"Die Menschen haben Dramatisches erlebt"

Von Brigitte Düring Veröffentlicht:

"Die verletzten deutschen Urlauber haben grauenvolle Erlebnisse geschildert", sagt Notarzt Dr. Georg Schlenk betroffen. Er hat das Kriseninterventionsteams Leipzig (KIT Leipzig e.V.) geleitet, das sich in Thailand um deutsche Urlauber gekümmert hat. Das Team bestand aus zwei Notärzten, zwei Rettungsassistenten, zwei Seelsorgern und einer Psychotherapeutin aus Leipzig, Dresden und Jena.

Es war im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Berlin am 30. Dezember in die Krisenregion gestartet und arbeitete in Bangkok mit der Deutschen Botschaft und der Bundeswehr zusammen, die den Auftrag hatte, transportfähige Patienten mit einer fliegenden Intensivstation in die Heimat zu bringen. Seit dem Wochenende ist das Team wieder zurück.

Auch die meisten der von dem Team betreuten 300 Patienten sind inzwischen wieder zu Hause. 14 Verletzte sind noch in Krankenhäusern der thailändischen Hauptstadt. "Sie sind entweder noch nicht transportfähig oder wollten noch nicht zurück, weil sie Angehörige vermissen", erklärt Schlenk.

Schädelverletzungen und Brüche bei deutschen Touristen

Die zum Teil schwer verletzten Urlauber aus der Region Phuket und Khao Lak sind zunächst in die Hauptstadt gebracht und dort auf etwa 60 der 100 Krankenhäuser verteilt worden. "Durch die Gewalteinwirkung der Flutwelle erlitten viele Menschen extrem schlimme Verletzungen. Wir betreuten Patienten mit Schädelverletzungen, Verletzungen des Brustkorbs, Brüchen, tiefen Schnittwunden und gleichzeitigem psychischem Trauma durch Verlust von Angehörigen oder weil unklar war, ob Vermißte tot waren oder noch lebten", berichtet der Arzt.

"Viele sind am Urlaubsort unzureichend medizinisch versorgt worden. In den ersten Stunden gab es natürlich zu wenig Personal und zu wenig Material wie bei jeder Katastrophe", betont Schlenk. "Die medizinische Versorgung in Bangkok aber erfolgte auf sehr hohem Standard, da können wir nur von träumen. Die pflegerische Betreuung war exzellent. Untergebracht waren die meisten Deutschen in Einzelzimmern", zollt er Ärzten und Pflegepersonal der thailändischen Krankenhäuser höchste Anerkennung.

Auffallend viele Wundinfektionen

"Auffallend war, daß viele Patienten Wund- und Weichteilinfektionen hatten. Das könnte darauf hindeuten, daß die Keime im Strandbereich und vor Ort den Europäern mehr zusetzen als der einheimischen Bevölkerung." Da Abwässer häufig ins Meer geflutet werden, sei es nicht verwunderlich, daß Erreger in Schnitt- und Schürfwunden gelangten und sich die Patienten infizierten.

"Unsere Aufgabe bestand vor allem darin, die von der Botschaft benannten Deutschen in den Kliniken aufzusuchen, einzuschätzen, wie lange ihre Behandlung bis zur Transportfähigkeit dauern würde, sie psychologisch zu betreuen und mit Hilfe der Botschaftsangehörigen organisatorische Dinge für die Beförderung zum Airport und den Heimflug zu erledigen", erzählt Schlenk. Die ersten 45 konnten bereits am 3. Januar an Bord des Bundeswehr-Lazarettflugzeuges das Land verlassen.

"Danach hatten wir mehr Zeit für intensivere Einzelbetreuung", berichtet die Psychologin Dr. Corinna Linde, die ebenfalls Mitglied des Teams war. "Durch den psychischen Schock zeigten die Patienten akute Belastungsreaktionen. Wir hörten uns an, wenn sie uns von ihrer Auffindungssituation berichten wollten, gingen beruhigend darauf ein, drängten aber nicht, darüber zu sprechen, und haben von uns aus die Katastrophe nicht angesprochen."

"Die Menschen haben ja oft dramatische Situationen erlebt, wenn sie von der Flutwelle erfaßt, unter Wasser gedrückt, gegen Trümmer geschleudert oder regelrecht in den Wassermassen zusammen mit harten Gegenständen gequirlt wurden", sagt sie betroffen. Einige trieben stundenlang im Wasser, bevor sie gerettet wurden. Vor allem umherschleudernde Wellblechdächer verursachten schwere Schnittwunden.

Mit den Opfern sprach das Helferteam auch über den noch vermißten Partner, verlorene Kinder oder Eltern. "In diesen Fällen war es oft schwer, den Verletzten zu sagen, daß sie jetzt nichts tun können, und sie zu bewegen, auszufliegen", sagt Linde. "Wir konnten nur das Leid anhören, mittragen, mitfühlen", fügt Schlenk hinzu.

Der Einsatz des Hilfsteams aus Leipzig war notwendig und sehr sinnvoll, sind der Notarzt und die Psychologin überzeugt. Noch auf dem Flughafen konnte Linde nach der Rückkehr mit Vertretern des Auswärtigen Amtes über das Problem der langfristigen psychologischen Betreuung und Nachsorge der ständig in Bangkok lebenden etwa 1000 Deutschen sprechen. Vielen ihnen haben ebenfalls in Phuket und Umgebung Urlaub gemacht. "Auch unter ihnen sind viele, die verletzt sind oder Angehörige, Kinder, verloren haben. Es waren ja Ferien dort."

Die Psychologin ist begeistert von den Thailändern. "Es sind ganz liebevolle Menschen, die sich fast mitschuldig, verantwortlich dafür fühlen, was Ausländern in ihrem Land passiert ist. Ich war tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft bei allem, was die Menschen selbst erlebt und an Elend vor sich haben."

Für Nachbetreuung der geschockten Urlauber ist gesorgt

Ein weiterer Einsatz sei nicht geplant, sagt KIT-Koordinator Ronny Tuscherer. "Unsere Mission ist erfolgreich beendet." Für die psychologische Betreuung des Helferteams nach diesem belastenden Einsatz wie für die langfristige Nachbetreuung der Urlauber sei gesorgt. Die Heimkehrer erhielten eine zentrale Notrufnummer in Pirna. Von dort werde fachkundige Hilfe und Unterstützung für die Flutopfer in Sachsen vermittelt.

KIT Leipzig e.V. wird normalerweise vom Rettungsdienst eingesetzt bei traumatisierten Unfallopfern, zur Betreuung von Angehörigen, die jemanden durch Suizid verloren haben. Die Helfer waren auch nach dem Amoklauf in Erfurt und nach der Flut in Sachsen im Einsatz. Der Verein finanziert seine Arbeit überwiegend aus Spenden. Die Kosten des Einsatzes in Bangkok trägt die Bundesregierung.

Infos im Internet: www.kit-leipzig.de

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