Verspannte Muskulatur ist oft Ursache anhaltender statischer Schmerzen

Ein Fall aus der Schmerzpraxis von Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen, Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums - Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.: Eine 25jährige Patientin wird zu uns überwiesen, die seit sieben Jahren unter zunehmenden Kreuzschmerzen leidet. Diese strahlen seit drei Monaten nun immer mehr in das rechte Bein sowie in den ganzen Rücken aus.

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    Wenn auch Sie eine interessante Kasuistik zum Thema Schmerztherapie haben, schreiben Sie uns Ihren Fall. Oder haben Sie einen besonders kniffligen Schmerzpatienten? Schildern Sie die Problematik! Wir werden sie an unsere Experten weiterleiten.

    Schreiben Sie an: Ärzte Zeitung, Ressort Medizin, Postfach 20 02 51, 63077 Offenbach oder per Email an: med@aerztezeitung.de

    Die aktuelle Situation:

    Die Patientin klagt über einen dumpfen, drückenden, ziehenden Schmerz. Der Nachtschlaf ist schmerzbedingt gestört. Wegen eines bei einer klinischen Untersuchung und im Röntgenbild festgestellten Beckentiefstandes rechts hat sie vor sechs Monaten eine Sohlenerhöhung um 1 cm erhalten. Die gleichzeitig verordnete Krankengymnastik mußte aber wegen zunehmender Schmerzen abgebrochen werden.

    Bei der Eingangsuntersuchung gibt die Patientin trotz Medikation mit Diclofenac (3 x 75 mg), Valoron® N retard (2 x 100 mg) und seit acht Wochen täglich Tetrazepam eine maximale Schmerzintensität von 7,5 auf der visuellen Analogskala (bis 10 Punkte) an.

    • Was ist nun zu tun?

    Bei Patienten mit statischen Beschwerden ist zunächst immer eine funktionelle Untersuchung nötig - und zwar unbedingt bei hüftbreitem Stand (ein Fuß muß zwischen die Beine passen). Der Befund hier: Die Taillendreiecke sind ungleich, es findet sich eine rechtskonvexe Skoliosierung der gesamten Wirbelsäule und ein Beckentiefstand rechts (Spina iliaca post. sup. (SIPS) ist rechts tiefer als links, Spina iliaca ant. sup. ist rechts höher als links).

    In Inclination zeigt sich dann ein Vorlaufphänomen rechts. Das heißt: Der hintere obere Darmbeinstachel (SIPS) rechts ist zunächst höher als links, läuft dann aber innerhalb der nächsten Minute tiefer. Es liegt somit keine echte Beinlängendifferenz vor, sondern eine Beckenverwringung, bei der durch exzentrische Rotation das Hüftgelenk rechts höher zu stehen kommt und das Becken abkippt. Außerdem weisen Spannungsphänomene des Beckens bei gebeugter Adduktion der Hüften auf Störungen des Beckenbandapparates hin.

    Die Untersuchung der Muskulatur offenbart eine Dysbalance der körperaufrichtenden Muskulatur mit aktivierten Triggerpunkten des M. quadratus lumborum rechts und M. errector trunci links sowie einem massiv aktivierten Triggerpunkt im M. piriformis rechts mit schmerzhafter Ausstrahlung in die Rückseite des rechten Oberschenkels.

    • Hier liegt die Ursache

    In der Anamnese ist ein Skiunfall mit Unterschenkelfraktur im 18. Lebensjahr auffällig. Die Behandlung war konservativ und die Heilung scheinbar problemlos. Doch nach unserer Erfahrung sind gerade solche lange zurückliegenden, oft unkomplizierten oder unauffälligen Traumen - etwa ein Treppensturz oder Fahrradunfall - häufig Auslöser einer Funktionsstörung, hier des Beckens. Typisch ist zum Beispiel auch eine Funktionsstörung der Kopfgelenke, die durch einen leichten Sturz auf den Rücken beim Skifahren ausgelöst wird. Dann schmerzt lediglich der M. sternocleidomastoideus ein paar Tage lang (seitliche Halsschmerzen). Doch dieser Muskel nimmt auf das Kopfgelenk C0 Einfluß. Und da können dann Blockierungen entstehen, die in Dysbalancen münden mit entsprechenden Muskelverkürzungen und Schmerzen.

    • Welche Therapie ist indiziert?

    Die junge Frau benötigt zunächst eine ausreichend starke Schmerztherapie mit einem Opioid wie Oxycodon. Damit wird sie erst einmal in die Lage versetzt, die physiotherapeutischen Übungen zu machen. Denn nur mit solchen Übungen können die funktionellen Störungen letztlich behoben werden.



    FAZIT

    Bei Patienten mit persistierenden statischen Schmerzen sind immer eine funktionelle Untersuchung im hüftbreiten Stand und eine Untersuchung der Muskulatur ratsam. So läßt die Inspektion von nur drei Beckenpunktpaaren (Beckenkamm, SIPS und SIAS) Aussagen über Beckenstatik und Beinlängen zu. Die funktionelle Untersuchung offenbart häufig Spannungsphänomene, die sich in der Anamnese auf zurückliegende, zunächst unauffällige Traumen zurückführen lassen. Wer sich bei betroffenen Patienten nur auf die Bildgebung verläßt, wird leicht zu einer Fehleinschätzung der Schmerzursache kommen - wie hier zu einer Beinverkürzung. Oftmals ist das Röntgen bei sorgfältiger Befunderhebung sogar überflüssig.

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