Interview zum Organspende-Skandal

"Das Problem wird mit einer neuen Behörde nicht gelöst"

Der Organspende-Skandal von Göttingen und Regensburg erschüttert auch die Nephrologen. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" fordert ihr Präsident, Professor Reinhard Brunkhorst, neue Kontrollen und "schmerzhafte Sanktionen".

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Prof. Dr. Reinhard Brunkhorst

Aktuelle Position: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie

Werdegang/Ausbildung: Studium bis 1979, Approbation, Facharzt für Innere Medizin, Venia legendi, außerplanmäßiger Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover

Karriere: Leitender Arzt eines Dialysezentrums, Chefarzt, Herausgeber mehrerer Zeitschriften

Ärzte Zeitung: Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie vertreten Sie die Fachärzte, deren Patienten die meisten Transplantate erhalten. Wie fühlen Sie sich angesichts der Vorfälle in Göttingen und Regensburg?

Professor Reinhard Brunkhorst: Es ist außerordentlich bedauerlich, dass die Transplantationsmedizin insgesamt durch diese Vorfälle erneut in die Kritik und in die Schlagzeilen geraten ist. Sollten die Vorwürfe zutreffen, sind die Vorfälle beschämend und nicht akzeptabel.

Ärzte Zeitung: Muss man nicht sogar von krimineller Energie sprechen?

Brunkhorst: Wenn Kollegen ihre Position und die Not der Patienten ausnutzen, um finanzielle Vorteile zu erzielen, ist das in meinen Augen kriminell. Allerdings wäre es blauäugig zu glauben, dass Ärzte frei von charakterlichen Defiziten sind. Die gibt es genauso wie bei Anwälten oder Politikern.

Ärzte Zeitung: Mittlerweile ist sogar die Rede von einer sinkenden Organspendebereitschaft.

Brunkhorst: Das ist zu befürchten, auch wenn es sich um Einzelfälle handelt und um ein Problem der gerechten Verteilung und nicht der Spende. Auch die Patienten, die "unrechterweise" die Organe erhalten haben, waren ja schwer krank. Ich muss aber leider annehmen, dass die Öffentlichkeit hier nicht differenziert.

Ärzte Zeitung: Bei den Nierentransplantationen, die immerhin das Gros aller Organverpflanzungen ausmachen, geht also alles mit rechten Dingen zu?

Brunkhorst: Ich war jahrelang für die Nierentransplantationen bei der Medizinischen Hochschule Hannover zuständig. Ich habe aktuell zwar keine persönlichen Einblicke, im Bereich der Nierentransplantation ist mir aber dezidiert nichts bekannt.

Ärzte Zeitung: Viele Ärzte beklagen den ökonomischen Druck aus den Verwaltungen. Ist es nicht auch dieser Druck, der Kollegen aus der Transplantationsmedizin zu ominösen Maßnahmen treiben kann?

Brunkhorst: Auch die Transplantationsmediziner und Chirurgen bekommen monatlich ihre Leistungszahlen präsentiert. Es wird der Erlös mit dem Aufwand verglichen und gegebenenfalls Personal gestrichen. Durch die Klinikleitungen wird in allen Bereichen erheblicher Druck entfaltet, wenn die Zahlen auseinander klaffen. Natürlich gibt es viele Kollegen, die empfänglich sind für Druck von oben, und die dann entsprechend reagieren - bewusst oder unbewusst.

Ärzte Zeitung: Seit dem Skandal von Göttingen stehen wieder die leistungsbezogenen Vergütungen in der Kritik. Zu Recht?

Brunkhorst: Das geht in die gleiche Richtung. Man versucht mit diesem Prinzip, die Leistungen um jeden Preis zu steigern. Ein Bezug der Vergütung, zum Beispiel auf die Zahl der behandelten Patienten, kann zu einer Ausweitung der Indikationsstellung führen. Ich lehne diesen leistungsbezogenen Teil in den neuen Verträgen ab und befinde mich dabei in guter Gesellschaft mit der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Die Lektüre des ausgezeichneten Positionspapiers der Kollegen Märker-Hermann und Fölsch zu diesem Thema ist sehr zu empfehlen.

Ärzte Zeitung: Sie kritisieren die nichtmedizinisch geprägten Verwaltungen. Was muss sich ändern?

