Familienpflege

Vorrang vor Heimaufenthalt

Landkreis muss die höheren Kosten der ambulanten Pflege eines Behinderten durch seine Mutter tragen, entschied das Sozialgericht Fulda.

Von Frank Leth und Martin WortmannMartin Wortmann Veröffentlicht:

FULDA. Wird ein auf Pflege angewiesenerBehinderter rund um die Uhr ambulant von Familienangehörigen zu Hause gut versorgt, darf die Sozialhilfe wegen der zu tragenden Kosten nicht pauschal auf eine Heimunterbringung verweisen. Denn ist im Einzelfall die ambulante 24-Stunden-Pflege gesundheitlich überlegen, muss der Sozialhilfeträger auch die höheren Kosten tragen, urteilte das Sozialgericht Fulda.

Konkret ging es um einen mittlerweile 28-jährigen Kläger, der bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2012 ein massives Schädelhirntrauma erlitt. Er ist mit einem Grad von 100 behindert und erhält Pflegeleistungen nach dem Pflegegrad 5.

Im März 2014 beantragte er bei Landkreis Fulda Hilfe zur Pflege und Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als Persönliches Budget für eine ambulante 24-Stunden-Pflege. Dabei ging es um Kosten in Höhe von 13.000 Euro monatlich. Die Betreuung und Versorgung sollte seine im selben Haus lebende Mutter übernehmen.

Der Landkreis bewilligte nur Leistungen in Höhe von monatlich 4800 Euro monatlich und begründete dies damit, dass er die aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe sparsam verwenden müsse. Es sei zumutbar, dass der Schwerbehinderte in eine rund 20 Kilometer entfernte Einrichtung zieht und dort stationär betreut wird.

Das Sozialgericht urteilte jedoch, dass der Kläger Anspruch auf ein Persönliches Budget für die ambulante 24-Stunden-Pflege in voller Höhe hat. Die stationäre Versorgung sei für ihn unzumutbar. Er habe eine sehr intensive Beziehung zu seiner Mutter aufgebaut. Ein Umzug hätte daher "erhebliche negative Auswirkungen auf die psychische Stabilität des Klägers". Sein familiäres Bedürfnis nach der engen Beziehung zur Mutter und sei durch Artikel 6 Absatz 1 GG geschützt.

Im häuslichen Umfeld könne er dauerhaft von vertrauten Personen versorgt und betreut werden; stationär sei dies nicht mit vergleichbarer Intensität möglich. Ohne ständige Anregungen würden die in den vergangenen Jahren mit Unterstützung der Mutter erworbenen Fähigkeiten wieder zum Stillstand kommen oder sich zurückbilden, betonte das Sozialgericht. Der gesamte pflegerische Zustand würde sich bei einer stationären Unterbringung schon wegen der Personalsituation voraussichtlich verschlechtern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Sozialgericht Fulda

Az.: S 7 SO 73/16

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Konzeptpapier vorgelegt

So würden die Privaten die gesetzlichen Pflegekassen retten

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Studie bescheinigt hohe Spezifität

Feiert das Belastungs-EKG ein kardiologisches Comeback?

Lesetipps
Will mehr Spezialisierung der Kliniken: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch vor der Bundespressekonferenz.

© Kay Nietfeld/dpa

Kabinett beschließt Reformgesetz

Lauterbach: Klinikreform rettet zehntausende Menschenleben

Es zeichne sich ab, so Professorin Anne Letsch vom Onkologischen Zentrum Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, dass das biologische Geschlecht, aber auch Gender als soziales Rollenkonstrukt, an vielen Stellen Krebs und Krebsversorgung beeinflussen.

© [M] lera_efremova / stock.adobe.com

Gendermedizin in der Onkologie

Den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Krebs auf der Spur

Die Wahrscheinlichkeit, VHF-Trigger außerhalb des Pulmonalvenensystems zu finden, beträgt 5,9 Prozent bei einem PRE2SSS2-Score von 0–1, 19,2 Prozent bei einem Score von 2–4 und 40,0 Prozent bei einem Score von 5–6.

© plo / stock.adobe.com

Herde außerhalb der Pulmonalvenen

Score gibt Risiko für weitere Trigger von Vorhofflimmern an