Qualitätssicherung im Krankenhaus
Routine rettet Leben: Wie Mindestmengen die Kliniklandschaft verändern
Immer weniger Kliniken dürfen besonders anspruchsvolle Operationen durchführen. Die neuen Mindestmengen-Zahlen zeigen: Die Versorgung konzentriert sich zunehmend auf erfahrene Zentren. Für Niedergelassene bietet das Instrument zugleich Orientierung bei Einweisungen und Kooperationsentscheidungen.
Veröffentlicht:
Mindestmengen gelten für planbare, hochkomplexe Behandlungen, bei denen nachweislich ein Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnis besteht. Das ist etwa bei Knie-TEP der Fall.
© ATRPhoto / stock.adobe.com
Die aktuelle Transparenzkarte der AOK für 2026 belegt: Bei komplexen Eingriffen wie Pankreasoperationen, Knieendoprothesen oder Brustkrebschirurgie sinkt die Zahl der Klinikstandorte deutlich.
Hinter dieser Entwicklung steht ein über Jahre weiterentwickeltes Instrument zur Qualitätssicherung, das im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen und von den Krankenkassen umgesetzt wird. Ziel ist es, Patientensicherheit durch Routine zu gewährleisten und die stationäre Versorgung stärker an nachweisbarer Qualität auszurichten.
Steigende Überlebenschancen
Die Zahl der Krankenhäuser, die Pankreasoperationen durchführen dürfen, sinkt weiter. Für 2026 listet die AOK-Transparenzkarte bundesweit noch 286 Standorte – knapp ein Drittel weniger als 2023. Grund ist die seit Anfang 2025 geltende höhere Mindestmenge von 20 Eingriffen pro Jahr.
Studien belegen eindeutig: Je häufiger ein Team bestimmte Eingriffe durchführt, desto besser sind die Ergebnisse. „Die Entwicklung zeigt, dass Mindestmengen wirken“, betonte AOK-Bundesverbandsvorständin Dr. Carola Reimann bei der Vorstellung der Zahlen. Bei den Pankreas-Op handele es sich um relativ selten durchgeführte und hochkomplexe Eingriffe, die hohe fachliche Anforderungen stellten und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team erforderten. Daher sei die Konzentration an weniger Standorten mit ausreichend Routine positiv.
Auch in anderen Leistungsbereichen verdichtet sich die Versorgung. Bei der Implantation von Kniegelenk-Totalendoprothesen sinkt die Zahl der berechtigten Standorte 2026 auf 821 (minus acht Prozent). Besonders stark betroffen ist Nordrhein-Westfalen, wo die Zuweisung von Leistungsgruppen im Zuge der Krankenhausplanung bereits greift.
Daran sehe man, wie wichtig eine konsequente Umsetzung der Krankenhausreform einschließlich verbindlicher Qualitätsvorgaben sei, betont AOK-Vorständin Carola Reimann. Die Effekte einer „qualitätsorientierten Bündelung von Leistungen“ an geeigneten Standorten würden sich mit der Umsetzung der Krankenhausreform hoffentlich bundesweit fortsetzen.
Neue Regelung für Herztransplantationen
Erstmals sind in der AOK-Übersicht 14 Kliniken verzeichnet, die 2026 Herztransplantationen durchführen dürfen. Der G-BA hatte 2023 eine Mindestmenge von zehn Eingriffen pro Jahr beschlossen – eine Zahl, die die hochkomplexe Operation an erfahrene Zentren bindet. Damit umfasst die Mindestmengenregelung inzwischen zehn Leistungsbereiche – von Transplantationen über Frühgeborenenversorgung bis hin zu onkologischen Operationen. Bei Stammzelltransplantationen stabilisiert sich der Konzentrationsprozess nach deutlichen Rückgängen der vergangenen Jahre, was auf eine gereifte Versorgungsstruktur hindeutet.

Bei der Versorgung sehr kleiner Frühchen fallen 2026 sechs Zentren weg.
© Toshi Photography / stock.adobe.com
Bei der Behandlung extrem kleiner Frühgeborener scheiden 2026 sechs Zentren aus, nachdem die Mindestmenge 2024 von 20 auf 25 Geburten angehoben worden war. Die Datenlage ist eindeutig: Je mehr Erfahrung ein Team mit diesen Hochrisiko-Geburten hat, desto besser die Überlebenschancen.
