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Diabetes-Experte Professor Stephan Jacob

„Ich glaube an die Macht der Motivation“

Bei rund 6,7 Millionen Menschen in Deutschland wurde ein Diabetes mellitus diagnostiziert. 90 Prozent davon leiden an einem Typ-2-Diabetes. Professor Stephan Jacob von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) erklärt, wie medizinische Behandlung und Lebensstilveränderung ineinanderwirken und wie der Online-Coach der AOK die Patienten motivieren kann.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Über den Online-Coach erhalten Diabetes-Patienten in verschiedenen Modulen etwa Tipps, wie sie die oft notwendigenÄnderungen des Lebensstils angehen können.

Über den Online-Coach erhalten Diabetes-Patienten in verschiedenen Modulen etwa Tipps, wie sie die oft notwendigen Änderungen des Lebensstils angehen können.

© apops / stockadobe.com

Herr Professor Jacob, wenn wir durch die Corona-Pandemie nicht eingeschränkt wären, wären Sie in diesen Tagen bei einem Kongress in Peking. Jetzt haben Sie ihren Vortrag online gehalten. Ist Diabetes international ein großes Thema?

Professor Stephan Jacob: Ja, die Erkrankungszahlen bei Diabetes sind mit rund 430 Millionen Betroffenen weltweit sehr hoch. In den Vereinigten Arabischen Emiraten ist beispielsweise jeder dritte Bewohner betroffen, in den USA jeder Vierte, China hat mehr als 110 Millionen Diabetiker, in Indien sind es rund 73 Millionen. Dass die Menschen heutzutage vor allem an Bauchfett zulegen und sich dies auf den Stoffwechsel schädigend auswirkt, ist international ein Thema. Kulturell ist der Umgang damit unterschiedlich.

Während übergewichtige Menschen in den USA in der Öffentlichkeit sichtbar sind, wird Adipositas in Deutschland eher tabuisiert. Wer zu viel Kilo mit sich herumträgt, wird hierzulande oft aus dem sozialen Leben ausgegrenzt.

Professor Stephan Jacob

  • ist Diabetologe und führt gemeinsam mit seiner Frau eine eigene Praxis für Prävention und Therapie in Villingen-Schwenningen.
  • Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Herz engagiert er sich zudem in der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

Um das eigene Gewicht zu reduzieren, muss die Kalorienzufuhr gedrosselt und die körperliche Aktivität erhöht werden. So empfehlen es die Leitlinien und das Disease-Management-Programm Diabetes. Funktioniert das in der Praxis?

Jedes Kind weiß, dass Bewegung guttut und zu viel Essen schadet. Die Vorgaben sind bekannt. Das zentrale Problem ist die Umsetzung. Als Arzt versuche ich den Patienten Zeit zu geben und geduldig zu sein. Wer die Diagnose Diabetes erhält, ist zunächst einmal sehr betroffen und verunsichert. Nicht selten macht er sich Vorwürfe, dass er beispielsweise mehr auf seinen Lebensstil hätte achten sollen. Als Arzt möchte ich die Betroffenen dabei unterstützen, gesundheitsschädliche Gewohnheiten zu verändern. Dazu brauche ich Empathie, Geduld, Zeit – also das Repertoire der sprechenden Medizin.

„Ich glaube an die Macht der Motivation“

© AOK

Wie gehen Sie vor?

Als Basis für die Behandlung schreiben meine Patienten drei Tage lang ein Ernährungsprotokoll. Danach lade ich sie ein, ihre Vorlieben zu reflektieren: „Bin ich ein Süßer? Ein Snacker? Ein Abendesser?“ Jüngst kam ein Mann zu mir in die Behandlung – 38 Jahre alt, 200 Kilo schwer. Er hatte einen Schlaganfall als Folge seiner Diabetes-Erkrankung erlitten. ,Gemüse ist blöd, ich bin kein Hase‘, sagte er pauschal zu mir.

„Ich glaube an die Macht der Motivation“

© Privat

Gemeinsam haben wir gesucht, was ihm dennoch schmecken könnte. Und siehe da – plötzlich fielen ihm Rotkraut, Wirsing und anderes ein. Es geht nicht darum, eine Tabelle abzuheften, sondern dem Menschen, der einem gegenübersitzt, neue Einsichten zu vermitteln. Ich glaube an die Macht der Motivation. Oftmals spielen bei Diabetes auch soziale Faktoren eine Rolle – beispielsweise Stress durch drohende oder bestehende Arbeitslosigkeit, durch Konflikte oder durch eine hohe Arbeitsbelastung.

In meiner früheren Zeit als Ärztlicher Direktor einer Rehaklinik habe ich gesehen, wie toll und intensiv eine Lebensstilumstellung die Risikofaktoren verbessern kann. Natürlich sollten sie im normalen Alltag weitergeführt werden. Heute versuche ich, meine Patienten in meiner Praxis dabei zu begleiten.

Es geht nicht darum, eine Tabelle abzuheften, sondern dem Menschen, der einem gegenübersitzt, neue Einsichten zu vermitteln

In der Behandlung von Diabetikern stehen die medikamentösen Therapieoptionen oft sehr im Vordergrund – zu Recht?

Der Diabetes ist – wenn er unbehandelt bleibt – eine bösartige Erkrankung, die viele Komplikationen mit sich zieht. Daher müssen wir die Betroffenen aufklären und schulen sowie alle therapeutischen Register ziehen. Dazu gehört immer der Verweis auf einen gesünderen Lebensstil, aber auch die richtige medikamentöse Therapie. Denn wir haben heute sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die deutlich machen, dass nur durch einen breiten therapeutischen Ansatz und eine gute Risikofaktoren-Kontrolle die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert werden kann. Wenn es gelingt, einen aktiven Lebensstil aufzubauen, lassen sich darüber die Kosten für Arzneimittel einsparen.

Welche Rolle können Angebote wie der neue Online-Coach der AOK bei der Motivation und Begleitung der Patienten spielen?

Der Online-Coach ist eine deutliche Verbesserung. Zwar gibt es keine persönliche Begegnung, aber über die darin angebotenen Filme findet auch ein emotionales Lernen statt. Die Betroffenen brauchen begleitend praktische Tipps, frische Ideen und Inspiration, was sie gegen das Fortschreiten ihrer Erkrankung oder die Verschlimmerung aufgrund von Komplikationen machen können.

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