Bitterer Jahrestag für die Angehörigen der 852 Toten

STOCKHOLM (dpa). Der zehnte Jahrestag der "Estonia"-Katastrophe, der heute begangen wird, ist für viele Hinterbliebene der 852 Toten mit großer Bitterkeit verbunden. Als das furchtbarste Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte kurz nach dem Notruf "Mayday, Mayday" aus dem Funkraum der Ostseefähre am 28. September 1994 um 00.23 Uhr zur Realität wurde, kamen schnell Versprechungen von Reedern, Politikern und Aufsichtsbehörden. Aber was ist daraus geworden?

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Die Ursachen des Unglücks sollten schnell ermittelt werden, hieß es, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und die Opfer nach der Bergung des Wracks in Gräbern an Land, bei ihren Angehörigen, zur letzten Ruhe gebettet werden. Zehn Jahre später gibt es Gedenkstätten für die meist aus Schweden und Estland kommenden Opfer in Stockholm und Tallinn. Die schwedische Regierung hat aber weder ihr Versprechen zur Hebung des Schiffes noch zur Bergung der Leichen aus dem Wrack vor Finnlands Südküste eingelöst.

Auch ist kein Verantwortlicher vor Gericht dafür belangt worden, daß die Fähre mit 830 Passagieren und 159 Besatzungsmitgliedern an Bord in weniger als 30 Minuten unterging, nachdem sich das Bugvisier auf offener See geöffnet hatte und Wasser in das Autodeck geströmt war.

Nur 137 von knapp 1000 Reisenden überlebten das Unglück

137 Reisende überlebten die Unglücksfahrt des 15 556 Tonnen schweren Schiffes von Tallinn nach Stockholm bei stürmischem Herbstwind. Der estnische Kapitän der "Estonia", Arvo Andresson, gehörte nicht zu ihnen und konnte sich nicht gegen den Vorwurf verteidigen, er habe durch viel zu hohe Geschwindigkeit die Katastrophe mitverursacht. Dies und mögliche Konstruktionsfehler oder Wartungsmängel am Bugvisier der auf der deutschen Meyer-Werft in Papenburg 1980 vom Stapel gelaufenen Fähre galten beim endlosen Hickhack in diversen Kommissionen als entscheidende Ursachen der Katastrophe.

Endgültige Klarheit mit juristischen Folgen für die Verantwortlichen gibt es auch nach zehn Jahren nicht. "Beim Untergang der Titanic 1912 dauerte es auch ohne Internet, TV und sonstige Elektronik ein paar Monate, bis die Öffentlichkeit eine glaubwürdige und verbindliche Erklärung bekam", meint der schwedische Marinehistoriker Claes-Göran Wetterholm mit Blick auf das bekannteste zivile Schiffsunglück.

Waren die Ermittlungen nur eine politische Manifestation?

Nach dem Untergang der "Titanic" am 14. April 1912 mit 1513 Toten habe es einen "Willen zur Aufklärung der Allgemeinheit" gegeben, den Wetterholm nach dem Kentern der "Estonia" vermißt: "Für mich waren die Ermittlungen eher eine politische Manifestation, um den guten Ruf des gerade selbstständig gewordenen Landes Estland zu verteidigen."

Auch nach Meinung der Hinterbliebenen-Organisationen mit zeitweise mehr als 3000 Mitgliedern haben die Behörden in Estland genau wie in Schweden alles getan, um die Klärung der Ursachen unmöglich zu machen. Statt das Wrack, was technisch möglich gewesen wäre, entsprechend den Versprechungen der schwedischen Regierung zu heben, wurde es einbetoniert und per Gesetz zum Friedhof für die dort wahrscheinlich etwa 700 eingeschlossenen Opfer erklärt.

Die Erstellung der offiziellen Untersuchungsberichte in schwedisch-estnisch-finnischer Zusammenarbeit waren so stark von Fehlern, Unterlassungen, Verschleppungen, Geheimabsprachen und Gesetzesbrüchen begleitet, daß die Betroffenen ihnen kaum Glauben schenken konnten.

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