Bei Brustkrebs-Op verringert sich die Zahl der Standorte um vier Prozent, bei thoraxchirurgischen Lungenkrebseingriffen um ein Prozent. Nur bei Operationen an der Speiseröhre zeigt sich ein leichter Anstieg auf 111 berechtigte Standorte – ein Hinweis auf stabile Nachweisverfahren und angepasste Strukturen. Langfristig zeigt sich: Mindestmengen führen nicht zu Lücken, sondern zu klareren Aufgabenverteilungen.
Wie Mindestmengen entstehen
Mindestmengen gelten für planbare, hochkomplexe Behandlungen, bei denen nachweislich ein Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnis besteht. Sie sollen gewährleisten, dass solche Eingriffe nur dort stattfinden, wo ausreichende Routine vorhanden ist. Beschlossen werden die Schwellenwerte vom G-BA, in dem Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser gemeinsam über die Qualität der Versorgung entscheiden. Grundlage sind Literaturanalysen, Folgenabschätzungen und Stellungnahmen der Fachgesellschaften.
Die konkrete Zahl einer Mindestmenge ist letztlich ein normativer Beschluss – sie soll eine Balance zwischen Patientensicherheit und flächendeckender Versorgung herstellen.
Orientierung für einweisende Ärzte
Ob eine Klinik eine Mindestmengen-Leistung erbringen darf, entscheiden die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen anhand der jährlichen Prognosen der Krankenhäuser. Diese müssen ihre Fallzahlen offenlegen; die Kassen prüfen die Angaben und stimmen der Klinik-Prognose zu – oder widersprechen bei begründeten Zweifeln. Dieses Verfahren, das seit 2019 gilt, hat sich als verbindliche Grundlage etabliert.
Die Ergebnisse fließen in die Transparenzkarte der AOK-Gemeinschaft ein. Sie ermöglicht es Ärztinnen und Ärzten, bei Überweisungen gezielt jene Kliniken auszuwählen, die über ausreichende Routine verfügen. Früher wurden die Mindestmengen aufgrund ungeregelter Tatbestände und fehlender Sanktionsmöglichkeiten oftmals nicht konsequent umgesetzt.
Seit Mitte 2019 dürfen Krankenhäuser eine Mindestmengen-Leistung nur noch erbringen, wenn sie eine positive Prognose der Krankenkassen erhalten. Fehlt diese, entfällt auch der Vergütungsanspruch. Damit wurde ein jahrelanger Graubereich beendet.
Diese Nachschärfungen der Mindestmengen-Regelungen zeigen Wirkung: Die Mindestmengen-Transparenzkarte der AOK zeigt für 2026 insgesamt 1.006 Krankenhaus-Standorte, die die Erlaubnis zur Durchführung von mindestmengenrelevanten Operationen erhalten haben. In der ersten Karte von 2019 waren es noch insgesamt 1.201 Standorte.
Evaluation der Mindestmengen
Im Sommer 2025 hat der G-BA beschlossen, die Auswirkungen der bestehenden Mindestmengen systematisch zu evaluieren. Dafür werden erstmals bundesweit Versichertendaten der Krankenkassen mit Informationen aus den Leistungserbringerstrukturen zusammengeführt.
Nach Pseudonymisierung und Zusammenführung durch eine Vertrauensstelle werden die Daten an das IQTIG übermittelt. Ziel ist es, Nutzen und mögliche Nebenwirkungen der Mindestmengen – etwa auf Erreichbarkeit und Versorgungszugang – wissenschaftlich zu bewerten.
Die Ergebnisse sollen in die Weiterentwicklung der Regelungen einfließen. Bei der Übermittlung und Verarbeitung der Evaluationsdaten gelten höchste Datenschutz-Standards; ein Rückschluss auf einzelne Patientinnen und Patienten wird durch die angewendeten Verfahren zur Anonymisierung und Pseudonymisierung der Daten verhindert.
Neue Leistungsbereiche in Vorbereitung
Der Gemeinsame Bundesausschuss plant derzeit eine Ausweitung des Instruments. Zwei neue Mindestmengen für die kolorektale Chirurgie sollen ab 2027 verbindlich werden. Für Operationen bei Magenkarzinom und größere Leberresektionen ist eine Übergangsphase bis 2029 vorgesehen.
