Kommentar zur Impfposse

Die STIKO-Mitglieder sollten zurücktreten!

Politiker in Bund und Ländern haben Ansehen und Unabhängigkeit der STIKO ruiniert – vermutlich irreversibel. Die Mitglieder der Impfkommission sollten deswegen jetzt Konsequenzen ziehen.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Will ein Journalist öffentlich eine Person der Lüge bezichtigen, muss er dafür schon sehr gute Beweise haben. Mindestens handelt er sich eine Gegendarstellung ein, oder er muss gar eine Richtigstellung bringen.

Bei der COVID-19-Impfung aber fällt es im Moment reichlich schwer, politische Entscheider gerade nicht wenigstens der Flunkerei zu bezichtigen. Seit Beginn der Pandemie heißt es, Politik handele nach dem Primat der Wissenschaft. „Wir handeln nach den Empfehlungen der Mediziner und Virologen, des Robert Koch-Instituts und des Landesamts für Gesundheit“, sagte etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im März 2020. Hie und da mag das gegolten haben.

Am 2. August aber kam es beim Thema Impfung zum Bruch zwischen Politik und Wissenschaft. Damals entschieden die Gesundheitsminister, die Corona-Impfung ab 12 Jahren zu propagieren, ohne wissenschaftliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Die wurde im Vorfeld nicht einmal konsultiert von den Ministern, glaubt man STIKO-Mitglied Ulrich Heininger. Denn er und seine Kollegen hätten wohl geantwortet: „Haltet noch zwei Wochen inne, wir sind eh an der Bewertung“. Die Kommission, zur Erinnerung, ist laut Paragraf 20 des Infektionsschutzgesetzes das Bundesgremium für Impfempfehlungen. Und auf deren „Grundlage“ sollen die Landesbehörden Impfungen empfehlen.

Peinlich ist die Nichtbeachtung der eigenen Gesetze durch manche Politiker. Sträflich aber ist, dass die Politik sich in der Impfdebatte an der Wissenschaft versündigt hat. Womöglich mit unabsehbaren Folgen für die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wissen unterliegt immer Vorläufigkeiten. Das anzuerkennen, setzt kein erkenntnistheoretisches Propädeutikum voraus. In der evidenzbasierten Medizin gilt der Grundsatz, vieles nicht abschließend beurteilen zu können. Das ist auch das kommunikative Rubrum der meisten Wissenschaftler in der Corona-Pandemie.

Die politischen Entscheider spielen Populisten in die Hände

Die politischen Entscheider dagegen haben sich für Dezisionismus entschieden: Die Wissenschaft hat der Politik zu folgen und die Argumente für deren Entscheidungen zu liefern. Schlicht, der Politik scheint die Risikokommunikation entglitten zu sein. Die Folgen dieses Weges könnten gravierend sein, stellt die Politik doch das Wesen der Aufklärung infrage und spielt somit ungewollt den Populisten an den Rändern in die Hände. Die wussten ja schon immer, dass Wissenschaft nur ein politisches Instrument sei.

Und das ganze Spiel geht gerade weiter, weil die Gesundheitsminister seit dem 9. August die Gabe der dritten Impfdosis als Booster propagieren. Nebenbei: Dafür gibt es nicht einmal Zulassungen.

Statt sich weiterhin vereinnahmen und so ihre gute wissenschaftliche Reputation missbrauchen zu lassen, sollten die STIKO-Mitglieder die Reißleine ziehen und gemeinsam ihre Ämter in der Kommission niederlegen. Nur so kann sich die Wissenschaft wieder behaupten.

Schreiben Sie dem Autor: denis.noessler@springer.com

Lesen sie auch
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Impfempfehlungen

Neuer STIKO-Chef fordert mehr Personal

Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

© Springer Medizin Verlag

Intens. Video-Podcast

Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Arzt im Gespräch mit Patientin

© Ground Picture / shutterstock

STIKO-Empfehlungen

Handlungsbedarf bei Grippeschutz für Chroniker

IPD-Fallzahlen & Pneumokokken-Impfung bei Kindern in Deutschland

© Olivier Le Moal - stock.adobe.com

Content Hub Impfen

IPD-Fallzahlen & Pneumokokken-Impfung bei Kindern in Deutschland

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen