Aktueller AOK-Report
Heilmittel-Ausgaben legen stark zu
Innerhalb von zehn Jahren haben sich die GKV-Ausgaben für Heilmittel mehr als verdoppelt. Besonders häufig werden pflegebedürftigen Menschen über 65 Jahren Heilmittel verordnet. Das geht aus dem aktuellen Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor.
Veröffentlicht:Im Jahr 2022 stieg der Heilmittel-Umsatz um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Überproportional viele Behandlungen erhielten Pflegebedürftige ab 65. Das zeigt der aktuelle Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). In allen vier untersuchten Leistungsbereichen ist ein deutlicher Anstieg des Umsatzes zu verzeichnen. Die Spanne reicht dabei von 6,4 Prozent (Physiotherapie) bis 21,9 Prozent (Podologie). Für die rund 73 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurden im Jahr 2022 rund 37,8 Millionen Heilmittelverordnungen abgerechnet. Diese Verordnungen umfassten 46,3 Millionen Leistungen mit insgesamt gut 317 Millionen einzelnen Behandlungen.
Fast jeder dritte AOK-Versicherte über 65 Jahre (30,7 Prozent) ist pflegebedürftig – im Jahr 2022 waren das knapp 1,88 Millionen Menschen. Der Anteil dieser Gruppe an der Zahl der Heilbehandlungen in der Alterskohorte beträgt jedoch 57,5 Prozent. Insgesamt waren das 29,3 Millionen Behandlungen. Je höher der Pflegegrad, desto mehr Heilmittel müssen die Betroffenen beanspruchen. Besonders hoch war der Bedarf bei den 75- bis 79-Jährigen. Ab einem Alter von 80 Jahren sinkt die Behandlungsrate jedoch wieder. In jeder Altersgruppe verordneten Ärzte pflegebedürftigen Frauen häufiger Heilmittelbehandlungen als Männern.
Diabetes häufigster Verordnungsgrund
Der häufigste Grund für eine Heilmittelverordnung war Diabetes mellitus: Diese Diagnose stellten Ärzte 2022 bei 17,8 Prozent der pflegebedürftigen Heilmittelpatienten (143.000 AOK-Versicherte) als Behandlungsanlass. Nahezu ebenso groß ist mit 17,2 Prozent der Anteil der Patienten mit Symptomen, die das Nervensystem und das Muskel-Skelett-System betreffen (137.600 AOK-Versicherte). Der überwiegende Teil der pflegebedürftigen Versicherten ab 65 erhielt Physiotherapie (35,2 Prozent), gefolgt von Podologie-Behandlungen (10 Prozent). Am häufigsten abgerechnet wurde die „normale“ Krankengymnastik (40,8 Prozent aller Behandlungen), mit großem Abstand gefolgt von der Manuellen Lymphdrainage (13,8 Prozent) und von Krankengymnastik auf neurologischer Basis (12,4 Prozent). Werden alle Altersgruppen in die Berechnung einbezogen, dann bedeutet das: Auf knapp drei Prozent aller AOK-Versicherten entfallen 31 Prozent der Heilmittelausgaben.
Ein Vergleich der Verordnungen in den verschiedenen Pflegesituationen zeigt: Bei Menschen, die von einem ambulanten Pflegedienst zu Hause gepflegt werden, ist die Behandlungsrate mit Heilmitteln am höchsten. In dieser Gruppe erhielten 47,9 Prozent der Pflegebedürftigen eine Heilmitteltherapie. Von den vollstationär versorgten Pflegeheim-Bewohnenden bekamen 46,4 Prozent mindestens eine Behandlung. Bei den Menschen in häuslicher Pflege ohne professionelle Unterstützung durch einen Pflegedienst war die Behandlungsrate von 40 Prozent dagegen niedriger. „In der differenzierten Betrachtung fällt auf, dass vor allem Menschen mit dem höchsten Pflegegrad fünf, die im Pflegeheim leben, seltener mit Heilmitteln therapiert werden – möglicherweise, weil sie sich oftmals in der letzten Lebensphase befinden oder zu fragil und krank sind, um von einer Heilmitteltherapie zu profitieren“, kommentierte WIdOGeschäftsführer Helmut Schröder die Ergebnisse.
