Interview

HPV-Impfung: "Wesentlich wirksamer als wir vor drei Jahren dachten"

Ende 2006 kam der erste HPV-Impfstoff auf den deutschen Markt. Inzwischen ist klar: Die Impfung ist wirksamer als noch vor Jahren gedacht. Daher sollte sie allen sexuell aktiven Frauen, besonders jungen Mädchen empfohlen werden, sagt Professor Achim Schneider im Interview.

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Illustration von HPV-Viren.

Illustration von HPV-Viren.

© Iftner

Ärzte Zeitung: Die HPV-Impfrate in Deutschland lässt mit 35 Prozent noch zu wünschen übrig. Warum?

Professor Achim Schneider: Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass die Frauen keinen ausreichenden Bezug zur HPV-induzierten Krankheit haben. Dabei geht es nicht nur um die 6000 Frauen jährlich, die Zervixkrebs bekommen. Es geht auch um die 150 000 Frauen, die wegen Krebsvorstufen, sogenannten höhergradigen zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN), eine Konisation erhalten, sowie um Millionen Frauen, die einen atypischen Pap-Abstrich haben und deswegen in Angst leben, eine Zervixbiopsie benötigen und engmaschig überwacht werden zu müssen. Zu bedenken ist, dass Frauen, die eine Konisation hatten, bei nachfolgenden Schwangerschaften ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko haben. Diese Problematik ist bei den Frauen offenbar noch nicht angekommen.

Ärzte Zeitung: Was können Kolleginnen und Kollegen dagegen tun?

Schneider: Ich kann nur raten, dass sie die Mütter junger Mädchen, die jungen Mädchen selbst, aber auch alle sexuell aktiven Frauen über die Risiken einer HPV-Infektion aufklären und zur Impfung motivieren sollen. In anderen Ländern funktioniert das schon deutlich besser. In Großbritannien etwa beträgt die Impfrate 85 Prozent, in Australien ist es ähnlich.

Prof. Achim Schneider

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Schwerpunkte:

Ärzte Zeitung: Die Schutzwirkung durch die HPV-Impfung ist aktuellen Studiendaten zufolge sogar stärker als bisher angenommen...

Schneider: Ja. Die HPV-Impfung ist nach aktuellen Studiendaten wesentlich effektiver, als wir vor drei Jahren noch dachten. Aufgrund der epidemiologischen Daten und der Verteilung der HPV-Typen nahmen wir an, dass wir CIN III, also den direkten Krebsvorläufer, durch Impfen wahrscheinlich nur in 50 bis 60 Prozent der Fälle verhindern können. Jetzt wissen wir, dass wir 93 Prozent der jungen Mädchen, die noch nicht mit HPV infiziert sind, vor CIN III schützen können, und zwar nicht nur vor HPV-16- oder -18-assoziierten Läsionen, sondern vor Krebsvorstufen durch jeglichen HPV-Typ. Das funktioniert über die Kreuzprotektion.

Ärzte Zeitung: Wie hoch ist das Krebsrisiko bei CIN III?

Schneider: Statistisch entwickeln sich - unbehandelt - etwa 50 Prozent der CIN III innerhalb von 30 Jahren zu einem invasiven Karzinom. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass jede zehnte Frau mit CIN III bereits innerhalb von ein oder zwei Jahren ein invasives Zervixkarzinom entwickelt.

Ärzte Zeitung: Warum hatten die 13 Wissenschaftler die Wirksamkeit der HPV-Impfung so scharf kritisiert?

Schneider: Sie haben die Studiendaten falsch interpretiert. In der damals zitierten Studie wurde zwar insgesamt nur eine Abnahme der CINII/III von 17 Prozent in der Verumgruppe belegt. An der Studie nahmen jedoch Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 26 Jahren teil, von denen viele bereits vor der Impfung sexuell aktiv und mit HPV infiziert waren. Außerdem war der Impferfolg bis zu diesem Zeitpunkt nur über 36 Monate dokumentiert. Mittlerweile wissen wir, dass die HPV-Impfung bei dieser Kohorte nach 48 Monaten Beobachtungszeit immerhin 30 Prozent aller CIN-II/III verhindert.

Ärzte Zeitung: Am günstigsten erscheint es nach wie vor zu sein, junge Mädchen zu impfen?

Schneider: Ja. Bei jungen Mädchen, die noch nicht sexuell aktiv waren, ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis der HPV-Impfung am besten. Aber aus medizinischer Sicht sollte man jeder Frau, die sexuell aktiv ist, zur Impfung raten. So kann etwa bei Frauen, die schon infiziert waren, eine Reinfektion verhindert werden.

Ärzte Zeitung: Wie steht es um die Verträglichkeit der HPV-Impfung?

Schneider: Mit der Einführung der Impfung wurden ungeklärte Todesfälle bei jungen Mädchen und Frauen zwischen 15 und 25 Jahren genau überwacht. Alle zwei Wochen stirbt ein Mädchen oder eine Frau aus dieser Altersgruppe in Deutschland eines unerklärlichen Todes. Seit der HPV-Impfung hat es jedoch keinen Anstieg gegeben. Bezüglich leichter und schwerer unerwünschter Wirkungen ist das Spektrum wie bei der Hepatitis-A-Impfung.

Das Gespräch führte Ingrid Kreutz

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