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Interview zur Krankenhausreform

„Die richtigen Hebel, um Struktur und Leistung zu koppeln“

Mehr Spezialisierung, mehr Ambulantisierung: Die Krankenhausreform wird die Kliniklandschaft deutlich verändern. Doch was von den Reformideen der Regierungskommission hat es in den Gesetzentwurf geschafft? Kommissionsmitglied Jochen Schmitt zieht Bilanz.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Professor Jochen Schmitt ist Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung in Dresden und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Professor Jochen Schmitt ist Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung in Dresden und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

© Privat

Herr Prof. Schmitt, die Regierungskommission hatte gefordert, dass künftig ausschließlich spezialisierte Kliniken komplexe Eingriffe – etwa die Behandlung von Brust- oder Darmkrebs – anbieten sollten. Die Versorgung in der Fläche würde sich damit reduzieren. Warum ist das so sinnvoll?

Routine zählt. Das ist ein Leitsatz der Qualitätssicherung in der Medizin. Kliniken, die häufig bestimmte Krankheiten behandeln, bieten in der Regel die bessere Qualität und Patientensicherheit. Bei elektiven Eingriffen wie etwa dem Einsetzen eines künstlichen Gelenks, aber auch bei allen Krebsbehandlungen zahlt es sich aus, wenn Klinik und Operateur entsprechend ausgestattet und darin erfahren sind. Krebs-Patientinnen und -Patienten zum Beispiel profitieren substanziell, wenn sie in einem Krebszentrum behandelt werden, das ein Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft vorweisen kann. Das ist ein zentrales Ergebnis der WiZen-Studie, auf die Bundesgesundheitsminister Lauterbach gerne verweist. Würde dies konsequent umgesetzt werden, ließen sich pro Jahr rund 20.000 Lebensjahre von Krebserkrankten retten. Auch die GKV-Routinedaten und die Krebsregisterdaten zeigen konsistent und übereinstimmend, dass die Behandlung in spezialisierten Kliniken deutliche Überlebensvorteile mit sich bringt.

Was war der ursprüngliche Ansatz der Regierungskommission zur Erreichung dieses Ziels und was ist davon im vorliegenden Referentenentwurf übrig geblieben?

Die Regierungskommission hatte Ende 2022 in der dritten Stellungnahme empfohlen, stationäre Krebsbehandlungen auf bestimmte Kliniken zu konzentrieren und dafür das Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft einzufordern. Es sollten entweder Maximalversorger sein, also Level III-Kliniken, oder Häuser, die mindestens zwei internistische und chirurgische Leistungsgruppen, weitere drei Leistungsgruppen sowie Intensivmedizin und Notfallmedizin vorweisen können, also Level II-Kliniken. Das Levelkonzept der Regierungskommission wurde in den Bund-Länder-Verhandlungen abgewählt. Jetzt soll mit dem Leistungsgruppen-Konzept aus Nordrhein-Westfalen gestartet werden. Darin fehlen entsprechende Vorgaben für die Onkologie.

In der Umsetzung wurden also Chancen auf eine bessere Behandlungsqualität vergeben?

Zu befürchten ist, dass der interdisziplinäre Ansatz der Krebsbehandlung, wie ihn die Leitlinien und auch der Nationale Krebsplan vorsehen, mit der Krankenhausreform nicht umgesetzt wird. Der Referentenentwurf zum jetzt aktuellen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz will mit Paragraf 40 die Konzentration in der Onkologie erreichen. Die Standorte mit den niedrigsten Fallzahlen, die zusammen 15 Prozent der onkochirurgischen Eingriffe vornehmen, sollen von der Vergütung bestimmter Entgelte ausgeschlossen werden. Diese Vorgabe unterscheidet sich in diversen Aspekten deutlich von den Maßnahmen zur Zertifizierung. So berücksichtigt der Gesetzentwurf nicht die Ergebnisse der WiZen-Studie und auch nicht die Potenzialanalyse der Regierungskommission aus der fünften Stellungnahme. Die jetzt vorgeschlagene Regelung wird der vorliegenden Evidenzlage nicht gerecht.

Das klingt nach heftiger Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf.

Bislang darf jede Klinik fast alles anbieten – unabhängig von der Routine und der Qualität. Die Krankenhausreform ist daher sehr wichtig, um die Spezialisierung in der Krankenhauslandschaft zu stärken. Der Referentenentwurf enthält sehr gute und zielführende Maßnahmen, um diese Gelegenheitsversorgung zu reduzieren, die mit einer vermeidbaren Patientengefährdung einhergeht. Die Einführung von Leistungsgruppen mit entsprechenden Mindestfallzahlen und Strukturvorgaben ist dabei das wesentliche Instrument.

Experten sehen auch Qualitätsprobleme in der Notfall-Versorgung. So wurden beispielsweise in 89 Gemeinden Patienten mit einem Herzinfarkt in Kliniken ohne Herzkatheterlabor behandelt – obwohl im gleichen Ort eine entsprechend ausgestattete Klinik angesiedelt ist. Wie kann die Situation flächendeckend verbessert werden?

