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Vorsorge

Dr. Schillinger: „Wir müssen mehr über Früherkennung sprechen“

Die vorgesehenen Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs ermöglichen es, einen Tumor frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Schwere Behandlungen und unnötiges Leiden können so verhindert werden, sagt Dr. Gerhard Schillinger. Der Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband wirbt dafür, dass mehr Versicherte diese Chance nutzen.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Erfolgsgeschichte: Mehr als 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 haben in mindestens drei von zehn vergangenenJahren an der Früherkennungsuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs teilgenommen.

Erfolgsgeschichte: Mehr als 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 haben in mindestens drei von zehn vergangenen Jahren an der Früherkennungsuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs teilgenommen.

© AOK-Mediendienst

Die Untersuchung zur Früherkennung des Gebärmutterhalskrebs wurde 1971 eingeführt. Heute können Versicherte je nach Alter verschiedene Untersuchungen zur Früherkennung in Anspruch nehmen. Was hat sich dadurch verbessert?

Dr. Gerhard Schillinger: Die Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses ist meines Erachtens eine der größten Erfolgsgeschichten im Kampf gegen Krebs. 1971 war dies noch die häufigste Krebserkrankung von jungen Frauen. Diese Zahl konnte auf ein Viertel reduziert werden, also von 12.000 auf etwa 4300 heute.

Bei einer Früherkennung werden dreimal so viele Vorformen dieser Krebserkrankung erkannt und entfernt. Eine weitere Erfolgsgeschichte liegt im Darmkrebs-Screening. Mit dem Koloskopie-Screening ließen sich in den ersten zehn Jahren 180.000 Dickdarmkarzinome verhindern. Anders ausgedrückt: Bei 28 Patienten, die sich der Untersuchung unterziehen, wird eine Darmkrebserkrankung verhindert. Auch das Mammographie-Screening ist als organisiertes Programm und der hohen Qualität, in der es durchgeführt wird ein Erfolg.

Aber die Erfolgsgeschichte wird zu wenig angenommen.

Je nach Krebsart ist die Rate der Inanspruchnahme sehr unterschiedlich. Für Frauen ist es heute etwas völlig Normales zur Gynäkologin, zum Gynäkologen zu gehen und sich dort in regelmäßigen Abständen untersuchen zu lassen. Mehr als 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 haben in mindestens drei von zehn vergangenen Jahren an der Vorsorge teilgenommen. Dennoch sollte man auch diese Rate noch steigern, vor allem bei den Frauen über 40, bei denen nur noch weniger als 65 Prozent erreicht werden.

Beim Darmkrebs-Screening erreichen wir nur die Hälfte der Menschen in dem Alter, in dem die Untersuchung vorgesehen ist, obwohl sie einen großen Nutzen hat. Wir müssen daher weiterhin alles tun, was in unserer Macht steht, um noch mehr Menschen zu erreichen, damit sie sich mit dem Thema Krebsfrüherkennung beschäftigen und darüber reden – auf jeden Fall auch mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt.

Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Stabs Medizin beim AOK-Bundesverband.

Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Stabs Medizin beim AOK-Bundesverband.

© AOK-Bundesverband

Gibt eine Marke, mit der Sie zufrieden wären? Oder wollen Sie 100 Prozent?

Hier gilt das Zitat von Hermann Hesse: Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen. Es wird immer Menschen geben, die diese Untersuchungen nicht wahrnehmen möchten. Wir legen sehr großen Wert auf einen „informed consent“, eine informierte Entscheidung. Das bedeutet:

Wenn ich mich in der Abwägung der Vorteile und der Risiken gegen eine Untersuchung entscheide, muss das auch in Ordnung sein, nur muss man hierfür über die Untersuchungen auch sprechen. An der Früherkennung beim Mammographie-Screening beispielsweise nimmt etwa ein Viertel der Frauen überhaupt nicht teil – trotz der Einladung, trotz der guten Information. Das sind Entscheidungen, die man respektieren muss.

Vielleicht ist das Zögern berechtigt. Wie sicher sind denn die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen?

Die Risiken bei der Früherkennung des Gebärmutterhalskrebs und des Darmkrebses sind sehr gering, der Nutzen groß. Um Vorformen des Krebses zu entdecken, ist Gewebe abzutragen. Das bringt das Risiko mit sich, dass es zum Beispiel zu Blutungen oder Verletzungen kommen kann. Diese möglichen Komplikationen sind in der Regel gut beherrschbar.