Brunkhorst: Aktive Ärzte werden gezielt aus der Mitverantwortung in den Klinikverwaltungen gedrängt. In Bezug auf die Transplantation wird momentan ja gefordert, dass neutrale und möglichst nichtärztliche Stellen die Kontrolle gewährleisten. Diese Forderung kann ich zwar nachvollziehen angesichts der Vorfälle. Ich sehe aber das große Problem, dass es ohne medizinischen Sachverstand außerordentlich schwer ist, die einzelnen Fälle richtig einzuschätzen. Es ist ja nicht so, dass man anhand einzelner Laborwerte die Entscheidung treffen kann, ob es sich um ein Terminalstadium einer Organinsuffizienz handelt. Im Gegenteil: Es geht um ein ganzes Bündel an medizinischen Daten. Es wird immer schwer sein, eindeutige Kriterien zu entwickeln. Ein Nichtmediziner ist mit derartigen Entscheidungen schlicht überfordert. Letztlich könnte man dann gleich einen Computer entscheiden lassen.

Ärzte Zeitung: Sie haben die Kontrolle angesprochen. Hier gibt es innerhalb der Ärzteschaft zahlreiche Institutionen. Bloß im Fall von Regensburg gab es keine Konsequenzen. Ist die Selbstverwaltung gescheitert?

Brunkhorst: Das sieht so aus. Allerdings möchte ich vorsichtig sein, denn in diesen Fällen habe ich keine Detailkenntnisse. Aber nach diesen Vorfällen bin ich dafür, dass künftig noch genauer und gezielter nachgesehen wird, und zwar zeitnah und nicht erst nach einigen Jahren.

Ärzte Zeitung: Teilen Sie die Kritik der BÄK an den bayerischen Behörden, die nicht ausreichend reagiert haben sollen, oder hätte nicht eher die Selbstverwaltung mit dem Berufsrecht agieren müssen?

Brunkhorst: Ich bin der Meinung, dass beide Stellen hätten reagieren müssen, man sollte sich jetzt nicht gegenseitig die Verantwortung zuschieben, sondern rasch feste Vereinbarungen für die Zukunft treffen.

Ärzte Zeitung: Von Verfassungsrechtlern wird derweil die Legitimität des gesamten Transplantationssystems infrage gestellt. Gefordert wird eine Bundesbehörde zur Organverteilung. Ein richtiger Vorschlag?

Brunkhorst: Ich bin gegen eine erneute Bundesbehörde. Sie birgt die große Gefahr, das ganze System zu verbürokratisieren. Ich sehe das grundsätzliche Problem, aber es wird nicht gelöst mit einer solchen Behörde. Die Legitimierung ist eher ein juristisches Problem. Um es zugespitzt zu sagen: Sie werden nicht jede ärztliche Entscheidung demokratisch legitimieren können. Es gibt Entscheidungen, die schwer zu fassen sind, die weder von einem Juristen, noch von einem Ethiker oder Politiker eingeschätzt werden können. Das ist leider so. Ich hätte manchmal auch gerne Unterstützung bei komplizierten klinischen Entscheidungen, aber es ist eben nicht selten nur ein hoch spezialisierter Arzt mit einem intakten ethischen Selbstverständnis in der Lage diese Entscheidungen zu treffen. Allerdings bedarf es möglichst eindeutiger, strenger Regeln, deren Nichtbeachtung zu schmerzhaften Sanktionen führt.

Ärzte Zeitung: Lassen Sie uns über die Patienten reden. Wie fühlen Sie sich als behandelnder Arzt einem Patienten gegenüber, der seit langem auf ein neues Organ wartet?

Brunkhorst: Man kann sich dem Leid des einzelnen Patienten immer wieder nur schwer entziehen. Es kann durchaus sein, dass ein Arzt, der einen schwer kranken Menschen vor Augen hat, sich unbewusst irrt und die Erkrankung schwerer einschätzt, als sie objektiv tatsächlich ist. Diesen Punkt muss man bei der ganzen Diskussion mit im Hinterkopf haben. Auch das ist eine zentrale ärztliche Kompetenz: Der Arztberuf hat nicht nur etwas mit dem Ablesen von Zahlen zu tun. Man kann sich emotional nicht immer entziehen. Und genau diese Empathie wird auch von den Patienten zu Recht erwartet.

Ärzte Zeitung: BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery hat sich für das Vier-Augen-Prinzip in der Transplantationsmedizin ausgesprochen.

Brunkhorst: Der Vorschlag ist absolut richtig.

Ärzte Zeitung: Nur vier oder doch besser sechs Augen?

Brunkhorst: (lacht). Wenn es schon vier Augen sind, dann wäre es wichtig, dass sie nicht aus einer Klinik kommen. Die zwei oder drei prüfenden Fachleute könnten beispielsweise auch in Konkurrenzkliniken beschäftigt sein. Ich fände es nicht schlecht, wenn es ein Vier-Augen-Prinzip rotierend zwischen den Kliniken gäbe. Ein Kollege füllt den Bogen aus und schickt ihn zusammen mit wichtigen Begleitinformationen an einen Kollegen in einer anderen Klinik. Eine solche Lösung böte eine hohe Sicherheit.

Das Interview führte Denis Nößler

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