Eine spezielle Auswertung zur podologischen Versorgung von Pflegebedürftigen mit Diabetes mellitus zeigt, dass Bewohner von Pflegeheimen deutlich häufiger eine entsprechende Therapie bekommen als Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Das gilt für fast alle Altersgruppen ab 65 Jahre und über alle Pflegegrade hinweg. „Dies deutet darauf hin, dass Bewohnende von Pflegeheimen trotz gleicher Pflegegrad-Einstufung häufiger einen erhöhten Versorgungsbedarf haben. Zudem können podologische Behandlungsangebote im stationären Setting aufwandsärmer organisiert werden und mehr Erkrankte erreichen, als dies bei individuellen Terminvereinbarungen und Besuchen im heimischen Umfeld möglich ist“, so Helmut Schröder.
Regionale Unterschiede
Der Heilmittelbericht beleuchtet erstmals auch regionale Unterschiede bei der Verordnung von Heilmitteln für ältere Pflegebedürftige. Die Ergebnisse, aus denen die Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsverteilung sowie in der Pflegeschwere herausgerechnet wurden, zeigen eine überdurchschnittliche Heilmittel-Versorgung von pflegebedürftigen AOK-Versicherten ab 65 Jahren in Sachsen, Thüringen, im Süden von Sachsen-Anhalt, im südlichen Brandenburg sowie im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns. Im Westen Deutschlands gibt es nur einzelne Regionen mit vergleichbar hohen Verordnungszahlen. „Hierbei dürften Unterschiede im Versorgungsbedarf und in den Angebotsstrukturen eine Rolle spielen“, vermutet WIdO-Chef Schröder.
Der Heilmittelumsatz, also die Summe aus den Leistungsausgaben der GKV und den Zuzahlungen der Patienten, betrug 2022 rund 11,1 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 4,02 Milliarden Euro auf Verordnungen für AOK-Versicherte. Damit lag der Heilmittelumsatz 2022 um knapp acht Prozent über dem des Vorjahres. Zum Vergleich: 2013 waren es noch 5,4 Milliarden Euro. „Damit erreichen die Heilmittel-Ausgaben einen neuen Höchstwert. Wenn man sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre anschaut, dann haben sich die Ausgaben in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt“, betont Schröder. 2022 wurden für die rund 73 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt 37,8 Millionen Heilmittelverordnungen abgerechnet. Das sind gut 317 Millionen einzelne Behandlungen.
Allgemeinärzte Hauptverordner
2022 haben sich laut Bundesarztregister 152.697 Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlich Versicherten beteiligt. Rein rechnerisch hat jeder Arzt 2022 genau 2.079 Behandlungssitzungen für GKV-Patienten verordnet. Die Beteiligung der Fachdisziplinen war unterschiedlich: Die größte Facharztgruppe – mit einem Anteil von 24,6 Prozent an allen Ärzten – bildeten die Allgemeinmediziner, die auch in der Verordnungsstatistik den ersten Rang belegen: Knapp 33 Prozent aller Verordnungen erfolgten durch diese Gruppe. Eine weitere verordnungsintensive Facharztgruppe stellten die Orthopäden dar, die im Bundesärzteregister zusammen mit den Chirurgen ausgewiesen werden. Diese haben 2022 zusammen 30,6 Prozent der Behandlungen verordnet, durchschnittlich je Arzt waren das 6.507 Behandlungen.
Rückgang bei Physiotherapie
Rund 35,8 Millionen Leistungen der Physikalischen Therapie und der Physiotherapie mit 254 Millionen einzelnen Behandlungen wurden 2022 für GKV-Versicherte abgerechnet. Durchschnittlich haben jeweils 1.000 GKV-Versicherte rund 486 physiotherapeutische Leistungen mit zusammen 3.454 Behandlungen erhalten. Das ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent bei den Leistungen je 1.000 Patienten, beziehungsweise um 1,7 Prozent bei den Behandlungen. Der Umsatz der abgerechneten Physiotherapie betrug GKV-weit 7,8 Milliarden Euro, davon war ein Anteil von 2,7 Mrd. Euro für Therapien für AOK-Versicherte. Die Kosten für jeweils 1.000 GKV-Versicherte betrugen 106.306 Euro, was einem Zuwachs von 6,4 Prozent entspricht. Die in 2022 abgerechnete durchschnittliche physiotherapeutische Leistung ohne Zusatzleistungen kostete in der GKV 201 Euro, mit Zusatzleistungen 219 Euro. Für rund 4,3 Mio. AOK-Versicherte wurden physiotherapeutische Maßnahmen abgerechnet; mit 155 je 1.000 AOK-Versicherten sank die Patientenrate um 0,9 Prozent.
