Die Plagen der Welt - Eine Exkursion

Was sind Mikroben? Wie entstehen Infektionen? Wie lassen sich Seuchen kontrollieren? Viele Antworten aus der Zeit Robert Kochs sind heute immer noch gültig, wie eine Ausstellung in Jena zeigt.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Bedrohung aus dem Wasser: In einem Untersuchungs-Koffer aus der Zeit Robert Kochs sind Modelle von Krankheitserregern zu sehen

Bedrohung aus dem Wasser: In einem Untersuchungs-Koffer aus der Zeit Robert Kochs sind Modelle von Krankheitserregern zu sehen

© Ansgar Meemken

JENA. Auch wenn wir glauben, dass wir allein sind. Wir sind es nicht. Schätzungsweise einhundert Billionen Mikroben bevölkern den menschlichen Körper. Es ist eine schicksalhafte Gemeinschaft.

Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten begleiten und bedrohen den Menschen, seit es ihn gibt. "Was wir heute selbstverständlich wissen, dass nämlich Bakterien Krankheiten auslösen, ist erst seit Ende des 19. Jahrhunderts geklärt", sagt Martin Lindner.

Er ist Kurator der Ausstellung "MenschMikrobe", die im vergangenen Jahr vom Robert Koch-Institut und der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgelegt wurde. Zum 100. Todestag von Koch, dem Begründer der Bakteriologie. Die meisten seiner Zeitgenossen konnten sich kaum vorstellen, dass selbst die Volkskrankheit Tuberkulose durch winzige, unsichtbare Lebewesen ausgelöst wurde.

Jeder siebte Erwachsene starb im Kaiserreich an der Schwindsucht, deren Ursache eher dem Klima oder der Verweichlichung angelastet wurde.

"Schreckliche Plage des Menschengeschlechts"

Erst Koch gelang der Durchbruch, als er den Erreger einfärbte, sichtbar machte und methodisch eindeutig als Auslöser der Tuberkulose identifizierte. "In Zukunft wird man es also im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechts nicht mehr mit einem undefinierbaren ,Etwas‘ zu tun haben, sondern mit einem fassbaren Parasiten", berichtete Koch 1882 in Berlin.

Mit ihm begann eine neue Ära, die ohne technische Innovationen kaum möglich gewesen wäre, wie Lindner betont. Gerade mit den Erfindern aus dem Optik-Zentrum Jena habe er in engem Kontakt gestanden.

"Die Ausstellung ist jedoch nicht gedacht, um Koch pathetisch zu überhöhen", sagt Lindner. Es sei ihm bei der Konzeption um drei Fragen gegangen: Was sind Bakterien, wie entstehen Epidemien und wie sind Infektionskrankheiten kontrollierbar.

In zehn Themenstationen richtet sich die multimedial aufbereitete Ausstellung an ein breites Publikum. Über 47 000 Besucher und 650 Schulklassen unternahmen seit Beginn vor einem Jahr den multimedialen Streifzug durch die unsichtbare Welt der Mikroben.

"Für diese Welt wollen wir die Faszination wecken. Es ist keine Ausstellung über die Angst vor Krankheiten", betont Lindner, der Medizin studiert hat und heute als Wissenschaftsjournalist arbeitet. Bakterien hätten in weiten Teilen der Bevölkerung zu Unrecht ein schlechtes Ansehen.

Von 5000 Spezies, die heute bekannt sind, seien nur 200 krankheitserregend. Ohne ihre Mitwirkung im Darm wären viele komplexe Kohlenhydrate für den Menschen unverdaulich, sagt Lindner. "Es ist eine Frage der Balance. Die Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit ist fließend." Das Zusammenspiel von Bakterien und Organismus und die positiven Wechselwirkungen zu verstehen, sei heute eines der großen Forschungsfelder.

Jedes Jahr eine neue molekulare Lotterie

Ein Keim, der dem Menschen eher auf den Magen schlägt, ist ausgerechnet einer seiner ältesten Weggefährten: helicobacter pylori. Der Auslöser des Magengeschwürs habe sich bereits im Menschen eingenistet, bevor er Afrika das erste Mal verließ. "Im Schnitt taucht jedes Jahr ein neuer Erreger auf. Es ist eine Art molekulare Lotterie, ob er gefährlich ist oder harmlos", sagt Lindner.

Mittels Touchscreen können die Ausstellungsbesucher auf einem Bildschirm selbst eine epidemische Welle durch die Bevölkerung jagen. Große Pandemien wie die spanische Grippe im Nachgang des ersten Weltkriegs oder die Hongkonggrippe 1968 blieben zwar seither aus. Doch der Fall Ehec zeigt, dass die Angst vor dem unsichtbaren Feind ungebrochen ist. "Diese Angst ist heute viel stärker medialisiert", sagt Lindner.

Die rasante Ausbreitung von Informationen selbst ähnelt einer Viruserkrankung. Menschen werden von der Angst vor Ehec, Sars oder Aids infiziert. Die Utopie von der keimfreien Welt, in der jedes Bakterium ausgerottet werden kann, das den Menschen bedroht, war schon kurz nach Kochs bahnbrechenden Entdeckungen schnell ausgeträumt. "Selbst gegen die vermeintliche Wunderwaffe Penicillin tauchten binnen weniger Jahre die ersten Resistenzen auf", erklärt Lindner.

Das Wettrüsten mit den Krankheitserregern hat sich beschleunigt. "Der Erfolg der Medizin ist zugleich ihr Fluch", sagt er. Bisher haben Bakterien noch gegen jedes Medikament eine Abwehr entwickelt.

Ein einfaches Experiment in der Ausstellung mit UV-Licht zeigt, wo sich die Mikroben verstecken: Gründliches Händewaschen wird unterschätzt. Das war zur Zeit von Koch so, und ist es bis heute geblieben.

www.menschmikrobe.de - Ausstellung bis zum 10. September in der Universität Jena. Weitere Stationen sind München, Tübingen, Lübeck.

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Freiwillige Selbstverpflichtung reicht Minister nicht

Özdemir will Lebensmittelproduzenten Reduktionsziele vorgeben

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen