Therapievorschlag: Ehrenamt

Jede lebensverändernde Diagnose ist ein herber Schlag für Patienten. Um sie zu unterstützen, gehen die Ärzte im Gesundheitsnetz Leinetal einen außergewöhnlichen Weg: Sie ermutigen die Patienten, sich sozial zu engagieren. Mit Erfolg, wie zwei Hausärzte berichten.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Vor allem Chroniker interessieren sich für soziale Aufgaben, so die Erfahrung von Dr. Matthias Lindenblatt (l.) und Dr. Hendrik Rötterink.

Vor allem Chroniker interessieren sich für soziale Aufgaben, so die Erfahrung von Dr. Matthias Lindenblatt (l.) und Dr. Hendrik Rötterink.

© Christian Beneker

BREMEN. Nur den Körper zu reparieren - das allein hilft nicht. Davon sind die beiden Hausärzte Dr. Matthias Lindenblatt aus Neustadt bei Hannover und Dr. Hendrik Rötterink aus Garbsen überzeugt.

Bei lebensverändernden Diagnosen brauchen die Patienten neuen Halt, meinen die beiden Kollegen vom Gesundheitsnetz Leinetal. "Deshalb kooperieren wir Netzärzte zum Beispiel mit dem Freiwilligenzentrum hier in Neustadt", sagt Lindenblatt.

Wie durch eine Nabelschnur ist die 45000-Einwohner-Stadt Neustadt am Rübenberge nördlich von Hannover durch eine Schnellstraße mit der Landeshauptstadt verbunden. Kommt man in den Ort, findet man sich aber in einem fast ländlichen Kleinstadtidyll wieder.

Vorteile durch die ländliche Umgebung

Kopfsteingassen, die romanische Liebfrauenkirche auf dem Markt sowie Häuschen in norddeutschem Backstein und eine Menge Umland. Das Ganze lässt sich vom Fenster der Hausarztpraxis Lindenblatt gut betrachten.

Seit zwölf Jahren arbeitet Lindenblatt hier als Hausarzt. Der Sitz der Gemeinschaftspraxis von Dr. Rötterink in Garbsen wirkt mit seinen 62.000 Einwohnern da schon etwas urbaner.

Doch die ländliche Struktur bringt gerade für die Idee der Netzärzte einige Vorteile: Der Kontakt zu sozialen Einrichtungen, Freiwilligenzentren etc. ist schneller hergestellt.

"Irgendwann haben wir gemerkt, dass sich Angst und Depressionen ganz automatisch bei den Patienten einschleichen, wenn sie zum Beispiel aus Krankheitsgründen nicht mehr arbeiten können", sagt Rötterink, "diesen Effekt kennt eigentlich jeder Kollege. Wir nehmen diese psychischen Begleitumstände sehr ernst."

Salutogenese statt Pathogenese ist das Motto

Damit die Patienten nicht in ein Loch fallen, bieten die Ärzte ihnen seit Neustem an, in ehrenamtliches Engagement einzusteigen. Auf ihren Schreibtischen liegt der entsprechende Flyer. Titel: "Mehr als gesund".

So nennen sie ihr Projekt, das sie zusammen mit den Freiwilligenagenturen in Neustadt, Wunstorf und Garbsen gestartet haben. Gartenarbeit, Hausaufgabenhilfe, Vorlesen, den Sonnenschirm reparieren - "geben gibt", so das Motto der Zusammenarbeit.

Damit eröffnen sie den Patienten einen neuen Horizont, in dem sie ihrem Alltag einen neuen, unterstützenden Inhalt geben können. Aufgeschlossenheit, Hilfsbereitschaft, Lebensfreude und Wohlbefinden gehören ebenso zur Gesundheit wie ein funktionierender Körper, sagen die beiden Hausärzte.

"Salutogenese statt Pathogenese", sagt Lindenblatt. "Natürlich kommen auch viele Patienten zu uns, die sagen ,mach mich heil‘ und sind sonst eher unengagiert", räumt Rötterink ein. "Aber gerade diese Menschen wollen wir ja motivieren".

Das Projekt läuft seit gut einem Jahr. Und so langsam macht eine Handvoll Patienten mit - vor allem chronisch kranke Patienten mit Diabetes oder Osteoporose. "Wie viele Patienten sich genau bei den Agenturen engagieren, wissen wir nicht. Wir erhalten ja keine geregelte Rückmeldung", sagt Lindenblatt.

Website zeigt Angebote zum sozialen Engagement

Seit Kurzem haben die rund 80 Ärzte des Netzes einen neuen Internetauftritt mit direktem Patientennutzen installiert. Über eine Datenbank können diese zum Beispiel abfragen, ob irgendwo in Garbsen, Neustadt oder Wunstorf dienstags ab 19 Uhr Badminton oder Fußball angeboten wird und ob auch Anfänger mitmachen können.

Das Programm wirft Zeiten und Kontaktadressen von Sportvereinen und anderen Anbietern aus. Unter "Lebenspflege" finden sich die Angebote von Selbsthilfegruppen und der Freiwilligen-Agenturen. Finanziert wird das Ganze von den Monatsbeiträgen der Netzärzte.

Die Ärzte stellen fest: Bei Patienten, die das Angebot annehmen, verbessern sich nachweislich Gesundheit und Zufriedenheit. "Auch die Überwindung der Krankheit wird einfacher, oder die Fähigkeit mit ihr zu leben wird größer", berichtet Lindenblatt.

Rötterink sagt: "Ich stehe mit meiner Einschätzung vielleicht eher allein - denn ich glaube, es geht bei unserem Angebot nicht darum, den einzelnen Behandlungserfolg zu steigern. Aber wer sich mehr bewegt und als Freiwilliger für andere da ist, bereitet ganz unspezifisch, quasi als Nebeneffekt, einen besseren Boden für seine Gesundheit."

www.gesundheitsnetz-leinetal.de

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