Gesetzgeber verordnet vor Spätabbrüchen drei Tage Bedenkzeit, die Leben retten soll

Der Bundestag hat neue Regeln für Schwangerschaftsabbrüche nach der zwölften Woche formuliert. Ärzte müssen künftig die Schwangere beraten. Tun sie es nicht, droht ein Bußgeld. Vor der Indikationsstellung gilt für Frauen eine dreitägige Bedenkzeit.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Ultraschalluntersuchung: Gute Hoffnung, die in Verzweiflung umschlagen kann: Ärzte müssen künftig intensiver Schwangere beraten.

Ultraschalluntersuchung: Gute Hoffnung, die in Verzweiflung umschlagen kann: Ärzte müssen künftig intensiver Schwangere beraten.

© Foto: imago

BERLIN. Die Debatte ist emotional, Parteifarben spielen am Mittwoch Nachmittag keine Rolle. Ein tiefer Riss geht durch die SPD-Fraktion: Kerstin Griese (SPD) und Johannes Singhammer (CSU) haben zusammen mit Ina Lenke (FDP) einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem in der namentlichen Abstimmung 326 Abgeordnete zustimmen, 236 sind dagegen. Eine Gruppe um Christel Humme (SPD) und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) wirbt für ihren Gegenentwurf, kann sich aber nicht durchsetzen. Nach jahrelangen Beratungen wird damit das Schwangerschaftskonflikt-Gesetz geändert, der "Abtreibungsparagraf" 218 Strafgesetzbuch bleibt unangetastet.

Einigkeit besteht in der Debatte darin, dass Frauen besser beraten und unterstützt werden sollen. Streit gibt es über das "Wie" der Hilfe:

Verpflichtung zur Beratung: Der Mehrheitsantrag von Singhammer und Griese schreibt eine Beratung der Schwangeren vor. Ärzte müssen auf das Angebot von psychosozialen Beratungsstellen hinweisen. Versäumen Ärzte dies, droht ihnen ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro. Ursprünglich sollte es sogar 10 000 Euro betragen. Die FDP plädiert dafür, das Strafmaß zu halbieren. Pflicht und Strafe sind für Birgitt Bender, die den Humme-Entwurf unterstützt, der falsche Ansatz: "Uns geht es nicht darum, Druck auf Ärzte auszuüben, wir wollen mehr Vernetzung", sagt sie. Die Zusammenarbeit von Ärzten und Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen solle besser werden. Ilse Falk (CDU) betont die freie Entscheidung der Schwangeren, das Angebot anzunehmen. Von "Zwangsberatung" könne keine Rede sein.

Bedenkzeit von drei Tagen: Kerstin Griese bezeichnet diese Vorgabe als einen "Schutz für die Frau". Dass es davon keine Abweichung geben darf, nennt Christel Humme dagegen "grausam": "Der Gesetzgeber muss Raum lassen für das Ermessen von Ärzten und den Umgang mit Einzelfällen", sagt sie. Ansonsten werde die Notlage der Frau unnötig verschäft. Humme plädiert für "ausreichende Bedenkzeit, in der Regel drei Tage".

Auszüge aus der Debatte im Bundestag

Kein Grund, Frauen zu drangsalieren

Irmingard Schewe-Gerigk, Grüne, votierte für Humme-Entwurf.

Irmingard Schewe-Gerigk, Grüne, votierte für Humme-Entwurf.

© Foto: Grüne

Bei der medizinischen Indikation ist die Behinderung des Embryos allein kein Grund für den Abbruch. (...) Dass mit dieser Regelung verantwortungsbewusst umgegangen wird, zeigt sich daran, dass seit 1995 die Zahl der medizinisch indizierten Abbrüche nach der 12. Woche um 36 Prozent zurückgegangen ist. (...) Wir haben offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sich Frauen und Ärzte in dieser schwierigen Situation verhalten. Ich kenne keinen Fall, bei dem ein Arzt die Diagnose bekanntgibt und zugleich ein freies Bett bereithält. (...) Ich kenne auch keine Frau, die sich leichtfertig für den Abbruch der Schwangerschaft eines Wunschkindes entscheidet. Ich sehe daher keine Notwendigkeit, Frauen in Grenzsituationen zu drangsalieren und Ärzte zu kriminalisieren.

Bedenkzeit ist ein Schutz für die Frau

Kerstin Griese, SPD, votierte für eigenen Entwurf.

Kerstin Griese, SPD, votierte für eigenen Entwurf.

© Foto: SPD-Fraktion

Unser Ziel ist es, dass betroffene Frauen eine Entscheidung treffen können, mit der sie später leben können. Dafür brauchen sie Zeit und Ruhe ohne Druck sowie eine gute psychosoziale Beratung. Ärzte werden verpflichtet, die Frauen ergebnisoffen zu beraten und sie in eine psycho-soziale Beratung zu vermitteln. Frauen können diese Beratung ablehnen. Ärzte haben Pflichten, Frauen haben Rechte.

Studien zeigen, dass nur ein Fünftel der Frauen, die mit einem pathologischen Befund konfrontiert sind, beraten werden. Es geht darum, den schleichenden Automatismus zu durchbrechen, nachdem die Diagnose einer Behinderung schnell zu einer Empfehlung für den Abbruch der Schwangerschaft führt. Die Bedenkzeit ist ein Schutz für die Frau.

Frühe Beratung der Frauen ist wichtig

Christel Humme, SPD, votierte für eigenen Entwurf.

Christel Humme, SPD, votierte für eigenen Entwurf.

© Foto: SPD-Fraktion

Wir möchten die Beratung sehr früh ansetzen, nämlich vor der vorgeburtlichen Untersuchung. Wir möchten Frauen informieren über ihren heute schon bestehenden Rechtsanspruch im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Damit erfüllen wir eine langjährige Forderung nach einer besseren Vernetzung von Arztpraxen und Beratungsstellen. (...) Frauen sollen informiert entscheiden können, welche Untersuchungen sie machen und auf welche weitergehenden sie verzichten möchten. Wenn es uns wichtig ist, behindertes Leben zu schützen, dann ist das Recht auf Nichtwissen eine wichtige Voraussetzung. Bessere Information und Beratung zu Beginn der Schwangerschaft fehlen im Gesetzentwurf von Singhammer/Griese völlig.

Wir schreiben einen Druck auf Ärzte fest

Ilse Falk, CDU, votierte für den Griese/Singhammer-Entwurf.

Ilse Falk, CDU, votierte für den Griese/Singhammer-Entwurf.

© Foto: CDU

Drei Dinge sind unabdingbar, damit Mutter und Vater eine gute Entscheidung für ihr Kind treffen können. Erstens braucht die Mutter Nähe und Begleitung eines vertrauten Menschen. Zweitens braucht sie das Angebot verständnisvoller und fachlicher Beratung. Drittens braucht sie Zeit. Den ersten Punkt kann Politik nicht regeln, die beiden anderen Punkte schon. (...) Schwerpunkt des Entwurfs ist die Umsetzung der Forderung nach guter Beratung. Wir schreiben einen gewissen Druck auf Ärzte fest, noch stärker auf die Schwangere zuzugehen, um mit ihr herauszufinden, ob und wie auch mit einem kranken oder behinderten Kind glückliches Leben gelingen kann. Viele Ärzte machen das mit großer Sorgfalt, aber wir hören auch von anderen Erfahrungen - dem wollen wir begegnen.

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