Internationale Forschung

Wissenschaftsrat rät zu Werten und Qualität bei der Forschung

Der Wissenschaftsrat stellt sich gegen nationalistische und wissenschaftsskeptische Tendenzen auf.

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BERLIN. Der internationalisierte Wissenschaftsbetrieb steht in kaltem Wind. In den USA diskreditiert Präsident Donald Trump die Forschung zur Stammzellforschung, zu den Auswirkungen, auch der gesundheitlichen, der globalen Erwärmung und zu erneuerbaren Energien. In Europa muss die Wissenschaft wegen des Brexits ihre Beziehungen zu Großbritannien neu ordnen.

Im EU-Mitgliedsland Ungarn schert sich eine rechte Regierung keinen Deut um die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und droht der Central European University unverhohlen mit dem Entzug der Lehrlizenz in wenigen Monaten. In der Türkei hat Präsident Erdogan in der Folge des gescheiterten Militärputsches tausende Wissenschaftler gefeuert.

In seinen "Empfehlungen zur Internationalisierung der Hochschulen" stellt der Wissenschaftsrat in Deutschland fest: "...eine zunehmende Wissenschaftsskepsis bis hin zu Wissenschaftsfeindlichkeit in Staaten innerhalb und außerhalb Europas erschwert den grenzüberschreitenden Austausch und die internationale Zusammenarbeit." Gleichwohl lautet das vom Rat ausgegebene Motto: "Jetzt erst recht!". Um die weltweiten Aktivitäten von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen künftig besser abzusichern, empfiehlt er, eine zentrale Beratungsstelle beim Deutschen Akademischen Austausch-Dienst (DAAD) oder bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zu schaffen.

Sie soll die Hochschulen bei der Formulierung von internationalen Kooperationsverträgen beraten. Die Beratungsstelle solle zudem zu "wissenschaftsspezifischen Risiken" und "forschungsrelevanten Rechtsfragen" informieren. Gleichzeitig fordert der Wissenschaftsrat die Bundesregierung, den DAAD und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit dazu auf, die Hochschulrektorenkonferenz über außenwissenschaftsrelevante Fragen sowie sicherheitspolitische Themen und Risiken in Gastländern zu unterrichten.

Der Rat rät zur Haltung: Deutsche Hochschulen und Forschungsinstitutionen sollten in internationalen Kooperationen stets ihre eigenen Werte und Qualitätsansprüche geltend machen und klare Vereinbarungen mit Blick auf die freie Ausübung der Forschung, die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und den Schutz geistigen Eigentums treffen. "Wir müssen in allen internationalen Konstellationen klar für unsere Werte eintreten", sagte die Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Professorin Martina Brockmeier, bei der Vorstellung der Empfehlungen am Montag in Berlin.

Schutz vor staatlichen Eingriffen könnten auch Netzwerke bieten. Mit dem Modell einer Europäischen Hochschule soll nach den Vorstellungen des Wissenschaftsrats die europäische Integration gefestigt werden. Solche Hochschulen sollten strategische Partnerschaften unterhalten und sich als Teil eines europäischen Hochschulnetzwerkes verstehen. (af)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 10.07.201815:21 Uhr

Werte- und Qualitätsverfall am Beispiel epidemiologischer Forschungsergebnisse

Am Beispiel der Brustkrebsproblematik sehe ich immer wieder wissenschaftlich verbrämte Versuche, Vorsorge- und Früherkennung bei Brustkrebs zu diskreditieren. Im medizinischen Alltag, in der Fremd- und Selbstwahrnehmung von Frauen, die sich einer Vorsorge-Mammografie unterziehen, ergeben die Befunde von weit über 97 Prozent aller untersuchten Patientinnen u n a u f ä l l i g e Ergebnisse: Informationen, Diskussionen, Zielkonflikte und Erörterungen über falsch positive Befunde, Fehlbehandlungen, Chancen und Risiken von Maximaltherapien, über „Over-“ bzw. „Under“- „Diagnosis“ oder „Treatment“ erübrigen sich damit.

