Ärzte arbeiten im Katastrophengebiet bis zum Umfallen

Viele Ärzte in der Region Fukushima sind geblieben und stehen den Menschen zur Seite. Flucht ist unter den Medizinern eher die Ausnahme, berichtet ein Japanologe von seiner Reise.

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Japanischer Helfer in der Katastrophenregion: Auch Ärzte sind geblieben, um zu helfen.

Japanischer Helfer in der Katastrophenregion: Auch Ärzte sind geblieben, um zu helfen.

© dpa

BONN (acg). Offenbar war es ihnen zu viel, die Angst vor der atomaren Belastung war zu groß. Als vor etwa vier Wochen die nukleare Strahlung in der Präfektur Fukushima drastisch anstieg, flohen viele Ärzte aus Angst vor der Radioaktivität aus dem von Erdbeben und Tsunami zerstörten Gebiet und ließen ihre Patienten zurück.

Der Vorfall erregte in Japan großes Aufsehen, war aber eine Ausnahme, schätzt Professor Reinhard Zöllner von der Universität Bonn. "Bis heute arbeiten die meisten Ärzte und Schwestern in der Region pausenlos und bis zur völligen Erschöpfung, um die Verletzten zu versorgen."

Zöllner ist Professor für Japanologie an der Universität Bonn und erst vor wenigen Tagen mit seiner aus Japan stammenden Ehefrau aus Tokio zurückgekehrt, wo er ein Forschungsfreisemester verbracht hat.

Er hat das schreckliche Erdbeben mit der Magnitude 9.0 sowie die vielen Nachbeben, den Tsunami und die nukleare Katastrophe aus nächster Nähe erlebt und weiß, was die Menschen in Japan bewegt, und wie sie mit dem Unglück umgehen.

Besonders schwierig war die Lage für Ärzte und medizinisches Fachpersonal unmittelbar nach der Katastrophe.

"Die ersten zwei oder drei Tage mussten sich Ärzte und Sanitäter erst einmal einen Überblick über die Lage verschaffen", sagt Zöllner. Mit Hubschraubern überflogen sie die schlecht zu erreichenden Buchten im Nordosten Japans. "Die Region ist zerklüftet und kleinteilig", so Zöllner.

Die Katastrophenopfer, die dringend medizinische Hilfe benötigten, hielten sich an mehr als 2000 verschiedenen Orten auf. Unterstützung bekamen die Mediziner dabei von den japanischen Selbstverteidigungskräften. "Jeder zweite japanische Soldat ist derzeit im Nordosten des Landes im Einsatz."

Krankenhäuser und Altenheime mussten evakuiert werden - bei bettlägerigen Patienten eine Herausforderung. "Es gab einige Todesfälle, weil die Patienten nicht ausreichend mit Medikamenten versorgt werden konnten oder durch Stromausfälle viele Geräte nicht am Laufen gehalten werden konnten", resümiert Zöllner.

Inzwischen habe sich die Lage jedoch wieder stabilisiert. "Die Arbeiter aus dem Atomkraftwerk werden bestmöglich versorgt", sagte er. Japan habe vor dem Hintergrund der Hiroshima-Katastrophe langjährige Erfahrung in der Strahlenmedizin.

Der 49-jährige Wissenschaftler, der seit 2008 an der Universität Bonn lehrt, zollt den japanischen Helfern hohen Respekt. Beinahe entsetzt ist er hingegen über die Reaktion aus Deutschland auf die Katastrophe. "Die Japaner sind sehr gekränkt über das Verhalten der Politik, der Medien und der Wirtschaft", echauffiert sich Zöllner.

Das Technische Hilfswerk sei zwar als eine der ersten Hilfsorganisationen überhaupt in Japan angekommen, sei aber nach nur wenigen Tagen schon wieder abgezogen worden, kritisiert er.

Es sei kein gutes Zeichen, dass die deutsche Botschaft in Tokio die einzige europäische sei, die nach wie vor geschlossen sei und von Osaka aus arbeite. Viele andere europäische Länder hätten ihre Diplomaten schon nach einigen Tagen wieder zurück in die Hauptstadt geschickt.

In manchen Firmen seien die deutschen Manager Hals über Kopf verschwunden, ohne sich von ihrer Belegschaft verabschiedet zu haben - nach japanischer Lesart eine Unsitte.

In deutschen Medien würde ein Bild vermittelt, dass die Regierung bewusst Informationen über den Stand im Atomkraftwerk zurückhält. "All das verletzt die Japaner und wird die Beziehungen zu Deutschland noch sehr belasten", glaubt Zöllner.

Gedanken, wie es mit ihm und seiner Familie weitergehen würde, hat sich der Japanologe nach den Ereignissen von Fukushima natürlich auch gemacht. "Wir haben lange überlegt, wie wir uns verhalten sollen", sagt er.

"Aber unser Abflug war ja ohnehin für diese Zeit geplant, weil das Semester in Deutschland wieder beginnt." Nach Japan zurückkehren will Zöllner auf jeden Fall - sobald sich wieder eine Gelegenheit ergibt.

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