Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

AOK-Umfrage zu Klinikaufenthalten

„Unterschiede im Versorgungserleben sichtbar machen“

Was denken Patienten über ihren Klinikaufenthalt – und wie lässt sich das systematisch erfassen? Patrick Brzoska von der Universität Witten/Herdecke über die Entwicklung des AOK-Fragebogens und seinen Mehrwert für die Klinikwahl.

Von Stefanie Roloff Veröffentlicht:
Prof. Patrick Brzoska ist Inhaber des Lehrstuhls für Versorgungsforschung an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke

Prof. Patrick Brzoska ist Inhaber des Lehrstuhls für Versorgungsforschung an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke

© Universität Witten/Herdecke

Herr Professor Brzoska, auf welche Weise entstand der Fragebogen?

Die Konzeption des Fragebogens erfolgte in einem iterativen, mehrstufigen Prozess mittels qualitativer und quantitativer Methoden. Zentrale Frage war, welche Kriterien Menschen bei der Klinikwahl besonders wichtig sind – um eine fundierte Grundlage für ein wertorientiertes Entscheidungssystem für Patientinnen und Patienten zu schaffen.

Dafür integrierten wir frühzeitig und systematisch die Perspektive der Nutzenden in die Instrumentenentwicklung. Diese begann mit einer umfassenden Recherche bestehender Studien zur Klinikwahl und Versorgungszufriedenheit, um bereits identifizierte Entscheidungskriterien zu sichten und in den Fragebogenentwurf einzubinden.

Dazu zählten die medizinische Qualität, das Ärzteteam, die Pflegequalität, Ausstattung, Wartezeiten und Erfahrungen anderer Patientinnen und Patienten. Auch Aspekte wie der Umgang mit Angehörigen, das Vertrauensverhältnis zum Personal oder die individuelle Unterstützung im Klinikalltag flossen mit ein. Um diese Kriterien zu überprüfen und zu ergänzen, führten wir qualitative Interviews mit Versorgungsnutzerinnen und -nutzern durch. Sie lieferten zusätzliche Informationen darüber, wie Menschen über Kliniken denken, was ihnen im Krankheitsfall wichtig ist, und welche Faktoren ihre Entscheidung für eine Klinik und ihre Zufriedenheit mit einem Klinikaufenthalt maßgeblich beeinflussen.

... und wie ging es dann weiter?

Im Anschluss an die qualitative Erhebungsphase überführten wir die Erkenntnisse in konkrete Frageformulierungen und unterzogen sie einem Verfahren der kognitiven Testung. Dabei wurde überprüft, wie potenzielle Befragte die Fragen verstehen, verarbeiten und beantworten. Ziel war, Missverständnisse, doppelte Interpretationen oder unklare Begriffe zu identifizieren.

In mehreren Durchläufen wurden Befragte gebeten, „laut zu denken“, ihre Assoziationen zu erläutern und Rückmeldungen zur Verständlichkeit und Relevanz der Fragen zu geben. Dies fand Eingang in die sprachliche und strukturelle Überarbeitung des Fragebogens. Die kognitive Testung war zentral für die Sicherung der inhaltlichen Klarheit, der bevölkerungsübergreifenden Verständlichkeit und der Anwendbarkeit des Instruments.

In einem weiteren Schritt ging es darum, den Fragebogen zu validieren, um seine psychometrische Qualität zu überprüfen. In einer größeren Stichprobe wurden die interne Konsistenz, Skalenstruktur sowie der Zusammenhang zu anderen etablierten Instrumenten untersucht. Dies sollte sicherstellen, dass der Fragebogen inhaltlich relevant und sprachlich verständlich ist sowie gleichzeitig statistisch belastbare und interpretierbare Ergebnisse liefert.

Durch die Kombination aus inhaltlicher Fundierung, qualitativer Exploration, kognitiver Testung und quantitativer Validierung entstand ein Fragebogen, der nutzerorientiert ist und den methodischen Standards für Erhebungsinstrumente entspricht.

Wie wurde die Vielfalt der Bevölkerung berücksichtigt?

Ein wesentlicher Teil der Methodik bestand darin, sicherzustellen, dass der Fragebogen die Vielfalt der Bevölkerung adäquat abbildet. Das betrifft einerseits soziodemografische Aspekte wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand oder Migrationsgeschichte, andererseits lebensweltliche Perspektiven – also verschiedene Erfahrungshorizonte im Umgang mit dem Gesundheitssystem.

Wichtig war unter anderem, dass alle Fragen sprachlich klar und verständlich sind, um Menschen mit unterschiedlichem Bildungsstand sowie Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, das Ausfüllen zu erleichtern. Auch eine potenzielle Übersetzung in andere Sprachen und die Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Sprachversionen war Teil der Konzeption. Neben der deutschsprachigen Version entstand auch eine validierte türkischsprachige Fassung.

Generell ist die Zufriedenheit mit den Krankenhäusern ja recht hoch. Welchen Mehrwert hat dann eine solche Befragung für die Klinikwahl?

Tatsächlich zeigen Erhebungen in Deutschland und anderen Ländern, dass die Zufriedenheit mit dem Klinikaufenthalt oft auf einem hohen Niveau ist. Das mag den Eindruck erwecken, dass Befragungen zur Patientenzufriedenheit oder zu subjektiven Behandlungserfahrungen wenig differenzierende Aussagen liefern – gerade weil die Bewertungen insgesamt so gut ausfallen. Der Mehrwert liegt jedoch darin, Unterschiede im Erleben und in der Wahrnehmung von Versorgung zwischen einzelnen Patientengruppen, Regionen und Einrichtungen sichtbar zu machen.

Das hohe Zufriedenheitsniveau unterstreicht den Wert eines Instruments, das hilft, innerhalb eines insgesamt gut bewerteten Systems jene Unterschiede zu zeigen, die für individuelle Entscheidungen und institutionelles Lernen entscheidend sind. Differenzierte Befragungsergebnisse ermöglichen es Kliniken, gezielt an den Stellen nachzuschärfen, die von Patientinnen und Patienten als verbesserungswürdig wahrgenommen werden.

Warum wurde ein eigener Fragebogen für Mütter entwickelt, die in einer Klinik entbunden haben?

Ein besonderer Aspekt der Fragebogengestaltung war die Entwicklung eines spezifischen Instruments für Mütter, die zur Geburt ihres Kindes im Krankenhaus waren. Diese Zielgruppe wurde separat berücksichtigt, da ihre Erfahrungen mit dem Krankenhauswesen deutlich spezifischer und situativer geprägt sind.

Die Geburt eines Kindes bedeutet einen Krankenhausaufenthalt, bei dem nicht nur medizinische, sondern auch emotionale, organisatorische und soziale Faktoren eine große Rolle spielen. Außerdem betrifft die Erfahrung nicht nur die Versorgung der Mütter, sondern auch die der Babys. Der Fragebogen enthält unter anderem Fragen zur geburtshilflichen Versorgung, zur Kommunikation mit dem medizinischen Personal, Schmerzbehandlung, Betreuung nach der Geburt, Einbindung von Partner oder Partnerin sowie zur Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen.

Dabei zählen auch Aspekte wie das Sicherheitsempfinden während der Geburt, die Wahrung der Intimsphäre oder Möglichkeiten zur Mitentscheidung. So kann die Perspektive von Müttern differenziert erfasst werden. Das liefert wertvolle Hinweise für die Verbesserung der Versorgungsqualität in Geburtskliniken.

Vielen Dank für das Gespräch!

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