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Interview zum Krankenhaus-Report 2025

Hochaltrige Patienten: Ambulante Versorgung spielt zentrale Rolle

David Scheller-Kreinsen, Mitherausgeber des Krankenhaus-Reports 2025, über Demografiewandel und ambulante Behandlungsoptionen für Menschen jenseits der 80.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Möglichst im bekannten Umfeld versorgt werden. Das kann gelingen, wenn die Schnittstelle zwischen Pflege und ambulanter Akutversorgung verbessert wird.

Möglichst im bekannten Umfeld versorgt werden. Das kann gelingen, wenn die Schnittstelle zwischen Pflege und ambulanter Akutversorgung verbessert wird.

© Kzenon / stock.adobe.com

Herr Dr. Scheller-Kreinsen, der aktuelle Krankenhaus-Report des WIdO beleuchtet schwerpunktmäßig die Versorgung hochaltriger Patienten. Warum haben Sie und Ihre Kollegen sich für dieses Thema entschieden?

Die Gruppe der Menschen, die 80 Jahre oder älter sind, wird bis 2050 um rund drei Millionen Menschen anwachsen – von derzeit sechs Millionen auf 9,1 Millionen. Gleichzeitig werden wir in 25 Jahren rund fünf Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter weniger haben als heute. Das heißt, wir haben immer weniger Beitragszahler, immer weniger Menschen in Gesundheitsberufen, aber gleichzeitig steigenden Versorgungsbedarf.

Dieser doppelte demografische Wandel wird unser Gesundheitswesen und unsere Gesellschaft personell und finanziell überfordern, wenn wir nichts ändern. Also müssen wir schauen, wie wir die begrenzten Ressourcen einsetzen.

Welche Möglichkeiten gibt es?

Effektiver – auch im Sinne der hochaltrigen Menschen – wäre es in vielen Fällen, Patienten ambulant und pflegerisch statt stationär in Kliniken zu versorgen. Um bei der Ambulantisierung die niedergelassenen Ärzte zu entlasten, könnten bestimmte medizinische Leistungen von nicht-ärztlichen Fachkräften, beispielsweise von sogenannten Flying Nurses, übernommen werden.

Spezialisierte Pflegekräfte könnten in interprofessionellen Teams Blutentnahmen und Infusionen durchführen, Katheter legen und überwachen, aber gegebenenfalls auch Einstellungen bei Schmerztherapien vornehmen. Letztlich geht es um Delegation und Substitution.

Dr. David Scheller-Kreinsen ist stellv. Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Krankenhaus-Reports 2025.

Dr. David Scheller-Kreinsen ist stellv. Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Krankenhaus-Reports 2025.

© AOK-Bundesverband

Das WIdO hat in den vergangenen Jahren mehrfach über die Fallzahl-Rückgänge insbesondere bei den ambulant-sensitiven Diagnosen wie Diabetes und Herzinsuffizienz berichtet. Müssten in den Krankenhäusern durch die dauerhaft gesunkenen Fallzahlen nicht Kapazitäten frei sein, um auch die Versorgung der zunehmenden Zahl von Hochbetagten zu bewältigen?

Krankheitsbilder, die wir ambulant versorgen können, sollen nicht im Krankenhaus behandelt werden, weil dort gerade ein Bett frei geworden ist.

Man darf nicht unterschätzen, dass Krankenhausaufenthalte bei Patienten Transferstress auslösen, Infektionsrisiken steigern oder sich durch lange Liegezeiten der physische und psychische Parameter verschlechtern können.

Freigewordene Kapazitäten werden wir außerdem angesichts des erwähnten doppelten demografischen Wandels für die steigende Zahl der Fälle älterer Menschen benötigen, die wirklich auf eine stationäre Versorgung angewiesen sind.

Eine grundlegende Strukturänderung benötigt Zeit. Welche kurzfristigen Maßnahmen könnten das Gesundheitssystem entlasten?

Ja, es geht bei den genannten Maßnahmen teilweise um eine mittelfristige Perspektive. Kurzfristig stellt sich die Frage, ob wir innerhalb des bestehenden regulativen Rahmens über Digitalisierung und Telemedizin Fortschritte erzielen können.

So könnten Ärzte, die heute noch vor Ort behandeln, aus der Ferne per Videoübertragung kundige Pflegekräfte instruieren. Einen wichtigen Beitrag kann hier die konsequente Nutzung der elektronischen Patientenakte sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich leisten. Außerdem gibt es deutliche empirische Hinweise darauf, dass auch im bestehenden Rahmen ganz viel getan werden kann, um Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.

