Notbremse

GBA verhängt Zulassungssperre

Die neue Bedarfsplanung wirft ihre Schatten voraus: Offenbar lassen sich mittlerweile viele Ärzte nieder - um der neuen GBA-Richtlinie zuvorzukommen. Jetzt hat der Ausschuss die Notbremse gezogen - bei gleich neun Facharztgruppen.

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Stopp für neun Facharztgruppen.

Stopp für neun Facharztgruppen.

© Tony Baggett / fotolia.com

BERLIN (nös/sun/iss/fst/vdb). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat eine sofortige Zulassungssperre für neun Facharztgruppen verhängt - und hat damit die finalen Verhandlungen für die neue Bedarfsplanungsrichtlinie eröffnet.

Scharfe Kritik kam am Donnerstag aus den betroffenen Ärzteverbänden.

Betroffene Fachärzte

Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychotherapie, Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Fachärzte für physikalische und rehabilitative Medizin, Fachärzte für Physiotherapie, Fachärzte für Nuklearmedizin, Fachärzte für Strahlentherapie, Fachärzte für Neurochirurgie, Fachärzte für Humangenetik, Fachärzte für Biochemie, Fachärzte für experimentelle und diagnostische Mikrobiologie, Fachärzte für Immunologie, Fachärzte für Laboratoriumsmedizin, Fachärzte für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Fachärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Fachärzte für Neuropathologie, Fachärzte für Pathologie, Fachärzte für pathologische Anatomie, Fachärzte für Blutspende und Transfusionsmedizin, Fachärzte für Transfusionsmedizin.

Betroffen sind Kinder- und Jugendpsychiater, Physikalische- und Rehabilitations-Mediziner, Nuklearmediziner, Strahlentherapeuten, Neurochirurgen, Humangenetiker, Laborärzte und Pathologen sowie Transfusionsmediziner. Für sie galt bislang keine Bedarfsplanung.

Hintergrund für den Beschluss sind Hinweise der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), wonach es im ersten Halbjahr 2012 eine "überproportionale Zunahme" von Zulassungsanträgen in "unbeplanten" Arztgruppen gegeben habe.

Das hat im GBA Befürchtungen aufkommen lassen, dass es zu einem "Seehofer-Bauch" kommen könnte.

Dieser Effekt trat 1993 auf, als sich viele Ärzte nach dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) des damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer noch in die Niederlassung gestürzt hatten.

"Der GBA hat begründeten Anlass zu der Befürchtung, dass mit Bekanntwerden seiner Absicht zur Beplanung bisher unbeplanter Arztgruppen ein nicht sachgerechter Anstieg von Zulassungsanträgen zu verzeichnen sein könnte", sagte der unparteiische GBA-Vorsitzende Josef Hecken am Donnerstag in Berlin.

Steiler Anstieg bei neuen Zulassungen

Mit dem Moratorium solle ein unverhältnismäßiger Anstieg neuer Sitze unterbunden werden, sagte auch der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Roland Stahl, der "Ärzte Zeitung".

Er schränkte jedoch ein: "Es geht dabei allerdings nicht um die Nachbesetzung bestehender Sitze." Es sei zudem Bestandteil des Bedarfsplanungskonzeptes der KBV, dass künftig alle Arztgruppen beplant werden.

GBA-Chef Hecken nannte den Beschluss am Freitag eine "zumutbare Übergangsregelung", die der "Chancengerechtigkeit" diene.

Die Sorge von KBV und GBA: Bei massenhaften neuen Niederlassungen bis Ende dieses Jahres könnte Anfang 2013 schlimmstenfalls bereits eine Überversorgung in etlichen Regionen herrschen.

Ärzte, die sich erst im kommenden Jahr niederlassen wollten, hätten dann kaum eine Chance dazu.

Tatsächlich verzeichnete die KBV allein bei den Strahlentherapeuten im ersten Halbjahr 2012 einen enormen Anstieg bei den Zulassungszahlen: 125 versus 27 im Vorjahreszeitraum.

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe haben in den vergangenen Wochen rund 80 Mediziner der neun Arztgruppen einen Zulassungsantrag gestellt.

Ähnlich sieht es bei der KV Nordrhein aus. Dort haben in den vergangenen Wochen 84 Ärzte einen entsprechenden Antrag gestellt. Zum Vergleich: Im Juli waren es nur vier.

Dabei handelte es sich allerdings nicht immer um Anträge auf volle Zulassung, sondern zum Teil wollten die Ärzte auch ihren Versorgungsumfang erhöhen.

Bei der Niederlassungsberatung der KV Nordrhein haben sich in den vergangenen Tagen die Anfragen aus den betroffenen Fachgruppen gehäuft. In der Zeit davor gab es dagegen kein gestiegenes Interesse.

Kritik von den Ärzteverbänden

Auch in Baden-Württemberg sind seit der vergangenen Woche "über 80" Anträge auf Zulassung von Ärzten aus den betreffenden Fachgruppen eingegangen, berichtet Renate Matenaer, Pressereferentin bei der KV Baden-Württemberg.

Dabei handele es sich "fast ausschließlich" um Anträge von Klinikärzten. Alle Anträge würden nun geprüft, dies gelte auch für Anträge, die noch bis Donnerstagnacht eingegangen sind, sagte sie. Der GBA teilte hingegen mit, der Beschluss gelte bereits seit diesem Donnerstag ab "Tagesanfang", also 0 Uhr.

