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Lungenkrebs

Von der Vergütungslücke zum Versorgungsproblem?

In der Behandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC) fand in den vergangenen Jahren eine kleine Revolution statt; seit 2009 führen zielgerichtete Therapien dazu, dass Menschen mit Lungenkrebs immer länger überleben – und dass bei besserer Lebensqualität. Die Voraussetzung für diese präzise Medizin ist die molekulare Diagnostik – mit ihr kann der genetische Treiber des jeweiligen Tumors identifiziert werden. Das ist die Entscheidungsgrundlage, mit der das passende Arzneimittel zur Therapie ausgewählt wird. Doch bei der Durchführung der Diagnostik gibt es noch große Lücken. Das liegt offenbar am Geld.

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Von der Vergütungslücke zum Versorgungsproblem?

© Rasi Bhadramani / Getty Images / iStock

Weil das Verständnis für die genetischen Treiber von Tumoren seit einigen Jahren rasant wächst, können diese durch die Entwicklung von spezifischen Therapien gezielt angegriffen werden. Die neuen Arzneimittel, deren erster Vertreter 2009 in die Versorgung kam, haben das Gesamtüberleben beim NSCLC deutlich gesteigert. Operation, Chemo- und Strahlentherapie – lange Zeit die klassischen Instrumente beim Lungenkrebs – sind den neuen Therapien, den Tyrosinkinase-Inhibitoren, unterlegen wenn die molekulargenetische Ursache vorher identifiziert wird. Bei rund 30 Prozent der NSCLC-Patient:innen treten EGFR-, ALK-, BRAF- , KRAS- oder ROS-1-Veränderungen in den Tumorgenen auf. Für sie gibt es passende Medikamente. Aktuelle Leitlinien empfehlen deshalb für alle Betroffenen mit NSCLC vor der ersten Therapie eine molekulare Testung. Soweit der Plan.

Im ambulanten Setting geht er auch auf. Dort wurden bereits 2016 Abrechnungsziffern für die molekulare Diagnostik geschaffen zusammen mit einem Prozess, um diese dynamisch anzupassen– die Abrechnung ist kein Problem. Anders ist die Situation in den Krankenhäusern. Dass da etwas unrund läuft, zeigen die Testraten; sie schwanken zwischen 53 Prozent und 74,5 Prozent. So hat eine Registerstudie gezeigt, dass nur 72,5 Prozent der Patient:innen mit einem fortgeschrittenen NSCLC auf eine EGFR-Mutation getestet wurden; bei 15,1 Prozent wurde sie festgestellt. Ohne den Test wären die Menschen durch das Raster gefallen – ohne Aussicht, dass ihnen jemand ein zielgerichtetes Arzneimittel verschreibt. Ihre Chancen, den Lungenkrebs zu überleben, wären dadurch erheblich gesunken.

Versorgungslücke Lungenkrebs: Bis zu 30 Prozent ohne Testung

Warum klaffen in der Diagnostik zehn Jahre nach der Einführung der ersten zielgerichteten Therapien noch immer solche Lücken? „Im Sinne der Patient:innen muss man sich schon fragen, woran das liegt, dass bei 25 bis 30 Prozent der Menschen mit Lungenkrebs die Testung nicht durchgeführt wird“, sagt Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. NSCLC ohne molekularen Test zu therapieren, hält er für einen Behandlungsfehler.

Starke Indizien sprechen dafür, dass es dafür ökonomische Gründe gibt. Denn bei der Kostenerstattung der molekularen Diagnostik gibt es in Deutschland große Unterschiede. Das zeigt die Bestandsaufnahme „Ökonomische Analyse der molekularen Diagnostik beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom“ von dem Autoren:innen-Team um Melina Sophie Kurte der VITIS Healthcare Group.

Demnach könnte „ein ökonomischer Fehlanreiz in Form einer unausgeglichenen Honorierung der diagnostischen Leistungen im stationären […] Sektor ein Grund für die unzureichende Testrate und damit einhergehenden Fehl- und Unterversorgung mit der personalisierten Medizin“ sein. Denn eine Weiterentwicklung der entsprechenden DRGs (Diagnosis Related Groups), über die Krankenhäuser ihre Leistungen abrechnen, hat bis heute nicht stattgefunden. Damit aber wäre der Fehlanreiz behoben – und die Testung abrechnungsfähig. In der Realität ergeben sich für die Krankenhäuser entlang des Versorgungspfades zwar verschiedene Abrechnungsmöglichkeiten. Doch ist deren Nutzung immer ein Bypass für die aktuelle Problematik im stationären Bereich, die zum einen zur hohen Intransparenz der Abrechnung führt und häufig zu einem verzögerten Therapiebeginn für die Patienten.

