Lauterbach-Buch

"In 30 Jahren wird Krebs gut kontrollierbar sein!"

Ein Arzt und Politiker schlägt Alarm. Die Arzneimittelzulassung stehe Heilungschancen bei Krebs im Weg, sagt Karl Lauterbach (SPD). Seine Lösung: Eine neue Kultur von Studien entwickeln. Wie, das schildert er in seinem neuen Buch.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Krebs wird kontrollierbar, sagt Karl Lauterbach voraus.

Krebs wird kontrollierbar, sagt Karl Lauterbach voraus.

© Wolfgang Kumm/dpa

BERLIN. Die schlechte Nachricht ist: Die Welle baut sich auf. Jeder zweite Angehörige der Baby Boomer-Generation wird im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einem Krebs erkranken.

Der Krebs stellt die Gesundheitspolitik noch nicht in der Gegenwart aber in naher Zukunft vor gewaltige Probleme. Dann muss sie einen Verteilungskampf um knappe Ressourcen moderieren. Pro Patient können leicht zwischen 50.000 und 150.000 Euro fällig werden.

Die gute Nachricht: In 30 Jahren werden Ärzte Krebs vielleicht nicht in jedem Fall heilen, in vielen Fällen jedoch gut kontrollieren können. Sollte sich die Gesellschaft auf einen anderen Umgang mit der Erforschung und Zulassung neuer Krebsmedikamente einlassen, könnte diese Entwicklung sogar schon früher eintreten.

"Die Krebs-Industrie"

Überbringer beider Nachrichten ist Professor Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Arzt und Wissenschaftler. Lauterbach hat am Dienstag in Berlin sein jüngstes Buch "Die Krebs-Industrie" vorgestellt. Darin kritisiert er die Pharmaindustrie für ihre Preispolitik, Profitorientiertheit und Innovationsträgheit.

Die Stoßrichtung der Argumentation richtet sich aber vor allem gegen die zugrunde liegenden gesundheitspolitischen Verhältnisse in Deutschland und Europa: "Der Nutzen der Krebsmedikamente muss viel sicherer getestet werden", sagte Lauterbach.

Die gegenwärtig in Europa praktizierte überstürzte Zulassung von Krebsmedikamenten tue so, als ob wir schon wüssten, wie groß der Nutzen dieser Medikamente in der Fläche sei.

Die Übertragung von Ergebnissen der meist in USA vorgenommenen Studien auf deutsche Patienten sei nicht in jedem Fall gesichert. Der Nutzen sei aber tatsächlich nicht belegt. Es sei nicht auszuschließen, dass neue Onkologika die Lebensdauer verkürzten. Oder dass umgekehrt eine palliativmedizinische Behandlung einen Menschen länger und qualitativ besser leben ließen als der Einsatz von Onkologika.

"Die Praxis der Zulassung kann so nicht weiter gehen", sagte Lauterbach. Die schnelle Zulassung stehe der Entwicklung von Heilungschancen im Wege und ziehe Geld ab, das anderswo fehle. Zum Beispiel in der Grundlagenforschung, an der sich die Pharma-Industrie nur zu unter zwei Prozent beteilige.

Breiter aufgestellte Studien

Die genannten Entwicklungskosten von bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar für ein Medikament seien zu hoch gegriffen. Viele Medikamente würden an Universitäten entwickelt, dann aber von der Pharma-Industrie teuer vermarktet.

Lösungsvorschläge, um gezielt passgenauere Medikamente zu entwickeln und einzusetzen sowie die Kosten zu zügeln, hält Lauterbach parat. Studien müssten breiter aufgestellt und repräsentativer werden. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, sollten die Preisverhandlungen auf die europäische Ebene verlagert werden.

Verordnungen von Onkologika sollten stets interdisziplinär vorgenommen werden. Nicht jeder Arzt verfüge über das notwendige Spezialwissen, um auf eigene Verantwortung zu verordnen.

Pharmaverbände haben bereits auf Lauterbachs Vorstoß reagiert. Der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) verwies darauf, dass Onkologika lediglich elf Prozent der jährlichen GKV-Arzneiausgaben ausmachten.

Der Bundesverband der forschenden Industrie (BPI) verwies auf die seit 40 Jahren kontinuierlich steigende Überlebensdauer nach einer Krebsdiagnose.

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