Darüber hinaus wird über Mindestmengen bei zwei seltenen angeborenen Fehlbildungen – anorektale Malformationen und Morbus Hirschsprung – beraten. Weil die Studienlage hier begrenzt ist, wendet der G-BA erstmals ein erweitertes methodisches Verfahren an, das klinische Erfahrung einbezieht.
Langfristig könnten solche Verfahren helfen, Mindestmengen auch in Bereichen festzulegen, in denen klassische Studiendaten fehlen. Damit öffnet sich die Tür für eine flexiblere, aber weiterhin wissenschaftsbasierte Weiterentwicklung der Qualitätsinstrumente.
Instrument mit Steuerungskraft
Die aktuellen Zahlen verdeutlichen, dass Mindestmengen längst die Krankenhauslandschaft prägen. Für Patienten bedeutet das mitunter weitere Wege, zugleich aber eine nachweislich höhere Behandlungsqualität. Für Krankenhäuser stellen die Regelungen eine erhebliche Planungsaufgabe dar – Personal, Fallströme und Kooperationen müssen neu justiert werden.
Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte entsteht eine neue Form von Orientierung: Die Transparenzkarte macht sichtbar, welche Häuser über ausreichende Routine verfügen, und trägt so zu einer vernetzten, qualitätsorientierten Versorgung bei, in der Routine zum entscheidenden Qualitätsfaktor wird.
Eine positive Prognose können allerdings auch Kliniken erhalten, die die notwendige Zahl von Operationen aus organisatorischen oder personellen Gründen nicht erbracht haben – aber glaubhaft nachweisen konnten, dass die Gründe dafür ausgeräumt wurden. So wurden in den vergangenen Jahren in den Entscheidungsrunden beispielsweise die COVID-19-Pandemie und die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Mindestmengen berücksichtigt.
Es gibt Ausnahmen
Die Mindestmengen-Transparenzkarte zeigt auch, welche Kliniken ihre „Leistungserlaubnis“ das erste Mal oder nach einer mindestens zweijährigen Unterbrechung erhalten haben. Diese Krankenhäuser müssen in den ersten zwölf Monaten der Leistungserbringung nur 50 Prozent der erforderlichen Mindestmenge erfüllen und erst im zweiten Jahr muss die geforderte Leistungsmenge vollständig erreicht werden. Leistungszahlen für diese zwei gesonderten Jahre können erst nach Ablauf des jeweiligen Zeitraumes angegeben werden.
Zudem zeigt die Karte die seltenen Fälle, in denen Kliniken ihre Op-Berechtigung durch die zuständige Landesbehörde im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen erhalten haben, um die flächendeckende medizinische Versorgung in dem jeweiligen Land sicherzustellen.
Wo für 2026 Mindestmengen gelten
Im Jahr 2026 gelten Mindestmengen für die Implantation von künstlichen Kniegelenken (50 Fälle pro Jahr), Transplantationen von Leber (20), Niere (25) und Stammzellen (40), komplexe Operationen an der Speiseröhre (26) und an der Bauspeicheldrüse (20), die Versorgung von Früh- und Reifgeborenen mit einem Aufnahmegewicht von unter 1.250 Gramm (25), Brustkrebs-Operationen (100), thoraxchirurgische Behandlungen von Lungenkrebs (75 Fälle) sowie für Herztransplantationen (10 Fälle pro Jahr).
Die Transparenzkarte
Seit 2020 stellt die AOK-Gemeinschaft die Mindestmengen-Transparenzkarte online bereit. Sie zeigt alle Kliniken, die für die Durchführung mindestmengenrelevanter Eingriffe zugelassen sind, inklusive der von den Häusern gemeldeten Fallzahlen. Diese werden jährlich durch die Landesverbände der Krankenkassen geprüft. Kliniken mit vorübergehenden Ausfällen – etwa infolge von Personalwechseln – können unter bestimmten Bedingungen eine befristete Prognosegenehmigung erhalten.
Die Karte wird monatlich aktualisiert und ist öffentlich abrufbar unter: www.aok.de/pp/mindestmengen


