Mit der unspezifischen Abwehr gegen Keime

BERLIN (gvg). Die unspezifische Immunabwehr ist längst nicht so unspezifisch wie vermutet. Mindestens elf Rezeptoren sind Teil eines recht differenzierten Erkennungssystems. Drei Forscher erhielten für die Entdeckung, wie gemeldet, den Robert Koch-Preis 2004.

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Wer den Begriff Immunabwehr hört, der denkt fast automatisch an Antikörper und T-Zellen, die die Oberflächenstrukturen von Bakterien, Viren oder Pilzen hochspezifisch erkennen und die Keime neutralisieren können. Diese spezifische Abwehr ist ein umfangreiches Programm, bei dem Immunzellen mit mehreren Millionen verschiedener Oberflächenmoleküle aufwendig im Knochenmark produziert und dann selektioniert werden, um zu verhindern, daß sie körpereigene Strukturen angreifen.

Doch die spezifische Immunabwehr ist nicht alles, was Organismen an Abwehrfunktionen zur Verfügung steht. Die meisten Tiere verzichten sogar ganz auf dieses evolutionsgeschichtlich junge Werkzeug und verlassen sich stattdessen auf eine andere, viele Millionen Jahre ältere Strategie, die unspezifische Immunabwehr. Sie erkennt Mikroorganismen scheinbar wahllos und beseitigt sie auch ohne die langwierigen Aktivierungsprozesse, die für die spezifische Abwehr charakteristisch sind.

Begeisterungsausbruch stand Pate bei der Namensgebung

"Wir wissen heute, daß die unspezifische Abwehr längst nicht so unspezifisch ist, wie wir dachten", sagt Professor Bruce Beutler aus La Jolla in Kalifornien, der zusammen mit Professor Jules Hoffmann aus Straßburg und Professor Shizuo Akira aus Osaka in Japan jetzt den Robert Koch-Preis erhalten hat. Die unspezifische Abwehr verfüge vielmehr über ein recht differenziertes Erkennungssystem aus elf verschiedenen Rezeptoren, den Toll-Like-Rezeptoren oder TLR. Sie befinden sich überwiegend auf monozytären Zellen, aber auch auf Epithelzellen.

Ihren Namen erhielten die Toll-Rezeptoren, so geht zumindest die Legende, nach einem gleichlautenden Begeisterungsausruf, den die Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard äußerte, als sie das erste Mal mit diesen Strukturen konfrontiert wurde.

"Ein wichtiges Molekül, das spezifisch vom Rezeptor TLR4 erkannt wird, ist Endotoxin, das von Gram-negativen Bakterien produziert wird", so Beutler auf einer Veranstaltung aus Anlaß der Verleihung in Berlin. Endotoxin ist ein potenter Verursacher von Fieber und kann in großen Mengen zur Sepsis führen. Am bekanntesten ist die Meningokokkensepsis.

"Tatsächlich neigen Menschen mit TLR4-Mutationen eher zu einer tödlichen Meningokokkensepsis als solche mit normalem TLR4-Rezeptor", wie Beutler berichtete. Das Beispiel illustriert, daß die unspezifische Abwehr bei Menschen keineswegs ein Atavismus ist, den die Evolution gnädig übrig gelassen hat, weil er nicht störte.

Doch nicht nur bei der Abwehr von Gram-negativen Bakterien hat die unspezifische Abwehr ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Auch Viren und Pilzen hat sie einiges entgegenzusetzen. So gebe es gleich drei TLR-Typen, die Nukleinsäuren erkennen, wie Akira betonte, der an der Charakterisierung der Rezeptoren maßgeblich beteiligt war. "TLR9 etwa richtet sich gegen unmethylierte DNA, wie sie bei Viren, nicht aber bei Menschen vorkommt", so Akira. TLR7 ist hochspezifisch für virale Einzelstrang-RNA.

Antimikrobielle Peptide werden bereits synthetisch gemacht

Einmal aktiviert, stehen dem Toll-System mehrere Reaktionswege zur Verfügung. Für die rasche Neutralisierung der Eindringlinge können zum einen mikroorganismenspezifische Zellgifte produziert werden - antimikrobielle Peptide. Sie werden zunehmend auch synthetisch hergestellt und in klinischen Studien auf ihr Potential als Alternative oder Ergänzung zu einer Antibiotikatherapie überprüft (die "Ärzte Zeitung" berichtete).

Zudem wird auch das spezifische Immunsystem aktiviert, indem antigenpräsentierende Zellen stimuliert werden. Deren Funktion als Servierteller steht am Anfang der Antikörperproduktion und der Aktivierung der spezifischen T-Zellen. Und schließlich führt die Aktivierung des TLR-Systems auch zur Freisetzung breit wirkender Entzündungsbotenstoffe, darunter Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha).

An dieser Stelle sieht Beutler eine Verbindung zwischen unspezifischer Abwehr und Autoimmunkrankheiten, die zu einem völlig neuen Verständnis dieser Krankheiten führen könnte. "Wir fragen uns etwa, warum es bei der rheumatoiden Arthritis zu einer Ausschüttung von TNF-alpha kommt", so Beutler. Das sei letztlich unklar.

Seine These: Eine bisher unbekannte, körpereigene Substanz könnte das TLR-System stimulieren und die Zytokinkaskade durch TNF-alfa in Gang setzen. "Es wäre denkbar, daß sich körpereigene DNA an den TLR9-Rezeptor verirrt und die Immunreaktion einleitet", spekulierte Beutler.



FAZIT

Die unspezifische Abwehr steht bei Menschen am Anfang der Immunantwort. Neue Forschungen belegen, daß sie über ein differenziertes Rezeptorsystem verfügt, das auf körperfremde Eiweiße, Nukleinsäuren oder Lipopolysaccharide reagieren kann. Manche Forscher vermuten eine Verbindung zur Pathogenese von Autoimmunkrankheiten.

Lesen Sie dazu auch: Grundlagen für rekombinante Hepatitis-Vakzine

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