"Palliativmedizin muss Pflicht- und Prüfungsfach werden!"
Krebs ist derzeit in Deutschland die Grunderkrankung von etwa 90 Prozent der Menschen, die auf Palliativstationen oder in Hospizen betreut werden - das wird sich allerdings schon bald ändern.
Veröffentlicht:Die Erfahrungen aus anderen - palliativmedizinisch weiter entwickelten Ländern wie etwa in Skandinavien oder den USA - zeigen, dass in Zukunft zunehmend mehr Patienten mit nicht bösartigen Erkrankungen im Bereich des Gehirns, des Herzens, der Lunge, der Leber und der Nieren palliativmedizinisch versorgt werden müssen.
Auf diese neuen Herausforderungen hat Professor Norbert Frickhofen, Präsident des 7. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in Wiesbaden, hingewiesen. Frickhofens Botschaft an die Ärzte war eindeutig: "Seien Sie nicht nur gute Behandler, sondern berücksichtigen Sie verstärkt die darüber hinausgehenden Bedürfnisse krebskranker Menschen, auch und insbesondere dann, wenn nichts mehr zu gehen scheint."
Palliativmedizin zeichne sich vor allem dadurch aus, dass der zumeist sehr schwer kranke Patient möglichst ganzheitlich gesehen werde und eine spezifische psychosoziale und spirituelle Betreuung erhalte, sagte Professor Raymond Voltz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
Besonders komme es dabei darauf an, Kranken und Sterbenden menschliche Zuwendung zu sichern und eine Perspektive für die noch verbleibende Lebenszeit zu bieten. In einer zumeist auf körperliche Symptomatiken ausgerichteten medizinischen Fächerlandschaft sei die Palliativmedizin deshalb einzigartig. Dies müsse auch so bleiben.
Bundesärztekammerpräsident Professor Jörg-Dietrich Hoppe bekräftigte, dass die Palliativmedizin in der Medizin ein "ganz besonderes Fach" sei. Hier könne das "Arztsein" und auch die "ärztliche Haltung" noch durch die besondere Zuwendung hin zum Patienten gelebt werden. In vielen anderen Bereichen der Medizin sei diese Hinwendung zum Patienten gar nicht mehr möglich. Dies sehen offenbar auch immer mehr Ärzte so. 2000 Mediziner haben in Deutschland mittlerweile die Zusatzbezeichnung "Palliativmedizin" erlangt. Und beim Kongress waren 800 der insgesamt 1600 Kongressteilnehmer Mediziner, so viele wie niemals zuvor.
Auch die Pharmaindustrie erkenne zunehmend, dass ein Bedarf vorhanden sei, Medikamente zur besseren Behandlung von Patienten mit belastenden Beschwerden während einer Krebsbehandlung gerade in der letzten Lebensphase zu entwickeln. Damit, so Kongresspräsident Frickhofen, sei sicher "kein großes Geschäft zu machen." Doch Ärzte wie Industrie lernten mehr und mehr, die Medizin "ein wenig anders wahrzunehmen."
Trotz dieser Fortschritte sei noch längst nicht alles im Lot, kritisierte Voltz. So gebe es zum Beispiel bundesweit nur vier Lehrstühle für Palliativmedizin, vier weitere seien ausgeschrieben oder kurz vor der Ausschreibung. Zudem sei der palliativmedizinische Ansatz nur bei einzelnen spezialisierten Fächern wie der internistischen Onkologie oder der Anästhesie verankert. Vom Ziel, die Palliativmedizin flächendeckend auch in anderen medizinischen Disziplinen zu verankern, sei man weit entfernt. Voltz plädierte dafür, Palliativmedizin in Deutschland endlich als "Pflicht- und Prüfungsfach im Medizinstudium" zu etablieren.
Wie das zu finanzieren ist, blieb allerdings in Wiesbaden unklar. Für Gerd Nettekoven, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krebshilfe, ist die flächendeckende Einrichtung von palliativmedizinischen Versorgungsstrukturen Aufgabe der öffentlichen Hand. Bislang musste immer wieder die Deutsche Krebshilfe einspringen, die in den vergangenen 25 Jahren rund 60 Millionen Euro in diesen Bereich investiert hat.