Zeitzeugen berichten: Peter Bechtel

Ärzte sehen die Pflege heute mit anderen Augen

Die Stationen waren in der Hand der Ordensschwestern, Chefärzte führten teils nach Gutsherrenart. Doch die Pflegeforschung hat Ärzte zum Umdenken bewegt, sagt Peter Bechtel vom Bundesverband Pflegemanagement.

Von Johanna Dielmann-von Berg Veröffentlicht:

Peter Bechtel

Aktuelle Position: Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Pflegemanagement

Ausbildung: 1979 hat Peter Bechtel die Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger abgeschlossen. Danach war er unter anderem im OP, in der Inneren Abteilung und als Assistenz an einer Krankenpflegeschule tätig.

Karriere: 1985 Weiterbildung zur Pflegedienstleitung. Danach Leitungstätigkeiten in kommunalen und kirchlichen Kliniken sowie als selbstständiger Unternehmensberater im Klinikbereich.

NEU-ISENBURG. Vom fünften Rad am Wagen zum selbstbewussten Partner der Ärzte.

So hat sich die Wahrnehmung der Pflegekräfte entwickelt, meint Peter Bechtel, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Pflegemanagement und Pflegedirektor in der Nähe von Freiburg.

Vor 36 Jahren begann Bechtel seine Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger und war bis heute ununterbrochen in der Pflege tätig. Damals sei der Beruf noch stärker weiblich geprägt gewesen als heute, weiß er.

"Als ich anfing, waren wir 18 Frauen und gerade mal zwei Männer." Vor über 40 Jahren hatten vor allem noch Ordensschwestern das Zepter auf der Station in der Hand.

In den 70-er Jahren war die Beziehung zwischen Ärzten und Pflegekräften teilweise noch eher von einem Führungsstil nach "Gutsherrenart" geprägt, erinnert sich der 54-Jährige.

"Als ich damals noch Auszubildender war und die Visite mit dem Chefarzt auf dem Plan stand - da kam oft die Maßgabe von der Stationsleitung: Alles, was nicht sein muss, verschwindet vom Gang. Schüler und Auszubildende in den Schmutzarbeitsraum", erzählt Bechtel.

Pflegekräfte haben an Ansehen gewonnen

Das Lernen gestaltete sich bei Visiten wie dieser dann eher schwierig. Ebenso wenn man zu 15 Mann auf Chefvisite ging. "Bis der letzte einen Platz im Zimmer gefunden hatte, war der Chefarzt schon wieder beim nächsten Patienten im Zimmer nebenan", sagt Bechtel.

Aus dem heutigen Blickwinkel, über 30 Jahre später, wirken diese Verhaltensweisen geradezu grotesk auf den Pflegedirektor. Aber diesen Umgang mit den Pflegekräften und Auszubildenden gebe es heute - "Gott sei Dank" - nicht mehr, betont Bechtel.

Die Pflege und mit ihr die Pflegekräfte hätten in den letzten Jahrzehnten deutlich an Ansehen gewonnen. Einen Grund dafür sieht der Pflegedirektor im Erkenntnisgewinn aus Pflegewissenschaft und Pflegeforschung.

"Unsere Argumentationen stützen sich inzwischen auf Zahlen, Daten und Fakten", erklärt Bechtel. Früher war das anders. Da habe die Pflege oft mit "Ich hab da so ein Gefühl, dass..." ihre Meinung vertreten.

Ein weiterer Grund: Bei den Ärzten habe ein "Umdenken" stattgefunden. Heute sei auch bei den Ärzten angekommen, dass es ohne eine qualifizierte Pflege nicht gehe.

Bei einem hochkomplexen medizinischen Eingriff werde die Pflege in der Nachbetreuung als genauso wichtig für die Genesung und den Patienten angesehen wie der ärztliche Anteil der Behandlung, der Eingriff selbst.

Für den Prozess des Umdenkens habe auch die Professionalisierung des Pflegeberufs eine wichtige Rolle gespielt, ist sich der Pflegedirektor sicher. Mittlerweile können Pflegekräfte aus einem breiten Spektrum an Weiterbildungen wählen.

Zu seiner Ausbildungszeit habe es im Prinzip nur drei Karrierewege gegeben: Nach der Grundausbildung sei man später entweder als Anästhesie-Intensiv- und OP-Pflegekraft, als Stations- oder Pflegedienstleitung oder als Lehrer tätig geworden.

"Operationstechnische Assistenten, Stomatherapeuten oder die Fachkrankenschwester Nephrologie - diese Berufe gab es bei uns in den 70-er Jahren noch nicht", erzählt Bechtel.

Bei der Delegation herrscht der Stand von 1975

"Es reicht heute nicht mehr - salopp gesagt - zwei wollende Hände zu haben, um eine gute Schwester oder Pfleger zu sein", so Bechtel.

Die Pflege sei eine anspruchsvolle Profession, nicht nur auf die fachliche Qualifikation bezogen, sondern auch was in der Beziehungsarbeit mit Patienten und deren Familien geleistet werde.

"Wir sind nicht nur da, wenn's schön ist, sondern auch wenn es um Leid, Schmerz und Sterben geht."

Doch auch heute noch fühlt sich der Pflegedirektor teilweise an die 70-er Jahre erinnert. Etwa, wenn es um das Thema "Delegation" geht. "Da habe ich manchmal das Gefühl, im Zusammenspiel von Ärzten und Pflege sind wir noch auf dem Stand von 1975."

Nach wie vor herrsche eine starke Abgrenzungspolitik zwischen den Disziplinen. So sei bereits vor 30 Jahren in der Diskussion die Blutentnahme durch das Pflegepersonal aktuell gewesen.

"Als optimales Verhältnis zwischen Arzt und Pflege stelle ich mir eine Begegnung auf Augenhöhe vor, bei der jede Seite die fachliche Kompetenz der anderen respektiert", sagt Bechtel.

Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Pflege vorbehaltene Tätigkeiten endlich definiert würden. Das schaffe Klarheit für eine gute Zusammenarbeit und bringe Pflegekräfte aus der bisher vielfach existierenden rechtlichen Grauzone heraus.

Denn eines steht für Bechtel fest: "Auch vor 30 Jahren haben Pflegekräfte in der Praxis Tätigkeiten übernommen, die den Ärzten zugeordnet waren."

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