IM GESPRÄCH

Zwangsarbeiter im Klinikum - Widerstände gegen die Aufarbeitung

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:

Es sollte ein bundesweit einmaliges Forschungsprojekt mit Vorbildfunktion sein: Vor fünf Jahren haben Wissenschaftler der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen damit begonnen, den Einsatz von Zwangsarbeitern an den Göttinger Unikliniken während der NS-Zeit zu untersuchen.

Der Vorstand des Bereichs Humanmedizin bekundete damals, daß er das Projekt unterstütze. Doch die Erfahrungen der beteiligten Forscher lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Aussage aufkommen. Immer wieder stieß der Arbeitskreis bei seinen Recherchen auf interne Widerstände. So durften die Historiker neu aufgefundene Archivakten zunächst nicht in ihre Untersuchung einbeziehen, und ihr bereits vor drei Jahren vorgelegter Abschlußbericht ist immer noch nicht veröffentlicht.

Zwangsarbeiter aus Osteuropa, den Niederlanden, Frankreich

Die Untersuchungen sollten die genauen Umstände klären, unter denen Zwangsarbeiter an den Göttinger Uni-Kliniken eingesetzt waren. Die Nachforschungen ergaben, daß zwischen 1939 und 1945 über 120 Zwangsarbeiter als Arbeitskräfte benutzt wurden. Betroffen waren vor allem Frauen aus Osteuropa.

Aber auch Medizinstudenten aus den Niederlanden und Frankreich mußten an den Kliniken arbeiten. Alten Lohnkarten und Briefwechseln des damaligen Kurators der Uni ist zu entnehmen, daß die Klinik zum Beispiel "15 Ostarbeiterinnen" für verschiedene Tätigkeiten an der Chirurgischen, der Frauen- und HNO-Klinik angefordert hatte. Gebraucht wurden sie als "Schälfrauen" oder "Hausmädchen". Außerdem benutzten Ärzte schwangere Zwangsarbeiterinnen für Lehrzwecke.

Ärztetag rief zu Beteiligung am Entschädigungsfonds auf

Die Initiatoren des Projekts verfolgten nicht nur ein rein wissenschaftliches Interesse. Die Forscher sahen es auch als eine moralische Verpflichtung an, daß das Uni-Klinikum seine Verstrickungen in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte aufklärt. Die Erforschung der persönlichen Schicksale sollte es den heute noch lebenden Zwangsarbeitern ermöglichen, die nötigen Nachweise für Anträge auf Entschädigung erbringen zu können.

    Forschungsprojekt der Uni Göttingen sollte Vorbild sein.
   

Der Deutsche Ärztetag hatte bereits im Mai 2001 dazu aufgerufen, daß Krankenhausträger und ärztliche Verbände sich am deutschen Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter beteiligen sollten. Der Vorstand des Bereichs Humanmedizin in Göttingen wollte davon allerdings nichts wissen.

Man solle nicht vorschnell über Konsequenzen diskutieren, wies der damalige Vorstand Manfred Droese Anfragen von Studierenden und der Forscher ab. Der Klinikumsvorstand lehnte denn auch eine direkte Beteiligung am Entschädigungsfonds ab, weil Beiträge von öffentlichen Einrichtungen bereits durch die Bundesbeteiligung an der Stiftung abgedeckt seien.

Im Sommer 2001 stießen die Wissenschaftler dann auf bislang unbekannte Patientenunterlagen der Klinik für Neurologie und Psychiatrie, in denen auch weitere Daten über Zwangsarbeiter zu erwarten waren. Der Vorstand untersagte ihnen jedoch die Auswertung und berief sich dabei auf den Datenschutz der Patienten und die ärztliche Schweigepflicht.

Der Medizinhistoriker Andreas Frewer, der das Projekt initiiert und geleitet hat, hält das Argument für vorgeschoben. Schließlich hatten die Forscher auch schon vorher mit Patientenakten gearbeitet. Auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz und der Leiter des Göttinger Stadtarchivs hielten die Bedenken für unbegründet. Trotzdem blieben die Akten über eineinhalb Jahre gesperrt. Erst als das Wissenschaftsmagazin "Nature" darüber berichtete, lenkte der Vorstand ein.

Für das laufende Forschungsprojekt war dies zu spät, im Abschlußbericht blieben die Akten unberücksichtigt. Die Sperrung sei gegen das Entschädigungsgesetz, das Archiv- und das Grundgesetz gewesen, das die Freiheit der Forschung garantiere, sagt Frewer, der inzwischen Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover ist. Der Bereich Humanmedizin will die Akten zwar weiter bearbeiten lassen, teilte Pressesprecher Stefan Weller mit. Dies solle allerdings "unter einem anderen Blickwinkel" und "nicht mit dem Thema Zwangsarbeiter" geschehen.

Nach Ansicht der Historiker werden die Betroffenen damit zum dritten Mal mißbraucht: erst als Zwangsarbeiter, dann durch das Schweigen über ihr Schicksal und jetzt als Objekte einer Forschung, die ihnen selbst nicht zugute komme. In den Akten befänden sich vermutlich weitere Namen von Zwangsarbeitern. Diese müßten an die Organisationen weitergeleitet werden, die die Anträge ehemaliger Zwangsarbeiter auf Entschädigung bearbeiten.

Der Bereich Humanmedizin tut sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit auch weiterhin schwer. Schon vor mehreren Jahren waren Forderungen laut geworden, mit einer Gedenktafel an das Schicksal der Klinikums-Zwangsarbeiter zu erinnern. Diese soll auf dem Gelände des Altklinikums angebracht werden.

Inzwischen liegt auch ein Text vor, der eigentlich im Mai vom Fakultätsrat hätte verabschiedet werden sollen. Nach Angaben eines Sprechers gab es dort jedoch Bedenken, so daß auch dieses Projekt über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder vertagt wurde.

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