Die Qualitätsunterschiede in der Patientenversorgung sind bundesweit groß. Nach wissenschaftlichen Analysen werden Patienten mit Herzinfarkt an mehr als 1.000 Standorten behandelt, obwohl dort häufig kein Herzkatheterlabor vorhanden ist. Aus den AOK-Daten geht hervor, dass bei einem Herzinfarkt im Saarland jeder neunte Patient in einer Klinik ohne Herzkatheterlabor behandelt wird.

In Hamburg hingegen erfolgen praktisch alle Notfalleinweisungen aufgrund von Herzinfarkt in Kliniken mit Herzkatheterlabor. Das liegt an den konkreten Vorgaben in der Krankenhausplanung. Seit 2006 darf der Hamburger Rettungsdienst entsprechende Notfälle nur in Standorte bringen, die rund um die Uhr über einen einsatzbereiten Linksherzkathetermessplatz verfügen. Zudem stehen dort in einer 24-Stunden-Rufbereitschaft an allen 365 Tage im Jahr erfahrene Teams aus Ärztinnen, Ärzten sowie speziell geschulten Pflegekräften bereit.

Wird dieses strukturelle Problem in den vorliegenden Plänen mit den Leistungsgruppen schon ausreichend adressiert?

Der Referentenentwurf bietet die richtigen Hebel, um konkrete Strukturanforderungen an die Leistungserbringung zu koppeln. Die Details werden jedoch erst in den Verordnungen definiert, die mit den Bundesländern abzustimmen sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Länder an einer Qualitätssteigerung interessiert sind und nicht primär an der Möglichkeit, Ausnahmen geltend zu machen. Sowohl beim Schlaganfall als auch beim Herzinfarkt werden noch immer Kliniken durch den Rettungsdienst angefahren, die weniger gut ausgestattet sind als gleichweit entfernte Kliniken mit Herzkatheterlabor oder einer Stroke Unit.

Kliniken sollen künftig 60 Prozent der Vergütung allein für das Vorhalten von Leistungen erhalten. Ist diese geplante Vergütung, so wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, geeignet, um die Reformziele zu erreichen?

Die jetzigen Reformvorschläge greifen wesentliche Ideen der Regierungskommission auf. Sie folgen damit der Grundidee, einen Teil der Klinikfinanzierung unabhängig von der Menge auszugestalten und gleichzeitig resilienter aufzustellen. Leider hakt es in der Umsetzung. Vorgesehen ist, die Auszahlung mit dem Behandlungsfall zu verknüpfen. So wird es nicht gelingen, die Vorhaltefinanzierung aus der Mengenlogik herauszulösen. Zudem befürchten sowohl Kliniken als auch Krankenkassen einen hohen bürokratischen Aufwand in der Praxis. Es wäre besser, die Vorhaltefinanzierung an der Bevölkerung auszurichten.

Wie kann das gelingen?

Die Mittel sollten entsprechend der Bedeutung der Krankenhäuser für die Versorgung der Bevölkerung konzentriert werden. Dies ist der entscheidende Schlüssel für die Fachkräftesicherung an den richtigen Stellen und für die Qualitätsverbesserung. Leider haben die Krankenhausgesellschaft und teilweise auch die Länder bislang alle in diese Richtung gehenden Empfehlungen verhindert. Da muss man sich fragen, ob die Krankenhausreform für die Bevölkerung oder für die Krankenhausträger gemacht wird. Ganz entscheidend ist, dass Finanzierung und Planung Hand in Hand gehen müssen, damit sich die Versorgung für die Patientinnen und Patienten tatsächlich verbessert. Daher hat die Regierungskommission die künftige Finanzierung ganz bewusst mit der Strukturreform verkoppelt. Dieses Gesamtpaket ist jetzt wieder aufgeschnürt worden.

Führt die Konzentration von Leistungen nicht zu einer Gefährdung der Versorgung in der Fläche?

Vor diesem Hintergrund haben wir gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband ein prototypisches Simulationsinstrument entwickelt. Es berücksichtigt die Erreichbarkeit für die Bevölkerung, die Leistungsfähigkeit und Qualität der Klinikstandorte gleichermaßen in einer Metrik. Das Simulationstool zeigt, welche Standorte für welche konkrete Erkrankung im Sinne der Daseinsvorsorge gebraucht werden und welche davon besonders leistungsfähig sind. Diese Kliniken gilt es zu stützen. Viele Häuser sind jedoch für Leistungen, die sie momentan erbringen, weder quantitativ leistungsstark, noch würde ihr Wegfall zu Nachteilen in der Daseinsfürsorge führen. Dies darzustellen, ist ein wichtiger Schritt. Wir bieten den Ländern an, das Instrument gemeinsam weiter zu entwickeln und hoffen, dass dann nachvollziehbarere Planungsentscheidungen getroffen werden.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus der gesunkenen Auslastung und dem anhaltenden Rückgang der Fallzahlen in den Krankenhäusern, die sich in der jüngsten Analyse des WIdO zeigen?

Patienten und Einweiser scheinen mehr und mehr zu erkennen, dass eine ambulante Behandlung häufig den gewünschten Therapieerfolg bringt. Die ambulant-sensitiven Diagnosen in den Kliniken sind im Jahr 2023 im Vergleich zu 2019 um 20 Prozent gesunken – das ist sehr erfreulich. Dieser Rückgang macht das „Ambulantisierungspotenzial“ deutlich.

Vielen Dank für das Gespräch.

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