Der WIdO-Report zeigt große regionale Unterschiede bei den vermeidbaren Krankenhausaufenthalten. Wie interpretieren Sie dieses Phänomen?

Wir konnten zeigen, dass in einigen Bundesländern bereits unter den heutigen Bedingungen deutlich weniger vermeidbare Klinikaufenthalte stattfinden als in anderen Bundesländern. Dabei spielt die Angebotsstruktur eine große Rolle. Wo es besonders viele Krankenhäuser und veraltete Krankenhausstrukturen gibt, landen auch besonders viele Hochaltrige in der Klinik. Das zeigt auch, dass es bei diesem Thema große Gestaltungsmöglichkeiten für die Akteure vor Ort aber auch für Politik gibt, um die Versorgung dieser Zielgruppe zu verbessern. Hier geht es selbstverständlich insbesondere auch um eine bessere Verzahnung der verschiedenen Versorgungsangebote.

Sie sagten, dass hochaltrige Menschen im Alltag in der ambulanten Versorgung oft besser aufgehoben sind als in Kliniken. Auch wenn manche medizinische Leistungen künftig von nichtärztlichen Fachkräften übernommen werden, dürfte dies Haus- und Fachärzten vor neue Herausforderungen stellen. Welche Hürden sehen Sie?

Richtig ist, dass ambulante Versorgungsstrukturen eine zentrale Rolle bei der Versorgung hochaltriger Menschen spielen. Gefragt sind Handlungssicherheit bei Multimorbidität, bei kognitiven Einschränkungen, etwa Demenz.

All das hat gerade die Primärversorgung schon auf der Agenda. Im übrigen stehen in einer alternden Gesellschaft die Klinikärzte vor denselben Herausforderungen. Dennoch wird es entscheidend sein, die Handlungskompetenz im Umgang mit geriatrischen Patientinnen und Patienten weiter zu stärken.

Entscheidend ist aus meiner Sicht dabei, die Schnittstelle zwischen ambulanter Akutversorgung und dem Pflegesetting zu verbessern. Das heißt: Werden zu Hause oder im Pflegeheim auffällige Symptome oder veränderte Vitalparameter sichtbar, muss es möglich sein, schnell ambulanten ärztlichen Rat und gegebenenfalls eine entsprechende Diagnostik, etwa ein Langzeit-EKG oder Laboruntersuchungen, zu erhalten.

Heute ist es oft so, dass Patienten bei Auffälligkeiten standardmäßig ins Krankenhaus verlegt werden. Stattdessen müssen wir die ambulante Medizin in interprofessionellen Teams stärken.

Was sind nach den Erkenntnissen des Krankenhaus-Reports die größten Probleme bei der Klinikversorgung Hochbetagter?

Im Wesentlichen lassen sich zwei Handlungsfelder identifizieren. Erstens: Die innerbetrieblichen Herausforderungen in den Kliniken, die etwas mit der Organisation, Qualifikation und den Prozessen zu tun haben.

Beispiel Pflege: Hier sollte der Fokus verstärkt auf psychosoziale und demenzspezifische Versorgungsbedarfe von Hochbetagten liegen, etwa durch Schulungen der Beschäftigten. In diesen Bereich fällt auch ein verbesserter Umgang mit Polypharmazie, beispielsweise durch digitales Medikamenten-Management. Für den Bereich Notaufnahme braucht es zudem Konzepte für Fälle mit unspezifischer Symptomatik und multidimensionalen Risikofaktoren.

Was ist noch wichtig?

Die zweite große Herausforderung betrifft Versorgungspfade und die Strukturen der Versorgung. Dabei geht es einerseits um die bereits erwähnte Vermeidung nicht notwendiger Krankenhausaufenthalte durch Auflösung der ambulanten und pflegerischen Versorgungsdefizite bei Hochbetagten sowie um eine bessere Verzahnung und Integration von Behandlungsketten.

Das betrifft insbesondere die prä- und poststationäre Versorgung, die mehr Gewicht erhalten und besser mit der Krankenhausversorgung verbunden werden muss.

Bei der Reform der Krankenhausstrukturen wird es zentral sein, dass, neben der Zentralisierung, wirklich stringent ein Umbau in Richtung der ambulanten Strukturen erfolgt. So sollten die beispielsweise die sogenannten „Sektorenübergreifenden Versorger“ im Regelfall keine vollstationäre Versorgung erbringen, sondern konsequent auf ambulante Leistungen und kurzstationäre allgemein-medizinische Versorgung zur Vermeidung von Krankenhausaufenthalten ausgerichtet werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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