Sachleistungssystem ohne KV

Frankreichs Ärzte protestieren

Frankreich will das Sachleistungssystem einführen. Die Ärzte fürchten mehr Bürokratie, auch weil es keine Institution wie die KV gibt. Eine Machtprobe mit der Regierung steht bevor.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:

PARIS. In wenigen Wochen soll das französische Parlament eine umstrittene Gesundheitsreform verabschieden, die unter anderem das traditionelle Kostenerstattungs- durch das Sachleistungssystem ersetzen soll. Aus diesem Grund haben seit Ende 2014 Ärzte mehrmals gestreikt und protestiert, weil diese Reform ihrer Meinung nach die freie Medizin gefährdet.

Ärzte fürchten sich vor der steigenden Macht der Krankenkassen und sehen ihre Unabhängigkeit gefährdet. Ferner rechnen sie mit noch mehr Bürokratie als bisher, weil sie selbst ihr Geld bei den Kassen werden eintreiben müssen.

Denn in Frankreich gibt es keine Einrichtungen wie Kassenärztliche Vereinigungen, die dies für sie übernehmen könnten.

Sie schätzen, dass sie mehrere Stunden zusätzlich pro Woche arbeiten müssten, nur um ihre Honorare bei den Kassen abzurechnen - ohne ein zusätzliches Entgelt.

In weiteren Bestimmungen der Reform erkennen die Ärzte eine Gefährdung ihrer Schweigepflicht und eine Einschränkung ihrer Therapiefreiheit.

Nur wenige Praxen geschlossen

Obwohl der französische Senat als zweite Kammer des Parlaments die umstrittensten Paragrafen der von Sozialministerin Marisol Touraine geplanten Gesundheitsreform am 6. Oktober gestrichen hat, gilt ihre baldige Wiedereinführung durch die Nationalversammlung, die im Gesetzgebungsverfahren das letzte Wort hat, als sicher.

Die Beratungen der Reform haben am Wochenanfang erneut zu Streiks von Ärzten geführt. Die Zahl der geschlossenen Praxen blieb aber insgesamt relativ gering.

Primär konzentrierten sich die Proteste auf Paris. Unter anderem auch deshalb, weil die Ärzteverbände, die gegen die Reform sind, sich nicht auf gemeinsame Aktionen verständigen konnten.

Als größter Ärzteverband des Landes hat die CSMF (Confédération des Syndicats Médicaux Français) die Streiks diesmal abgelehnt, während kleinere Verbände ihre Mitglieder zur Praxisschließung aufgerufen hatten.

Eigentlich kämpfen derzeit die Verbände nicht nur gegen die Reform, sondern um ihre eigene Legitimation. Bis zum 12. Oktober sollen alle Ärzte ihre Vertreter in den sogenannten "Unions des médecins" (regionale Ärztevereinigungen) wählen.

Diese Vereinigungen haben deutlich weniger Macht als die deutschen KVen und keine Kompetenz in der Honorarpolitik. Sie nehmen lediglich zu gesundheitspolitischen Themen wie der Prävention und der Zusammenarbeit mit den regionalen Gesundheitsbehörden Stellung.

Da die Wahlkandidaten von den Verbänden ausgewählt sind, um dann von allen Ärzten gewählt zu werden, dienen die "Unions" dazu, den Einfluss der verschiedenen Verbände widerzuspiegeln.

Schließlich sind die einzelnen Verbände berechtigt - je nach ihrer Stärke -, über die Honorar- und Tarifverträge mit den Krankenkassen zu verhandeln. Aus diesem Grund ist es genau jetzt für die Verbände besonders wichtig, ihre Muskeln spielen zu lassen.

Verband will Ungehorsam empfehlen

Sollte die Nationalversammlung in den kommenden Wochen die Reform und das Sachleistungsprinzip verabschieden, will die CSMF ihren Mitglieder Ungehorsam empfehlen und wie bislang nach dem Kostenerstattungsmodell abzurechnen.

CSMF-Präsident Dr. Jean Paul Ortiz ist sich sicher, dass die Kassen eigentlich keine Rechtsmittel haben, die Ärzte zu zwingen, mit ihnen direkt abzurechnen. Im Fall von Sanktionen würden alle Ärzte die Arbeit niederlegen, und dies könne sich die Regierung nicht leisten, glaubt Ortiz.

Darüber hinaus plant die Regierung neue Spareinschnitte in der Medizin. Denn trotz leichter Verbesserung stecken die Krankenkassen seit zwei Jahren tief im Defizit.

Das trifft die stationäre Versorgung, die Arzthonorare, aber auch die Arzneimittelausgaben. Höhere Zuzahlungen für Patienten will die Regierung allerdings vermeiden.

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