Gesellschaft für Chirurgie redet über ihre Rolle in der Nazizeit
Rassenwahn und Experimente an lebenden Menschen. Im Dritten Reich verrieten viele Chirurgen das ärztliche Ethos.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) arbeitet ihre Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus auf. In etwa zwei Wochen soll der Band "Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 1933 - 1945 Die Reden der Präsidenten" erscheinen.
Ein Vorabdruck liegt der "Ärzte Zeitung" vor. Autoren sind Michael Sachs, Heinz-Peter Schmiedebach und Rebecca Schwoch.
Aufarbeitung gelte den "vermissten" Kollegen
Die Aufarbeitung der Geschichte gelte den 217 in den Annalen "vermissten" Kolleginnen und Kollegen, sagte Professor Hans-Ulrich Steinau, der als DGCH-Präsident der Jahre 2006 und 2007 den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben hatte, bei der Vorstellung des Bandes.
Diese zumeist jüdischen Ärzte wurden expatriiert, in den Selbstmord getrieben oder von den Nazis ermordet. Anfang 1933 hatte die DGCH knapp 2600 Mitglieder. Die Zahl der Opfer des Nazi-Terrors könne sich durchaus noch erhöhen, sagte Mitautorin Rebecca Schwoch.
Exkurs auf Hitlers Leibarzt
Im Auftrag der DGCH haben die Autoren die Biografien der DGCH-Präsidenten Wilhelm Konrad Röpke, Richard Magnus, Erich Lexer und Rudolf Stich zusammengefasst. Exkurse gehen auf zwei ihrer Schüler, den Leibarzt Adolf Hitlers, Karl Brandt, und Paul Rostock, der für schreckliche Menschenversuche verantwortlich war.
Ihr Fazit: "Im nationalsozialistischen System ergaben sich für herausragende Chirurgen Sonderkonditionen. Hervorragende Chirurgie in Kombination mit Parteitreue ermöglichte damals sogar Einlass in die Führeretage, verbunden mit Lehrstühlen und dem Präsidentenamt in der DGCH."
"Unfassbare Humanexperimente"
Von Beginn an unterwarfen sich viele Chirurgen dem Willen des Hitler-Regimes. Professoren mussten ab 1933 ihre Lehrstühle verlassen, jüdische Studierende nahmen die medizinischen Fakultäten nicht mehr auf.
In den Folgejahren beteiligten sich die Chirurgen an "unfassbaren Humanexperimenten", schreibt Steinau im Vorwort der Dokumentation.
Das Spektrum habe von unethischen wissenschaftlichen Untersuchungen an Zwillingen, über anatomische und erbbiologische Ansätze bis zu Zwangssterilisationen und der "Vernichtung unwerten Lebens" gereicht. Mit ihren Experimenten an lebenden Opfern, einschließlich Vivisektionen, hätten die Chirurgen der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft gedient.
Vertreter der Fachgesellschaft kündigten weitere historische Arbeiten an, die noch stärker die Opferperspektive einnehmen sollen.