Etwas weniger Ergotherapien
Rund 3,4 Millionen ergotherapeutische Leistungen mit einem Umfang von etwa 29 Millionen Behandlungen wurden 2022 für GKV-Versicherte abgerechnet. Für jeweils 1.000 GKV-Versicherte wurden im Schnitt 46 Leistungen mit zusammen 393 Behandlungssitzungen abgerechnet. Damit sind die Leistungen je 1.000 GKV-Versicherte um 1,2 Prozent gesunken und die Behandlungen je 1.000 um 0,9 Prozent. Der Umsatz für die Versorgung der GKV-Versicherten mit ergotherapeutischen Maßnahmen belief sich auf rund 1,7 Milliarden. Euro (AOK: 641 Mio. Euro). Die durchschnittlichen Kosten für eine ergotherapeutische Leistung ohne Zusatzleistungen, etwa Hausbesuchspauschalen oder Wegegelder, lagen 2022 GKV-weit bei 452 Euro. Mit Zusatzleistungen waren es 501 Euro.
Anstieg bei Sprachtherapien
Bei den Sprachtherapien für GKV-Versicherte war ein Anstieg der Behandlungen um 8,2 Prozent zu verzeichnen. Er ist in erster Linie auf die Einführung eines neuen Verordnungsberichtes im März 2021 zurückführen, der zusätzlich zur eigentlichen therapeutischen Leistung am Patienten in der Regel einmal erstellt werden muss.
2022 wurden 3,58 Millionen sprachtherapeutische Heilmittelleistungen mit einem Umfang von 19 Millionen einzelnen Behandlungen abgerechnet. Im Durchschnitt wurden 258 sprachtherapeutische Behandlungen in 49 Leistungen für jeweils 1.000 GKV-Versicherte abgerechnet. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 18,5 Prozent mehr Leistungen und 8,4 Prozent mehr Behandlungen je 1.000 Versicherte.
Der Umsatz für die Versorgung der GKV-Versicherten mit sprachtherapeutischen Maßnahmen betrug 1,2 Milliarden Euro. Der Umsatz pro 1.000 GKV-Versicherte lag 2022 bei 16.248 Euro und damit um 12,2 Prozent über dem Umsatz des Vorjahres. Eine 2022 abgerechnete sprachtherapeutische Leistung ohne Zusatzleistung kostete im Bundesdurchschnitt 313 Euro, mit Zusatzleistung 335 Euro.
Zuwachs bei Podologie
Knapp 3,6 Millionen podologische Leistungen mit zusammen 15 Millionen Behandlungssitzungen wurden 2022 für die GKV-Versicherten abgerechnet. Auf 1.000 GKV-Versicherte entfielen jeweils 48 Leistungen mit zusammen 204 Behandlungen.
Die Leistungen je 1.000 Patienten sind gegenüber 2021 um 3,6 Prozent angestiegen, die Behandlungen um 37,2 Prozent. Die 2022 abgerechneten podologischen Therapien haben einen Gegenwert von 360,7 Millionen Euro, wobei 150,7 Millionen Euro auf Therapien für AOK-Versicherte zurückgehen. Auf jeweils 1.000 GKV-Versicherte entfielen rein rechnerisch Therapien im Wert von 4.896 Euro, das sind 21,9 Prozent mehr als 2021.
Eine durchschnittliche podologische Leistung kostete ohne Zusatzleistungen wie Hausbesuche oder Wegepauschalen 96 Euro und mit Zusatzleistungen 102 Euro.
Der Heilmittelbericht des WIdO ist hier abrufbar: www.wido.de