Hecken

Kampf den unerwünschten Arznei-Nebenwirkungen

GBA-Chef Hecken macht Druck: Er will die Risiken der Polymedikation minimieren und lockt mit Geldern aus dem Innovationsfonds für Projekte zur Arzneimitteltherapiesicherheit.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Mehrere Medikamente. Für ältere Menschen oft Alltag.

Mehrere Medikamente. Für ältere Menschen oft Alltag.

© Printemps/- Fotolia.com

BERLIN. Schweigepflicht lockern, rechtliche Hindernisse aus dem Weg räumen: Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Professor Josef Hecken, strebt mit aller Macht ein neues Regime in der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

Dafür sollten allen Verordnern Patientendaten ohne Zeitverzögerung zugänglich gemacht werden, forderte Hecken bei der Konferenz "Innovationen für mehr Sicherheit" der Techniker Krankenkasse am Dienstag in Berlin.

"Wenn die Gesundheitspolitik glaubwürdig bleiben will, dann muss sie dafür den Weg juristisch freimachen", sagte Hecken.

Risiken Überdosierung bis Vergiftung

Unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneien werden nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) für rund 26.000 Todesfälle, 1,3 Millionen von insgesamt rund 20 Millionen Krankenhauseinweisungen und Kosten von 400 Millionen Euro im Jahr verantwortlich gemacht. Pflege- und Betreuungskosten sind dabei nicht mitgerechnet.

Betroffen sind fünfmal mehr über 70-Jährige als junge Menschen. Die Liste der Risiken reicht von der Überdosierung über Schwindel und Sturz bis zur Vergiftung. Etwa die Hälfte dieser Vorkommnisse sei vermeidbar, sagte DEGAM-Präsident Professor Ferdinand Gerlach.

In der Mehrheit seien unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf Fehler beim Verschreiben zurück zu führen. Allerdings ergäben sich Wechselwirkungen und Gegenanzeigen automatisch, wenn Ärzte Patienten mit mehreren Krankheiten jeweils strikt nach Leitlinie behandelten.

Dazu kommt fehlende Adhärenz. DEGAM-Untersuchungen zufolge weicht praktisch jeder Patient (96 Prozent) von ärztlichen Verordnungen ab.

Hecken setzt auf Wettbewerb

Seinen Teil, an dieser Stelle Patientensicherheit zu erhöhen, will Hecken beitragen. Die AMTS wird Förderschwerpunkt der ersten Tranche des Innovationsfonds und damit zum bedeutendsten Projekt des Fonds in den kommenden vier Jahren.

Wenn es nicht gelinge, in diesem Zeitraum ein Modell zu implementieren, mit dem sich ein Großteil der Risiken ausschließen lassen könne, dann brauche man sich über Pille Palle wie Ernährungsberatung nicht mehr zu unterhalten, sagte der GBA-Chef.

Hecken setzt auf Wettbewerb. Mehrere Ansätze sollten zeitgleich erprobt und evaluiert werden. Erste Förderbekanntmachungen kündigte Hecken für den 20. März an. Derzeit liefen die Ausschreibungen.

8400 Verdachtsfälle gemeldet

Schon heute gibt es Warnsysteme. 8400 Verdachtsfälle von Arzneimittelrisiken meldeten 2015 die Apotheker an ihre Arzneimittelkommission, hieß es am Dienstag bei der ABDA. Darin enthalten seien auch vermeidbare Anwendungs- und Dosierungsfehler.

Auch Kassen versuchen die Risiken ihrer Versicherten zu minimieren. Der Ansatz der TK sei, gezielt die Patienten mit Multimedikation zu identifizieren, sagte TK-Vize Thomas Ballast.

Coaches betreuten anschließend Diabetes- und Rheuma-Patienten in Zusammenarbeit mit Apothekern.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System