Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Interview

Eine Knie-TEP-Op pro Woche? Das ist zu wenig!

Die Behandlungsqualität bei Knie-TEP hängt entscheidend von der Routine des Operateurs ab, meint Professor Karl-Dieter Heller. Warum der Orthopäde und Unfallchirurg gut einem Viertel der Patienten sogar von der Op abrät.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat bei Knie-TEP-Operationen unter den Kliniken große Qualitätsunterschiede festgestellt. Demnach kommt es bei durchschnittlich jeder 24. Operation (4,1 %) an einem Kniegelenk zu Komplikationen.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat bei Knie-TEP-Operationen unter den Kliniken große Qualitätsunterschiede festgestellt. Demnach kommt es bei durchschnittlich jeder 24. Operation (4,1 %) an einem Kniegelenk zu Komplikationen.

© Issara / stock.adobe.com

Herr Professor Heller, eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ergab große Unterschiede in der Behandlungsqualität bei Kniegelenkersatz. Die besten Kliniken verzeichnen nur halb so hohe Komplikationsraten wie die Häuser im unteren Viertel der Bewertungsskala. Woraus resultiert aus Ihrer Sicht diese Differenz?

Ein Parameter ist die Zahl der Operationen. Höhere Op-Zahlen bedingen meist auch bessere Ergebnisse, was Ausnahmen aber zulässt. Abzulesen sind die Operationszahlen insbesondere aus den Qualitätsberichten der Klinik. Punkt zwei ist die Erfahrung des einzelnen Operateurs. Hier ist aber nicht unbedingt die Gesamtmenge der Klinik ausschlaggebend. Auch bei einer Mindestmenge von 50 Prothesen können sich diese Eingriffe auf zehn Ärzte verteilen, von denen keiner entsprechende Routine erlangt.

Ärzte mit weniger Praxis können sich weiterbilden …

... das passiert auch. Wir veranstalten im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE) viele Fortbildungen zum Thema Kniegelenk-Operationen. Es gibt Seminare, in denen wir praktische Tipps geben, Röntgenbilder auswerten, Fälle besprechen und Videovorführungen zeigen. Es wird teilweise auch in der Anatomie an Leichen geübt, Beinachsen werden vermessen, Prothesen verschiedener Hersteller werden vorgestellt.

Prof. Karl-Dieter Heller ist Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Orthopädischen Klinik und Leiter des Endoprothetik-Zentrums der Maximalversorgung am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig.

Ein weiteres Instrument der Qualitätssicherung ist das Gütesiegel EndoCert von der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik, dass – wie das QSR-System der AOK – das Niveau bei der Implantation künstlicher Gelenke misst. Kommt diese etwas andere Messmethode zu anderen Ergebnissen als das WIdO?

Zunächst sind AOK und EndoCert nicht unbedingt vergleichbar, die AOK beurteilt die postoperativen Ergebnisse im Sinne von Komplikationen oder Wiederholungsoperationen. EndoCert beurteilt neben der Fallmenge und den Röntgenergebnissen Struktur- und Prozessqualität. Die Aussagen sind jedoch ähnlich. Von 1.100 Kliniken, die Endoprothetik anbieten, sind nur 499 EndoCert zertifiziert.

Der AOK-Bundesverband plädiert dafür, die Mindestzahl von jährlich 50 Operationen zu erhöhen. Wie beurteilen Sie diese Forderung?

Das kann ich nur unterstützen. 50 Operationen – eine pro Woche, das ist definitiv zu wenig. Zumal wir ja sehr unterschiedliche Implantate verwenden, die jeweils eigene Ansprüche an den Operateur stellen: Es gibt bikondyläre Oberflächenersatzprothesen, Schlittenprothesen und Wechselendoprothesen.

Wie lautet Ihr Vorschlag?

Mindestmengen für jede Variante. Beispielsweise wenigstens 70 Oberflächenersatzprothesen, 30 Schlitten, 20 Wechseloperationen. Am Ende sollte eine Klinik mindestens 120 dieser Operationen aus diesen drei Bereichen durchführen.

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Wie viel Prothesen implantieren Sie und Ihre Kollegen?

Bei uns im Herzogin Elisabeth Hospital sind es jedes Jahr rund 2.100 Endoprothesen, darunter 1.000 Hüft- und 800 Kniegelenke, der Rest sind Wechseloperationen. Ich selbst führe jährlich über 600 Endoprothesen-Operationen durch.

Wie bewältigen Sie diese Patientenzahlen?

Es braucht gut organisierte Klinikstrukturen. Wichtig sind effiziente Abläufe. Früher beispielsweise lagen Endoprothesen-Patienten drei Wochen in unserer Klinik. Jetzt sind es drei bis sieben Tage. Wir nennen das Fast Track Surgery oder Enhanced Recovery – also schnelle, verbesserte Wiederherstellung mit einem klaren Ablaufschema, über das der Patient im Vorfeld bereits unterrichtet wird.

Leidet unter einem solchen Patientendurchlauf nicht ebenfalls die Qualität?

Im Gegenteil. Wir sparen Zeit, weil Patienten und Ärzte vor der Op sehr gut vorbereitet sind. Für Patienten organisieren wir im Vorfeld Informationsveranstaltungen. Jeder Schritt des stationären Aufenthaltes sowie der Op ist unter Wahrung der jeweiligen Individualität exakt geplant und vorgegeben. Zwei Stunden nach der Op wird aufgestanden. Schlafanzug oder Bademantel sind über Tag nicht gewünscht, hier ist bequeme Alltagskleidung angesagt. Das Motto lautet: „Sie sind nicht krank, Sie wurden nur operiert“. Jeder weiß, dass er nicht im Bett liegen, sondern sich bewegen soll.