Die jetzige Übergangsregelung gilt laut Beschluss unmittelbar ab dem 6. September und bleibt bis zum 1. Januar 2013 in Kraft. Sie gilt auch für Anstellungen von Ärzten in MVZ oder Einzelpraxen.

Damit die Landesausschüsse überhaupt über Anträge entscheiden können, die ab dem 6. September eingereicht wurden, muss zunächst in der Region der Versorgungsgrad ermittelt werden, heißt es in dem GBA-Beschluss.

Kritik kommt aus den Ärzteverbänden. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendpsychiatrie (bkjpp), dessen Ärzte ebenfalls betroffen sind, warnte etwa davor, dass sich dieser Beschluss negativ auf die Versorgung auswirken könnte.

"Wenn das ein Vorbote ist, die Kinder- und Jugendpsychiater in der Bedarfsplanung auf den Istzustand zu zementieren, wird es in der Versorgung problematisch", sagte bkjpp-Vorstand Dr. Maik Herberhold der "Ärzte Zeitung". "Dafür sind wir in der Fläche zu dünn verteilt."

Auch die Pathologen lehnen den Beschluss ab und warnen vor "katastrophalen Folgen". Deren Verbandspräsident Professor Werner Schlake sagte: "Das trifft den Lebensnerv unseres Fachgebiets. Diese Rückentwicklung können und wollen wir nicht hinnehmen."

Dem Protest schlossen sich umgehend auch Nuklearmediziner, Radiologen, Laborärzte und an Infektiologen.

Droht bleibende Unterversorgung?

Die Krankenkassen verteidigten den Beschluss hingegen: "Vor dem Hintergrund der anstehenden Aufgaben ist es konsequent, jetzt umgehend weitere Facharztgruppen in die Bedarfsplanung mit einzubeziehen", sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, der "Ärzte Zeitung".

Anders der bkjpp. Verbandsvorstand Herberhold: "Wer sich jetzt niederlässt, wird auch gebraucht." Trotz stetig steigender Fachgruppenstärke bestehe im Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie nach wie vor eine deutliche, regional unterschiedlich ausgeprägte Unterversorgung.

Auch in verhältnismäßig gut versorgten Regionen sei die Versorgungsdichte noch nicht ausreichend, kritisierte er. Überversorgung gebe ist bisher in keiner Region.

Die Zulassungssperre bedeute auch für Gebiete mit extremer Unterversorgung, dass sich dort niemand mehr niederlassen könne, warnte Herberhold.

Seitens der Politik gab es am Donnerstag kaum Kommentare zu dem GBA-Beschluss - wenngleich die kleinteilige Bedarfsplanung Kern des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes ist.

"Das ist Sache der Selbstverwaltung", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), der "Ärzte Zeitung". "Aber wir begrüßen es, dass bei der Bedarfsplanung nun zügig Nägel mit Köpfen gemacht werden."

Berufung auf ein Urteil von 2007

Gerüchte, dass die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie vorzeitig verabschiedet werden sollte, gab es bereits seit einigen Wochen.

Der Kölner Rechtsanwalt Uwe Hohmann hatte seinen ärztlichen Mandanten schließlich empfohlen, unverzüglich einen Zulassungsantrag zu stellen. "Einige Ärzte haben das auch getan", sagt Hohmann.

"Es waren angestellte Ärzte, die ohnehin überlegt hatten, sich niederzulassen." Auch andere auf Medizinrecht spezialisierte Kanzleien hatten die Ärzte über die anstehenden Änderungen in Kenntnis gesetzt.

Die Vorgehensweise des GBA, die beschlossenen Änderungen ohne Übergangsfrist sofort umzusetzen, hält Hohmann indes für rechtlich fragwürdig.

Der GBA hingegen beruft sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts von 2007. Damals hatten die Richter eine rückwirkende Zulassungssperre des Bundesausschusses für Berlin im Jahr 2003 für rechtens erklärt, "um Umgehungen durch Ärzte zu vermeiden".

Die Richter sprachen dem Bundesausschuss damals sogar zu "generell ermächtigt" zu seien, "solche Übergangsregelungen zur Sicherung einer konsistenten Bedarfsplanung zu treffen".

Hecken optimistisch

Die Bedarfsplanung ist spätestens seit Anfang des Jahres Thema der Selbstverwaltung, seitdem wird vor allem im Hintergrund verhandelt. KBV, Kassen, aber auch der GBA haben jeweils ihre eigenen Vorstellungen.

Vorgaben hat dafür das GKV-Versorgungsstrukturgesetz gemacht. Ein Konzept soll bis zum Ende dieses Jahres stehen.

Der unparteiische Vorsitzende des GBA, Josef Hecken, hatte jüngst angekündigt, den Demografiefaktor in der Bedarfsplanungsrichtlinie auszusetzen - ganz zum Unmut der KBV.

Hecken selbst sprach noch im Juni im Interview mit der "Ärzte Zeitung" davon, dass seitdem "Sand im Getriebe sei". Nun ist er offenbar aber optimistisch, die neuen Regelungen zur Bedarfsplanung früher als geplant, nämlich erst zum Jahresende, präsentieren zu können.

Das zumindest hatte der unabhängige Vorsitzende noch vor Kurzem am Rande einer Veranstaltung zur personalisierten Medizin in Berlin gesagt.

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