Experten befürchten eine Chlamydien-Epidemie

LÜNEBURG (ner). In Deutschland ist wahrscheinlich eine schleichende Chlamydia-trachomatis-Epidemie unter Teenagern im Gange. Wegen der Spätfolgen der sexuell übertragbaren Infektion müssten auch Ärzte verstärkt Mädchen bereits im Grundschulalter darüber aufklären, fordert die Ärztliche Gesellschaft zu Gesundheitsförderung der Frau (ÄGGF).

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Chlamydia trachomatis gehört zu den häufigsten sexuell übertragenen Bakterien. Es gilt als Hauptverursacher der infektionsbedingten Sterilität. Epidemiologische Daten aus Deutschland fehlen. Jedoch hatte vor drei Jahren eine Berliner Studie ergeben, dass bereits jedes zehnte 17-jährige Mädchen infiziert ist. Dies bestätigt Erkenntnisse aus dem Ausland über die weite Verbreitung von Chlamydia trachomatis.

Wegen der frühen Menarche habe man heute bereits in den dritten und vierten Grundschulklassen potenziell fertile Mädchen vor sich, betonen Dr. Gisela Gille und Dr. Christine Klapp von der ÄGGF in Lüneburg in der Zeitschrift "Der Hautarzt" (58, 2007, 31). Der früheste normale Menarche-Zeitpunkt liege heute bei neun Jahren, ein Drittel aller Mädchen erlebe sie vor dem elften Lebensjahr. Entsprechend früh werden sexuelle Wünsche wach.

Junge Mädchen haben höheres Infektionsrisiko als Erwachsene

Zugleich sei das Bewusstsein für womöglich lebenslange Konsequenzen einer Chlamydien-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr bei Schülerinnen so gut wie nicht vorhanden, warnen Gille und Klapp unter Verweis auf die Berliner Studie bei 266 minderjährigen Mädchen. Über 80 Prozent der Befragten hatten noch nie etwas über Chlamydien gehört. Die Kolleginnen machen darauf aufmerksam, dass junge Mädchen sich viel eher mit Chlamydien infizieren als erwachsene Frauen.

So sei wegen der Östrogendominanz in den ersten fertilen Jahren die Portio für Mikroorganismen wesentlich anfälliger, der Zervikalkanal wegen der reichlichen Sekretproduktion für die Keime viel leichter passierbar. Nicht nur in sexueller, sondern auch in immunologischer Hinsicht sind die Mädchen noch Jungfrauen. Denn sie haben noch keinen Kontakt mit penilen Fremdkeimen gehabt. Wer zusätzlich raucht, mindert die lokale Immunkompetenz im Genitaltrakt. Weiterhin verlängert die oft unterkalorische Ernährung junger Mädchen die östrogendominierte Entwicklungsphase erheblich. Hinzu kommt, dass drei von vier Mädchen beim "ersten Mal" ältere Sexualpartner haben, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Chlamydia-trachomatis-Infektion erhöht.

Nach einer Entzündung wird jede fünfte Frau steril

Die meist zunächst symptomlose Chlamydien-Infektion geht bei 20 Prozent der Frauen in eine Entzündung der Fortpflanzungsorgane im kleinen Becken über (PID - pelvic inflammatory disease). Vier Prozent klagen über chronische Unterleibsschmerzen, jede vierte bis fünfte von ihnen kann auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen.

Erfahrungsgemäß motiviere dieses Wissen junge Mädchen mehr zum Kondomgebrauch als eine mögliche HIV-Infektion, so Gille und Klapp. Sie fordern Beratungs- und Screening-Angebote in Arztpraxen, flankiert von schulischer Sexualerziehung. Außerdem brauche man dringend epidemiologische Studien, um die tatsächliche Verbreitung der Infektion in Deutschland zu erkennen.

Ein Ärztemerkblatt zu Chlamydiose gibt es unter www.rki.de



STICHWORT

Chlamydiosen

Infektionen mit Chlamydia trachomatis gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Erkrankungen weltweit. Die Infektion geht oft ohne Beschwerden einher, kann aber trotzdem schwere Folgen bis hin zur Unfruchtbarkeit haben. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wird in Deutschland im Jahr mit etwa 300 000 genitalen Chlamydieninfektionen gerechnet. Nach seroepidemiologischen Untersuchungen sind zwei bis fünf Prozent der Frauen im sexuell aktiven Alter infiziert. In einer Berliner Studie war jedes zehnte 17-jährige Mädchen infiziert. Man schätzt, dass Chlamydien die Ursache der Hälfte aller Fälle von Sterilität sind. Jugendliche und junge Erwachsene sollten künftig besser über Infektionsrisiken informiert werden. (eb)

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