Testung: 52 Prozent der Krankenhäuser ohne Abrechnungsmöglichkeit

Die Bestandsaufnahme zeigt das sehr deutlich. Von den 889 Krankenhäusern, die im Jahr 2020 in Deutschland Lungenkrebspatient:innen behandelt haben, hatte jedes zweite keine ambulante Abrechnungsmöglichkeit (462 Häuser oder 52 %). Auf die Menschen mit Lungenkrebs übertragen (2020: 171.824 Krankenhausfälle) wurde jeder dritte in einem Krankenhaus ohne Abrechnungsmöglichkeit behandelt.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Krankenhäuser handeln trotz der Erstattungsproblematik nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin und den national geltenden Behandlungsleitlinien, testen ihre Patient:innen und zahlen dabei drauf. Oder: Sie testen nicht, weil sie es nicht abrechnen können und beginnen die Therapie mit nicht-zielgerichteten Therapiealternativen wie der Chemotherapie mit entsprechenden Konsequenzen: mehr Nebenwirkungen schlechtere Lebensqualität und verkürzte Überlebenszeiten.

Überproportional sind es die Krankenhäuser mit 500 und weniger Betten – also die mittleren oder kleinen Versorger – die keine Abrechnungsmodalität vorweisen können. Sie haben weniger Möglichkeiten, zusätzliche, nicht erstattete Kosten im Haushalt auszugleichen als große Häuser: Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die medizinisch nicht akzeptablen molekularen Testraten ökonomische Gründe haben. Hoher Kostendruck und gute Versorgung haben noch nie gut zusammengepasst.

Molekulare Testung: Das System muss die Finanzierung sicherstellen

„Für Leistungen wie zielgerichtete Medikamente, die in die Versorgung kommen, und deren Einsatz von einem molekularen Test abhängt, muss auch die gesamte Bezahlung geklärt sein“, findet Dr. Bruns. „In diesem Fall bedeutet das: Die Testung muss auch gleich von Beginn an honoriert werden. Das aber sieht das DRG-System nicht vor.“ Der Mediziner fordert, dass die Leistungspauschalen an die tatsächlichen Kosten angeglichen werden müssen, wie das im ambulanten Bereich bereits Realität ist. Auch so genannte Hybrid-DRGs kann er sich vorstellen, die sowohl im niedergelassenen als auch in der Klinik die molekulare Testung möglich machen und finanzieren. Vorschläge haben Expert:innen schon einige gemacht, um die kritische Situation im stationären Bereich zu lösen – auch die Krebsgesellschaft. „Umgesetzt wurden sie aber nie“, sagt Dr. Bruns.

Fest steht: Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Eine differenzierte Diagnostik ist die Grundlage für eine gezielte Therapie. Kranke Menschen haben einen Anspruch auf die bestmögliche Versorgung, aber in der Behandlung des NSCLC ist das offenbar nicht für alle gegeben. Der Grund sind finanzstrukturelle Hürden.

Das Beispiel Lungenkrebs offenbart exemplarisch, was auch in anderen Indikationen, für die Biomarker zur Verfügung stehen, Realität ist: Die Schwerfälligkeit des Systems, auf Innovationen zu reagieren und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sie bei den Patient:innen ankommen. Das zu ändern, ist eigentlich einfach.

F. Martius ist freier Journalist, der von der Politikgruppe Onkologie des LAWG e.V. mit der Erstellung dieses Manuskripts beauftragt wurde. Der LAWG Deutschland e.V. ist ein Verein, dem weltweit agierende, forschungsorientierte Arzneimittelunternehmen angehören.

Referenzen

Huster, S. 2021 Gutachten für einen Regelungsvorschlag zur Vergütung des Einsatzes von Companion Diagnostics (CDx), insbesondere im Krankenhaus im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.


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