Öffentliche Mittel der Stadt Hamburg dienten einem ideenreichen Techniker als Startkapital / Erfolgreich am Markt

HAMBURG. Öffentliche Fördermittel sollen jungen Unternehmen durch die Startphase helfen. Auch im Medizinbereich wären manche Firmen, die sich inzwischen am Markt etabliert haben, ohne die öffentliche Förderung nicht denkbar.

Innovativer Lebensretter im Taschenformat: Rund 1000 Geräte des Thrombocheck sind derzeit im Einsatz.

Innovativer Lebensretter im Taschenformat: Rund 1000 Geräte des Thrombocheck sind derzeit im Einsatz.

© Fotos: di

Von Dirk Schnack

"Ein Bankkredit in Zeiten von Basel II?" Dr. Andreas Brensing schaut so skeptisch, wie ihn vor sechs Jahren vielleicht seine Gegenüber am Bankschalter angesehen haben. Der junge Elektrotechniker war damals auf der Suche nach Kapital, um ein Unternehmen zu gründen.

Brensing hatte nicht mehr zu bieten als die Idee, das Know-how und den Willen zur Umsetzung. Kein Kreditinstitut biss an. Zum Glück hatte er zwei Investoren gefunden, die an die Idee glaubten und eine sechsstellige Summe riskierten. Zugleich erhielt Brensing von der Stadt Hamburg aus ihrer Forschungs- und Entwicklungsförderung 125 000 Euro.

Mediziner gaben Anregungen für die Geschäftsidee

Dr. Andreas Brensing: Banken hatten kein Interesse an der Finanzierung der innovativen Medizintechniklösung.

"Ohne die öffentliche Förderung wäre der Start kaum möglich gewesen", sagt Brensing heute. Heute, das heißt ein fester Firmensitz des Unternehmens Cardiosignal im Gewerbegebiet Hamburg-Rahlstedt, das heißt sechsstelliger Jahresumsatz und Monopolposition auf dem Gebiet der akustischen Herzklappenüberwachung. Dass es soweit kam, hat der geschäftsführende Gesellschafter auch der Idee von Medizinern zu verdanken.

Rückblick, Hamburg im Jahr 2000: Elektrotechniker Brensing arbeitet zusammen mit Kollegen als Partner in einer Hamburger Ingenieurgesellschaft, die als Dienstleister auch im medizinischen Bereich auftritt. Um Ideen für neue Produkte zu bekommen, mailen die Techniker zahlreiche Chef- und Oberärzte an. "Das Ergebnis war eigentlich eher mager", erinnert sich Brensing.

Suche nach Geldgebern erforderte viel Geduld

Immerhin aber kommt es zu drei Gesprächen mit verschiedenen Ärzten, in denen die Techniker den Medizinern erläuterten, wo ihre Stärken lagen - nämlich in der akustischen Messtechnik. Herzchirurg Professor Hans Sievers aus dem Lübecker Universitätsklinikum brachte Brensing auf das Problem der mechanischen Herzklappen. An denen können sich Thromben bilden, die oft zu spät entdeckt werden.

Aus einem intensiven Brainstorming entstand die Idee: Das Geräusch der Herzklappen klingt - für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar - verändert, wenn die Flügel auf die Ablagerungen treffen. Ein Frühwarnsystem müsste also das veränderte Geräusch registrieren können.

Brensing und seine Kollegen begannen zu recherchieren und entdeckten, dass ein Arzt auf diesem Gebiet schon weiter war als sie. Dr. Dirk Fritzsche aus dem Herzzentrum Bad Oeynhausen hatte schon erste Versuche vorgenommen und stand vor der Überlegung, die Idee zu realisieren. Fritzsche und Brensing entschieden sich für die Kooperation. Man beschloss, eine eigene Firma zu gründen - die Suche nach Geldgebern begann.

Diese Suche fiel allerdings in eine schwierige Zeit: Der so genannte "neue Markt" kriselte, die Aktienkurse vieler Internetfirmen waren abgestürzt, Investoren hatten sich verhoben. "Und wir standen da mit nichts als unserer Idee und unserem Know-how. Wir hatten keine Markterfahrung und kein Produkt", erzählt Brensing. Die Existenzgründer schrieben dennoch Businesspläne und bereiteten Patentanmeldungen vor. Bankenzusagen aber blieben aus. Der private Investor und die öffentliche Förderung verhalfen schließlich doch noch zur Umsetzung.

Die ersten Erfolge brachten Messen und Kongresse

Brensing und seine Mitstreiter entwickelten den "Thrombocheck" und unterzogen das handgroße Gerät einem klinischen Test in Bad Oeynhausen. Zugleich gründeten sie die Firma Cardiosignal. Im Dezember 2003 wurde das Gerät zugelassen und das erste Exemplar im Januar verkauft. Doch der Markt war klein. Zwar erhalten jährlich rund 9000 Menschen in Deutschland eine mechanische Herzklappenprothese, und insgesamt 180 000 Menschen leben mit einem solchen mechanischen Ersatz - das Produkt, das Verfahren und die Herstellerfirma Cardiosignal aber kannte niemand.

"Die Umsätze waren nicht kostendeckend. Es war illusorisch zu glauben, dass man ab der Marktreife Geld verdient", sagt Brensing heute. Um der Firma Zeit für den Markt- und Markenaufbau zu geben, schoss ein privater Investor Geld nach. Brensing sprach mit niedergelassenen Kardiologen, Herzchirurgien und Rehakliniken, um den Thrombocheck und seine Idee bekannter zu machen. Mailingaktionen verpufften weitgehend wirkungslos. Klar war aber allen Beteiligten: Der Thrombocheck brauchte die Unterstützung der niedergelassenen Ärzte, um beim Patienten Erfolg zu haben.

Den brachten schließlich Messen und Kongresse. "Da hatten die Ärzte mehr Zeit, sich auf Gespräche einzulassen." Die Reaktionen fielen gemischt aus: "Von kompletter Ablehnung bis zu euphorischer Zustimmung war alles dabei. Zumindest gab es Resonanz", so Brensing. Fragen nach der klinischen Evaluierung, aber auch der Integration in den Praxisalltag gab es immer wieder.

2007 begann das Unternehmen, schwarze Zahlen zu schreiben

Erst als Cardiosignal das Produkt nicht nur zum Kauf, sondern auch zur Miete anbot, setzte sich der Thrombocheck langsam durch. 2007 gelangen erstmals schwarze Zahlen, inzwischen sind über 1000 Geräte im Einsatz. Rund 35 Mal haben die Warnungen des Produktes schon dazu geführt, dass bei Patienten ein Thrombus frühzeitig festgestellt und durch Medikamenteneinsatz aufgelöst werden konnte.

Ein Fall aber geht Brensing bis heute nahe: Die vom Gerät angezeigten Warnungen konnten bei einem Patienten in einer Echokardiografie in der Klinik nicht bestätigt werden. Der Patient wurde nach Hause geschickt. Er setzte das Gerät weiterhin ein, missachtete aber die weiteren Warnungen. Zehn Wochen später war er tot. Bei einer größeren Akzeptanz des vergleichsweise unbekannten Verfahrens, so die Vermutung Brensings, wäre der Patient vielleicht nicht nach Hause geschickt worden.

Firmenchef wünscht sich mehr Konkurrenz

Größere Akzeptanz aber kann ein kleines Unternehmen mit dem Produkt erst nach vielen Jahren erlangen. Brensing hätte nichts dagegen, wenn ein Mitbewerber mit großem Marketingetat ein Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen würde. Dann würde das Verfahren bekannt, der Markt wachsen - und Cardiosignal davon profitieren.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren