Techniker Krankenkasse

Wiederholungstests für neue Arzneimittel gefordert

Die Techniker Krankenkasse stellt den Arzneimittel-Innovationen ein bescheidenes Zeugnis aus, lobt aber die frühe Nutzenbewertung als Quantensprung für die Markttransparenz. Die Pharmaindustrie ist mit ihrer Innovationsbilanz hingegen zufrieden.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Nichts geht ohne Medikamente: Älter Mann nimmt Tabletten ein.

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© Monkey Business Images Ltd / thinkstock

BERLIN. Die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln beschreibt den tatsächlichen Nutzen von Wirkstoffen nicht exakt genug. Zu diesem Ergebnis kommt der Innovationsreport 2014, den Wissenschaftler der Universität mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse erstellt haben.

"Eine einmalige Bewertung neuer Arzneimittel reicht nicht aus", sagte TK-Chef Dr. Jens Baas bei der Vorstellung des Reports am Dienstag in Berlin.

Zusätzlich sollte es im Verlauf des Marktzyklus eines Arzneimittels Nachuntersuchungen geben, in die die Erfahrungen aus dem Versorgungsalltag einfließen könnten, sagte Baas. Grund: Bei acht der untersuchten Neueinführungen aus dem Jahr 2011 habe es im Nachhinein Warnhinweise gegeben.

Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Josef Hecken, hält die Forderung nach Folgeuntersuchungen für gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung noch Evidenzlücken vorliegen.

In diesen Fällen befriste der GBA seine Beschlüsse jedoch bereits regelhaft - insofern sei eine Folgebewertung schon längst geübte Praxis.

Unabhängig davon habe der pharmazeutische Unternehmer bei neuer Evidenzlage ohnehin die Möglichkeit, nach einem Jahr eine weitere Bewertung eines Arzneimittels zu beantragen, so Hecken.

Baas: AMNOG ein Quantensprung

Der Report der TK bescheinigt lediglich drei der 20 Neueinführungen aus dem Jahr 2011 uneingeschränkt Innovationscharakter. Sieben erhielten den Stempel "nicht innovativ". Die restlichen zehn gelten laut Report als "begrenzt innovativ".

Betrachtet haben die Forscher um Studienleiter Professor Gerd Glaeske, ob es bereits verfügbare Therapien gibt, ob für den Wirkstoff ein Zusatznutzen nachgewiesen werden konnte und ob die Therapiekosten höher oder niedriger als die vorhandener Alternativen liegen. Glaeske nannte die Ergebnisse "bescheiden".

Die Ergebnisse des Innovationsreports 2013 waren für die Industrie deutlich schlechter ausgefallen. Ziele der Forschungsanstrengungen seien, neue Arzneimittel anhand der aktuellen Studienlage nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu bewerten und auf der Basis von Daten der TK Verordnungscharakteristika dieser Arzneimittel nach der Markteinführung darzustellen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss, der die offizielle frühe Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vornimmt, hat in 70 Verfahren (Stand 20. März) bislang 13 Mal das Prädikat "beträchtlicher Zusatznutzen" und 22 Mal einen "geringen Zusatznutzen" attestiert.

Das AMNOG sei ein "Quantensprung hinsichtlich der Informationsbereitstellung" lobte Baas das Gesetz. Nicht alle Ärzte scheinen aber die zum Beispiel auf der Homepage des GBA aufbereiteten Informationen zu neuen Wirkstoffen zu nutzen.

So werde die erste AMNOG-Arznei Ticagrelor immer noch bei jedem dritten Patienten falsch eingesetzt beklagte Baas.

Zum Hintergrund: Der Ticagrelor bescheinigte Zusatznutzen gilt nicht für alle Patientenpopulationen gleichermaßen. Die TK untersucht im Rahmen eines Strukturvertrags das Verordnungsverhalten von Ärzten in Westfalen-Lippe.

Stratifizierende Medizin der richtige Weg

Die frühe Nutzenbewertung werde zu besseren Studien führen, gaben sich die Autoren des Reports überzeugt. Der AMNOG-Prozess schaffe einen Qualitätswettbewerb der Anbieter über die Qualität der vorzulegenden Studien.

Die Aufgabe der Bewertungen im Bestandsmarkt durch den Gesetzgeber hat der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Wolf-Dieter Ludwig, als Fehleinschätzung bezeichnet. Es müsse nach Wegen gesucht werden, Bestandsmarktprodukte weiter unter die Lupe zu nehmen.

In einem Sonderkapitel befassen sich die Autoren des Reports mit der stratifizierenden Medizin und mahnen zur Vorsicht. Es würden zunehmend mehr Arzneimittel zugelassen, die erst nach Prüfung auf einen Biomarker eingesetzt werden dürften.

Es gebe allerdings keine klaren Vorgaben, wie mit den Ergebnissen solcher in der Apotheke oft frei erhältlicher Tests umgegangen werden solle. Die Patienten blieben im Unklaren, welche Bedeutung die Testergebnisse tatsächlich hätten.

Grundsätzlich und von seriöser Forschung begleitet sei die stratifizierende Medizin aber der richtige Weg, betonte Ludwig. Es könne aber noch Jahre dauern, bis sich nachhaltige Erfolge einstellten.

Die Pharmaindustrie zieht eine positive Bilanz der Medikamenten-Innovationen der vergangenen Jahre.

Nicht jedes Medikament müsse für sich alleine eine medizinische Revolution einläuten. "Viele durch neue Mittel erreichte kleine Verbesserungsschritte multiplizieren sich über die Jahre zu großen Fortschritten", sagte die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharmaunternehmen, Birgit Fischer, am Mittwoch in Berlin.

Die erfolgreichen Therapien von Aids, Hepatitis C, Brustkrebs oder Gelenkrheuma seien einer Reihe von Schrittinnovationen zu verdanken.

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