Auf der Habenseite wird mit dem Entfernen von Krebsvorstufen Krebs verhindert. In Deutschland entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss über die Früherkennungsuntersuchungen, die die gesetzlichen Krankenkassen anbieten. An erster Stelle steht dabei die Bewertung des patientenrelevanten Nutzens der Untersuchung. Das heißt: Nur wenn die Chancen größer sind als die Risiken, werden Krebsfrüherkennungsuntersuchungen eingeführt.

Vielleicht löst der Begriff „Krebsfrüherkennung“ bereits Angst aus. Wie steht es mit der Inanspruchnahme des Gesundheits-Check-Up, den die Versicherten alle zwei Jahre vornehmen lassen können?

Die Rate ist nicht viel besser. Etwa 60 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer nehmen das im Alter zwischen 35 und 60 regelmäßig in Anspruch. Zwischen 70 und 80 Jahren werden bei beiden Geschlechtern knapp 70 Prozent erreicht.

Um die Selbstsorge zu erhören, wurde das Bonusheft bei der Zahngesundheit eingeführt. Wer zu wenig vorgesorgt hat, muss höhere Kosten bei der Zahnbehandlung tragen. Wäre das ein Modell, um mehr Menschen für die Früherkennung zu begeistern?

Bei Zahngesundheit kann man eine finanzielle Beteiligung einfordern. Aber bei Krebs geht das nicht. Unser Gesundheitssystem ist grundsätzlich ein Solidarsystem. Selbst wenn Versicherte riskanten Sport treiben, sich komplizierte Verletzungen zuziehen, auf der Autobahn schnell rasen, viel rauchen oder sich wenig gesundheitsbewusst verhalten, kommt das Solidarsystem für die Behandlung auf.

Eine Krebsbehandlung kann sehr teuer werden, mit den neuen personalisierten Medikamenten kann das auch mal zwischen 100.000 bis 200.000 Euro pro Jahr kosten. Das kann ein Mensch mit einem normalen Verdienst gar nicht aufbringen. Wirksame Behandlungen darf man aber niemandem vorenthalten, nur weil er vor Jahren nicht alle Früherkennungen gemacht hat.

Anders sieht es bei den Bonusprogrammen aus, mit denen die Krankenkassen gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen. Die Versicherten können zum Beispiel über die Teilnahme an Sportgruppen oder an Ernährungsberatungen Punkte sammeln. Die Untersuchung zur Krebsfrüherkennung ist Teil des Bonusprogramms und gehört mit zu den Leistungen der Prävention und Vorsorge.

Sie plädieren dafür, die Selbstsorge bei Krebs zu belohnen, wollen aber keine finanzielle Beteiligung bei teuren Behandlungen einfordern?

Ja, denn Krebs ist ja auch eine stochastische Erkrankung. Das heißt, der eine, der regelmäßig raucht, bekommt keinen Lungenkrebs, der andere, der regelmäßig raucht, bekommt Lungenkrebs. Dann wird nur der bestraft, der jetzt zufälligerweise dann auch Krebs bekommen hat. Andere Krebserkrankungen haben Übergewicht als Risikofaktor, andere Untergewicht, wieder andere werden durch rotes Fleisch begünstigt. Es wäre nicht gerecht, den betroffenen Menschen zu sagen: ,Du bist selber schuld am Krebs.‘

Beste Ansprechpartner bei der Abwägung des Für- und Wider sind die Hausärztin oder der Hausarzt.

Dr. Gerhard Schillinger Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband

Wann sollte der Arzt oder die Ärztin als zentrale Ansprechperson eine Früherkennungsuntersuchung auf jeden Fall empfehlen?

Bei Krebs wird das Anfangsstadium selten bemerkt. Viele Betroffene fühlen sich wohl und sind schon krank. Wir müssen daher das Tabu brechen und über Krebsfrüherkennung sprechen und nachdenken und uns dem Thema stellen. Beste Ansprechpartner bei der Abwägung des Für- und Wider sind die Hausärztin oder der Hausarzt.

Mit den Einladungen zum Gebärmutterhalskrebsscreening, Darmkrebsscreening und Brustkrebsscreening bekommen alle gesetzlich Versicherten außerdem hervorragende Informationen über Nutzen und Risiken der jeweiligen Untersuchungen, die durch das IQWiG auf dem Boden der verfügbaren wissenschaftlichen Studien erstellt wurden. Wenn man die vorgesehenen Früherkennungsuntersuchung wahrnimmt, erhöht dies die Sicherheit, wirklich gesund zu sein und zu bleiben.

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