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Interview zur Krebsprävention

DKFZ-Expertin: „Wer raucht, ist oft nicht frei in seiner Entscheidung“

Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), erklärt, wie Ärztinnen und Ärzte gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen ansprechen können und welche politischen Rahmenbedingungen entscheidend sind, um mehr Menschen zu erreichen.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Beim Thema Tabakkonsum hat Deutschland im gerade von AOK-Bundesverband und Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) veröffentlichten Public Health Index (PHI) 2025 im Ländervergleich nicht gerade gut abgeschnitten.

Beim Thema Tabakkonsum hat Deutschland im gerade von AOK-Bundesverband und Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) veröffentlichten Public Health Index (PHI) 2025 im Ländervergleich nicht gerade gut abgeschnitten.

© Nopphon / stock.adobe.com

Frau Prof. Mons, welche Rolle spielen Hausärzte in der Tabakprävention?

Sie sind für Patienten Vertrauenspersonen. Viele Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, wissen zunächst gar nicht, wie sie anfangen sollen. Deshalb ist es wichtig, dass Hausärzte über Entwöhnungsmöglichkeiten informiert sind – etwa über Angebote der Suchtberatung vor Ort, Entwöhnungskurse oder digitale Gesundheitsanwendungen der Krankenkassen.

Prof. Ute Mons ist Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Mitautorin des Public Health Index 2025.

Prof. Ute Mons ist Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Mitautorin des Public Health Index 2025.

© Jutta Jung / DKFZ

Wie gelingt es Medizinern, diese Motivation im Alltag zu stärken – insbesondere durch die ärztliche Kurzberatung?

Sie ist ein wirksames Instrument. Manche Ärzte denken: „Das bringt doch nichts. Die Patienten halten sich sowieso nicht an Ratschläge.“ Aber aus der Forschung wissen wir, dass solche Hinweise Wirkung zeigen – manchmal erst nach längerer Zeit.

Für Menschen, die nikotinabhängig sind, ist die Entscheidung, aufzuhören, ein Prozess. Deshalb ist es wichtig, dranzubleiben und sachlich zu motivieren. Viele unterschätzen zudem, welchen Unterschied allein eine kurze, wertschätzende Ansprache machen kann. Gerade Menschen, die schon lange rauchen oder mehrfach gescheitert sind, brauchen oft wiederholte Ermutigung, um den nächsten Versuch zu wagen.

Sie sprechen nicht nur über individuelles Verhalten, sondern auch über gesellschaftliche Rahmenbedingungen. In einem früheren Interview sagten Sie, Rauchen sei für die Gesellschaft „ein ziemliches Minusgeschäft“, weil die Folgekosten die Steuereinnahmen deutlich überstiegen. Warum sollten ökonomische Argumente in der Präventionsdebatte eine Rolle spielen?

Weil der Tabakkonsum enorme Kosten verursacht – im Gesundheitssystem und für die Gesamtwirtschaft. Etwa zwei Drittel der volkswirtschaftlichen Kosten entstehen durch krankheitsbedingte Arbeitsausfälle und vorzeitige Todesfälle. Gleichzeitig erwirtschaften Tabakkonzerne Gewinne, während die Folgekosten von der Allgemeinheit getragen werden.

Ökonomische Argumente helfen außerdem, Präventionspolitik parteiübergreifend anschlussfähig zu machen. Wer Gesundheit nicht als Kernwert, sondern als Kostenfaktor betrachtet, erkennt spätestens bei nüchternen Zahlen den Handlungsbedarf.

Sie warnen immer wieder vor starkem Einfluss der Tabakindustrie. Wie zeigt sich der konkret?

In Deutschland gibt es Parteispenden und -sponsoring durch die Tabakindustrie, Treffen mit politischen Akteuren und ein sehr großes Lobbybudget. Wir wissen aus Rückmeldungen, dass dabei auch über aktuelle Gesetzgebungsprozesse gesprochen wird. Deutschland ist international sehr zögerlich bei Tabakpräventionsmaßnahmen – ein Grund dafür ist sicher diese Einflussnahme.

Besorgniserregend ist zudem, dass viele dieser Kontakte außerhalb öffentlicher Anhörungen stattfinden, also nicht dokumentiert werden.

Wie ließe sich dieser Einfluss begrenzen?

Das internationale Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) sieht vor, gesundheitspolitische Entscheidungen vor Einflussnahme der Tabakindustrie zu schützen. Treffen sollten auf das verfassungsrechtlich Notwendige beschränkt und transparent sein.

Andere Länder wie Frankreich verbieten Spenden durch kommerzielle Akteure bereits vollständig. Langfristig braucht es eine Kultur, in der der Schutz der öffentlichen Gesundheit Vorrang vor kommerziellen Interessen hat – etwas, das in Deutschland erst noch verankert werden muss.

In einer Mitteilung des DKFZ heißt es: „Drei Maßnahmen könnten eine Million Krebsfälle vermeiden.“ Gemeint sind: Steuererhöhungen, ein umfassendes Tabakwerbeverbot und neutrale Zigarettenverpackungen. Welche Maßnahme ließe sich am schnellsten umsetzen und wäre am effektivsten?

Tabaksteuererhöhungen – sie wirken unmittelbar. Eine Preiserhöhung um zehn Prozent senkt den Konsum im Durchschnitt um etwa fünf Prozent. Viele reduzieren dann ihren Konsum oder nutzen Preissprünge als Anlass, ganz aufzuhören.