Dogmatische Theorie- und falsche Hypothesenbildung finden sich z. B. in Hypothesen, dass ein Screening mit Vorsorge- und/oder Früherkennungsmaßnahmen zwingend eine direkte Mortalitätsreduktion erwarten lassen müsste. "Background: To reduce mortality, screening must detect life-threatening disease at an earlier, more curable stage" (1) ist falsch, weil die morbiditätsbezogene Mortalität durch optimierte T h e r a p i e s t a n d a r d s und die den Mamma-Karzinomzellen immanente Aggressivität, Invasivität und Metastasierungsrate über „Staging“ und „Grading“ definiert werden. Die Autoren schreiben im NEJM, das Mammografie-Screening habe die Rate der Frühdiagnosen erhöht ("from 112 to 234 cases per 100,000 women"), die Rate an Brustkrebs in fortgeschrittenen Stadien jedoch n i c h t entscheidend gesenkt ("women present with late-stage cancer ... an absolute decrease of 8 cases per 100,000 women"). Damit erklären sie eine der wesentlichen Ursachen der ausbleibenden Mortalitätsreduktion: Unter sämtlichen Mammakarzinomen-Fällen werden viele detektiert, welche u n a b h ä n g i g von Früh- oder Spätstadiem klinisch besonders aggressive, mortalitätsbestimmende Verläufe aufweisen.

Folgt man Kritikern jeglichen Mammografie-Screenings wie Peter Gøtzsche vom Nordic Cochrane Center in Kopenhagen, der den Anteil der Überdiagnosen in einer systematischen Übersicht im BMJ auf absurde 52 Prozent schätzt, mögliche Unterdiagnosen aber gar nicht erst in Betracht ziehen will (2), wäre das Mammographie-Screening weitgehend nutzlos.

Eine Studie mit dem Titel „Patients Report Doctors Not Telling Them of Overdiagnosis Risk in Screenings“ im JAMA, Journal of the American Medical Association (3) von Dr. Odette Wegwarth, Psychologin mit Forschungsschwerpunkten ''Adaptives Verhalten und Kognition'', und Prof. Dr. phil. Gerd Gigerenzer, Abteilung „Adaptives Verhalten und Kognition“ und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, folgt einem ähnlichen Prinzip: Nur 9,5% der Befragten seien von ihrem Arzt über Gefahren von Überdiagnostik bzw. Übertherapie informiert worden. Die „Befragung“ von 317 US-Amerikaner zwischen 50 und 69 Jahren wurde aber nur o n l i n e mit hohen Fehler- und Ausfallquoten, Erinnerungslücken, Vergessen, Suggestiv- oder sozialen Erwünschtheits-Fragen („social desirability“) durchgeführt. Von Gefahren durch Unterdiagnostik bzw. Untertherapie („over- resp. under-diagnosis and -therapy”) war nicht mal ansatzweise die Rede.

In einem Editorial im British Medical Journal: “How new fact boxes are explaining medical risk to millions” behaupten Gerd Gigerenzer und Kai Kolpatzik (4) ohne empirisch-wissenschaftliche Grundlage: „2014 empfahlen deutsche Ärzte den transvaginalen Ultraschall bei ca. drei Millionen Frauen. Mehr als zwei Millionen Mal wurde so untersucht. Bei wahrscheinlich mehr als 10.000 Frauen wurden so gesunde Ovarien entfernt. Rund 75 Millionen Euro Eigenanteil [als IGeL-Leistungen] der Patientinnen kamen zu den Beschwerden dazu, abgesehen von unzähligen unnötigen Operationen und postoperativen Komplikationen.“
Dabei gehen die von Prof. Dr. phil. Gerd Gigerenzer so genannte „Faktenboxen“ fehl: Denn gemeinhin sollte bekannt sein, dass transvaginale Ultraschall-Untersuch

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