Und wie bereiten sich die Operateure vor?

Die Operateure bereiten sich auf jeden Fall individuell vor, der Fall wird individuell geplant, wir haben verschiedene Prothesenmodelle vorrätig, so dass die jeweils Passende für den Patienten ausgesucht wird. Sollte sich in der Operation herausstellen, dass zum Beispiel das hintere Kreuzband oder ein Kollateralband nicht funktionieren, so brauchen Sie ein sogenanntes modulares System, was in der gleichen Operation eine Anpassung ermöglicht.

Deutschland liegt bei den Kniegelenk-Op im OECD-Vergleich auf Platz vier. Wird hierzulande zu schnell operiert?

Ich formuliere es mal so: Die Indikation zur Implantation einer Knie-Endoprothese ist sehr individuell, kann auch zu großzügig oder zu ökonomisch gestellt werden und dies ist nicht sinnvoll.

Zu uns kommen oft junge Patienten mit mittelgradigen Befunden und moderaten Kniebeschwerden und denken, dass sie nach einer Art Wellness-Op wieder hundertprozentig fit sind.

Aber die Leitlinien beinhalten Kriterien, wann operiert werden sollte. Unter anderem erst dann, wenn alle nicht-operativen Maßnahmen erfolglos bleiben, die Schädigung im Röntgenbild klar erkennbar ist und Patienten unter monatelangen Schmerzen leiden.

Sicher, es wird sich im Wesentlichen an den Leitlinien orientiert und die genannten Parameter sind zu fordern, aber diese sind natürlich nicht absolut verpflichtend, so dass einzelne Fälle mit geringeren Gelenkschäden indiziert werden. Manchmal verlangen Patienten ausdrücklich eine Op. Zu uns kommen oft junge Patienten mit mittelgradigen Befunden und moderaten Kniebeschwerden und denken, dass sie nach einer Art Wellness-Op wieder hundertprozentig fit sind. Fakt ist, ein künstliches Kniegelenk ersetzt die zerstörten Strukturen, ist aber kein Jungbrunnen.

Wie reagieren Sie auf solche Patientenforderungen?

Wichtig ist es, zu hohe Erwartungen zu dämpfen. Etwa einem Viertel, die zu mir kommen, rate ich von einem Eingriff ab, weil es noch zu früh dafür ist. Zumal eine Op nicht völlig risikolos ist. Es kann zum Beispiel zu Vernarbungen im Knie kommen, die gravierende Probleme verursachen. Außerdem müssen Implantate nach rund 20 Jahren ausgetauscht werden, weil sie sich lockern. Diese Wechsel-Operationen sind komplikationsanfälliger als Erstimplantate. Bei einem 65-Jährigen ist die Wechselwahrscheinlichkeit geringer als bei einer 30-Jährigen.

Was halten Sie vom Einsatz von Robotern bei Kniegelenk-Op?

Wir wenden seit drei Jahren einen Roboter an. Ob es definitiv einen Mehrwert für den Patienten bringt, können wir mit der hier geforderten Genauigkeit noch nicht sagen, Fakt ist, die Operation wird präziser.

Was unterscheidet die Arbeit mit einem Roboter von einer herkömmlichen Operation?

Normalerweise setze ich in einer Operation Schablone und Säge dort an, wo ich unter Anwendung einer entsprechenden Ausrichtung am Knochen dies als optimal einschätze. Mit einem Roboter am Operationstisch kann ich diese Positionierungen sehr exakt über ein Navigationssystem am Monitor einstellen und eventuelle anatomische Besonderheiten besser berücksichtigen. Der Roboter erfasst die individuelle Anatomie und markiert dann die Punkte, an denen die Schablone angebracht wird, um zu sägen oder gar die Säge angesetzt wird, das hängt vom Robotertyp ab. Er hilft also bei der Planung. Ich glaube nicht, dass wir mit einem Roboter die Zahl der nicht ganz zufriedenen Patienten von etwa 20 Prozent auf – sagen wir einmal – fünf Prozent reduzieren.

Was sind Ihre Kriterien für eine gelungen Operation?

Für mich ist das Hauptkriterium die Zufriedenheit des Patienten. Das ist sehr unterschiedlich. Selbstverständlich kann ich mir nach einer Op die Knieachse anschauen, Beugefähigkeit und Streckfähigkeit beurteilen. Aber selbst, wenn alle Werte optimal sind, bedeutet das nicht automatisch glückliche Patienten.

Warum nicht?

Ich hatte Patienten, die konnten ihr Knie maximal 90 Grad beugen und sagten: „Mir geht es super, mehr Beweglichkeit brauche ich gar nicht.“ Andere schafften es bis 120 Grad, waren dennoch todunglücklich, weil sie ihren Sport nicht mehr ausüben können. Deshalb beurteile ich Erfolg nicht nur nach Winkeln und Achsen, sondern bei jedem Menschen individuell, etwa indem ich auch die mentale Konstitution und die Zufriedenheit einbeziehe.

Was sieht der Idealfall aus?

Wenn jemand auf meine Station kommt, vielleicht kaum noch oder sehr schlecht laufen kann, und nach der Op fröhlich über den Flur spaziert. Das ist toll und motiviert über alle Maßen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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