ist in der Gruppe mit Vitamin-Supplementierung der Homocystein-Spiegel um etwa 25 Prozent und damit im erwarteten Maße gesenkt worden, berichtete Professor Eva Lonn aus Hamilton in Kanada. Erneut hatte diese Reduktion jedoch keine Auswirkungen auf die Häufigkeit klinischer Ereignisse: Die Rate für den primären kombinierten Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) war mit 18,8 Prozent (Vitamine) und 19,8 Prozent (Placebo) am Ende nicht signifikant unterschiedlich.

Auch eine mit Blick auf Einzelkomponenten des primären Endpunkts vorgenommene Analyse ergab keinen Hinweis auf einen Nutzen: Sowohl beim Endpunkt "kardiovaskulär bedingter Tod" (10,0 versus 10,5 Prozent) als auch beim Endpunkt "Myokardinfarkt" (12,4 versus 12,5 Prozent) unterschieden sich die Ereignisraten nicht signifikant.

Nur beim Endpunkt "Schlaganfall" sprach eine signifikant niedrigere Inzidenzrate zugunsten der Homocystein-Senkung (4,0 versus 5,3 Prozent). Andererseits sollte nicht verschwiegen werden, daß die Rate der Klinikeinweisungen wegen instabiler Angina pectoris mit 9,7 Prozent signifikant höher war als in der Placebo-Gruppe (7,9 Prozent).

Die bei den Ereignissen Schlaganfall und instabile Angina pectoris beobachteten Unterschiede müßten mit Vorsicht interpretiert werden, meinte Lonn. Ob es sich dabei um Zufall oder einen wirklichen Effekt handelt, müßten weitere Studien klären.

Bis dahin sei vom neutralen Hauptergebnis der HOPE-2-Studie im Kontext mit der "Gesamtheit der Evidenz" aus den vorangegangenen klinischen Studien auszugehen. Und diese Evidenz spreche gegen die These, durch Homocystein-Senkung das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Gefäßerkrankungen verringern zu können.

Auch bei Patienten mit erhöhten Homocystein-Werten kein Effekt

Inzwischen ist aus Kreisen von mit dem Thema Homocystein und Folsäure befaßten Experten auch Kritik an den bisherigen Studien geäußert worden. Moniert wird beispielsweise, daß die Auswahl der Patienten nicht nach Maßgabe ihres Homocystein-Spiegels vorgenommen wurde. Ob allerdings eine gezielte Rekrutierung von Patienten mit Hyperhomocysteinämie zu besseren Ergebnissen geführt hätte, darf bezweifelt werden.

Sowohl in der NORVIT- als auch HOPE-2-Studie ist in Subgruppen-Analysen die Wirksamkeit der Vitamin-Supplementierung in Abhängigkeit vom Homocystein-Ausgangswert der Patienten analysiert worden. Ergebnis: Egal, ob dieser Wert ober- oder unterhalb einer Schwelle von etwa 13 µmol / l lag - eine Wirkung war nicht erkennbar.

Eine Gruppe australischer und neuseeländischer Forscher hat in einer im März 2006 veröffentlichten Studie (Zoungas S. et al.) 315 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Hyperhomocysteinämie (Plasmahomocystein: 27 µmol / l) 3,6 Jahre lang mit hochdosierter Folsäure oder Placebo behandelt. Trotz Senkung des Plasmahomocysteins um 19 Prozent wurden weder die Atherosklerose-Entwicklung (Intima-Media-Dicke) noch Morbidität und Mortalität günstig beeinflußt.

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