Wie berechnet das DKFZ in seiner Modellrechnung die Zahl von einer Million vermeidbaren Krebsfällen?

Unsere Modellrechnung basiert darauf, dass wir sehr genau wissen, wie stark Rauchen bestimmte Krebsrisiken erhöht – beim Lungenkrebs um den Faktor 20 bis 30. Wenn wir zugleich kennen, wie viele Menschen rauchen, können wir berechnen, welcher Anteil der Krebsfälle darauf zurückzuführen ist. Beim Lungenkrebs sind es rund 80 bis 90 Prozent.

Welche Einflussgrößen fließen in die Berechnung ein?

Wir berücksichtigen wissenschaftlich gut belegte Effekte von Tabakkontrollmaßnahmen: Wie stark sinkt die Raucherquote bei Steuererhöhungen? Wie beeinflussen Werbeverbote und neutrale Verpackungen das Einstiegsverhalten junger Menschen?

Diese Effekte werden auf die Gesamtbevölkerung übertragen – inklusive zeitlicher Verzögerungen, denn das Risiko sinkt nach einem Rauchstopp nicht sofort. Wir modellieren außerdem demografische Entwicklungen wie Alterung und Bevölkerungsentwicklung.

Wenn man all diese Faktoren zusammenführt, lässt sich abschätzen, wie viele Krebsfälle bis 2050 verhindert werden könnten.

Trotz ökonomischer Faktoren und einer längeren Lebenserwartung – warum gibt es dennoch Widerstände gegen Regulierungen?

Einerseits parteipolitische Grundhaltungen, andererseits die Sorge vor unpopulären Maßnahmen. Studien zeigen aber, dass viele Menschen Präventionsmaßnahmen unterstützen – nur sind ihre Stimmen oft weniger laut als die der Gegner.

Gleichzeitig trägt die Tabakindustrie aktiv dazu bei, den Eindruck zu erwecken, Regulierung werde in der Bevölkerung abgelehnt, obwohl das empirisch nicht stimmt.

Neben politischen Widerständen gibt es auch gesellschaftliche Vorbehalte – etwa das Argument der Eigenverantwortung. Wie begegnen Sie dem?

Jeder darf selbst entscheiden, ob er raucht. Nur ist das in vielen Fällen keine völlig freie Entscheidung, weil eine Abhängigkeit vorliegt. Genau diese individuelle Freiheit wird durch die Tabakindustrie eingeschränkt.

Mir geht es nicht darum, das Verhalten der Menschen zu regulieren, sondern die Möglichkeiten der Industrie zu beschneiden, Menschen krank und abhängig zu machen.

Wie können Präventionsangebote besser Menschen erreichen, die besonders hohe Gesundheitsrisiken haben – etwa Personen in belastenden sozialen Lebenslagen?

Das ist eine der größten Herausforderungen der Prävention. Wir sehen seit Jahren, dass Angebote vor allem diejenigen erreichen, die ohnehin gesundheitsaffiner sind – also Menschen mit höherem Bildungsstand oder stabiler sozialer Situation.

Jene, die die größten gesundheitlichen Risiken und gleichzeitig die größten Hürden haben, sprechen wir dagegen viel zu wenig an.

Woraus resultiert das?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Wer in prekären Lebenslagen lebt, hat oft andere dringende Probleme als die Frage, wie er oder sie gesünder leben könnte. Prävention kann dann schnell wie ein zusätzlicher Anspruch wirken, den man kaum bewältigen kann.

Deshalb genügt reine Aufklärung nicht. Wir müssen verstehen, wie die Lebensrealitäten aussehen, und Angebote so gestalten, dass sie wirklich erreichbar sind – niederschwellig, kostenfrei, flexibel und alltagsnah.

Welche Ansätze funktionieren aus Ihrer Sicht besonders gut?

Wichtig ist es, Lebenswelten einzubeziehen: Schulen, Arbeitsplätze, Stadtteile oder soziale Einrichtungen. Dort erreichen wir Menschen eher – nicht durch individuelle Appelle, sondern indem Umgebungen so gestaltet werden, dass gesundes Verhalten einfacher wird. Gerade in Betrieben kann viel passieren: betriebsärztliche Ansprachen, Entwöhnungsangebote, aber auch Veränderungen in Kantinen oder Pausenräumen.

Prävention muss gerechter werden. Sonst riskieren wir, gesundheitliche Ungleichheiten weiter zu verfestigen.

Was müsste bis 2027 passieren, damit Deutschland im nächsten Public Health Index besser abschneidet?

Eine klare Strategie, die Gesundheit in den Mittelpunkt stellt: höhere Tabak- und Alkoholsteuern, stärkere Regulierung, neue Ansätze etwa bei Softdrinks. Deutschland könnte sich schnell verbessern, wenn es entschlossen handelt.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Aktuell beschäftigen wir uns in mehreren Vorhaben mit Fragen der Krebsprävention. Unter anderem starten wir ein Forschungsprojekt zur Attraktivität von E-Zigaretten für Jugendliche. Zudem bauen wir am DKFZ das Nationale Krebspräventionszentrum auf, das Konzepte entwickeln und erproben soll, die später bundesweit ausgerollt werden.

Ein Schwerpunkt ist, die bereits genannten Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die besonders hohe Risiken und zugleich die größten Hürden haben.

Frau Prof. Mons, vielen Dank für das Gespräch!

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