WIdO-Geschäftsführer Klauber über Datenanalysen im Gesundheitswesen
„Eine gute Patientensteuerung kann die Versorgungsqualität verbessern“
Wie lässt sich die Versorgungsqualität in Deutschland steigern – mit weniger Brüchen im System? Hierfür liefert das Wissenschaftliche Institut der AOK, kurz WIdO, mit seinen Datenanalysen seit Jahren wichtige Impulse. Anlässlich seines Ruhestands zieht der langjährige Geschäftsführer Jürgen Klauber Bilanz.
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Auch im ambulanten Bereich werden Routinedaten zur Qualitätsmessung eingesetzt, etwa im AOK-Projekt „Qualität in Arztnetzen – Transparenz mit Routinedaten“ (QuATRo).
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Herr Klauber, die Versorgungsqualität war ein zentrales Thema Ihrer Arbeit, besonders im Krankenhaus- und Pflegebereich. Was sind für Sie die wichtigsten Fortschritte der vergangenen Jahre?
Um die Jahrtausendwende wussten wir über die Versorgungsqualität im akutstationären Bereich noch sehr wenig. Es gab kaum Qualitätsdaten für Kliniken und keine Richtlinien zu Behandlungsfallzahlen. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems im Jahr 2003 verbesserte sich die Datenlage substanziell. Dadurch ließ sich die Versorgungsqualität im Krankenhaus besser erfassen.
Welche Rolle spielte das WIdO dabei?
Wir haben im WIdO seinerzeit eine routinedatenbasierte und sektorübergreifende Qualitätsmessung für die stationäre Versorgung entwickelt: das sogenannte QSR-Verfahren – die „Qualitätssicherung mit Routinedaten“. Dieses zielt auf Ergebnisqualität und erfordert keine Zusatzdokumentation. Die Daten und Indikatoren sind in wissenschaftliche Studien zu Krankenhausbehandlungen eingeflossen, insbesondere zum Volume-Outcome-Zusammenhang. Das hat wichtige wissenschaftliche Impulse für Politik wie Selbstverwaltung gesetzt.
Seit dem Krankenhausstrukturgesetz 2016 reicht der klare, wissenschaftliche Beleg aus, dass eine höhere Fallzahl mit besseren Ergebnissen korreliert. So konnten neue und höhere Mindestmengen auf den Weg gebracht werden.

Jürgen Klauber übernahm 1998 die stellvertretende Leitung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Ab 2002 bis zu seinem Ruhestand 2025 war er WIdO-Geschäftsführer.
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Wie hat sich das generell in der Versorgungsforschung gezeigt?
Die Versorgungsforschung hat mit der verbesserten Datenlage Erkenntnisse über die Effektivität von Versorgungsstrukturen geliefert, wie sie durch klinische Studien nicht oder kaum zu erzielen sind.
Ein gewichtiges Beispiel ist die WiZen-Studie zur „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“.
Sie hat für elf Krebserkrankungen belegt, dass ein deutlicher Überlebensvorteil besteht, wenn Patientinnen und Patienten in Zentren behandelt werden, die von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert wurden. Die DKG-Zertifizierung ist dabei an Struktur- und Prozessanforderungen sowie Mindestbehandlungszahlen geknüpft.
Wie sieht es bei der Pflege aus?
In der stationären Langzeitpflege setzt die gesetzliche Qualitätssicherung bislang nicht auf Routinedaten. Das Verfahren basiert auf Erhebungen und bezieht sich ausschließlich auf die pflegerische Leistung im Heim. Dieser Ansatz bildet die tatsächliche Versorgungswirklichkeit nur unvollständig ab.
Fortschritte gab es dennoch: Nach dem Scheitern der Pflegenoten hat der Bundestag 2018 mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ein neues Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst eingeführt. Gleichwohl bleibt die Messung der Versorgungsqualität in der stationären Langzeitpflege ausbaufähig. Routinedaten aus dem Versorgungsprozess nach SGB V und XI könnten hier wichtige Ergänzungen liefern.
Das WIdO hat unter Ihrer Geschäftsführung intensiv daran gearbeitet, vorhandene Abrechnungsdaten für Qualitätsauswertungen zu nutzen. Wie sieht das konkret aus?
Abrechnungsdaten haben ein hohes Potenzial, die Qualität der Leistungserbringung mit wenig Aufwand zu messen. Das QSR-Verfahren nimmt die Ergebnisqualität im Krankenhaus indikationsbezogen in den Blick. Mittlerweile umfasst es 23 Leistungsbereiche und rund 15 Prozent aller Krankenhausleistungen. Die Qualitätsvergleiche stehen online im AOK-Krankenhausnavigator öffentlich zur Verfügung. Es hat sich gezeigt, dass die mittlere Komplikationshäufigkeit bei den 20 Prozent Kliniken mit den höchsten Raten meist beim Vielfachen der 20 Prozent Kliniken mit den niedrigsten Raten liegt. Der Unterschied der mittleren Komplikationshäufigkeit beträgt beispielsweise beim Hüftgelenkersatz wegen Arthrose 10,4 gegenüber 3,2 Prozent.
Was haben die Kliniken selbst davon?
Die Krankenhäuser erhalten ausführliche klinikspezifische Berichte für ihr internes Qualitätsmanagement. Auch Informationen für Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung werden indikations- und regionalspezifisch bereitgestellt.
Lässt sich ein ähnliches Verfahren auch für die Pflege nutzen?
Für den Bereich der stationären Langzeitpflege haben wir das QCare-System entwickelt. Es basiert ebenfalls auf vorhandenen Abrechnungsdaten und ist daher gleichfalls aufwandsarm.
Gleichzeitig ist auch QCare sektor- beziehungsweise berufsgruppenübergreifend. Die Indikatoren des Systems erfassen damit nicht nur die Pflege im Heim, sondern auch Auffälligkeiten an der Schnittstelle zum Krankenhaus, bei verordneten Arzneimitteln und der ärztlichen Versorgung. Dabei zeigen die Indikatoren auf Basis der Routinedaten gemäß SGB V und SGB XI ähnlich starke Auffälligkeiten wie bei der Krankenhausbehandlung.
Beispielsweise betrifft die nicht indizierte Dauerverordnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln im besten Viertel der Pflegeheime im Drei-Jahres-Fenster max. fünf Prozent der Bewohnenden, im auffälligsten Viertel 14 Prozent und mehr.
Wie werden diese Daten nutzbar gemacht?
Seit 2023 stehen die QCare-Indikatoren mit dem „Qualitätsatlas Pflege“ erstmals kleinräumig und frei zugänglich im Internet. Sie zeigen bis auf die Kreisebene hinunter Unterschiede in der pflegerischen, ärztlichen und therapeutischen Versorgung von Pflegeheimbewohnenden in Deutschland. Diese Transparenz bietet die Basis dafür, mögliche Verbesserungen vor Ort einzuleiten. Dafür werden die Daten jährlich aktualisiert.
Und wie geht es weiter?
Gegenwärtig wird die Nutzung von QCare-Indikatoren in der Praxis im Rahmen eines Innovationsfondsprojektes in Pflegeheimen in Bayern erprobt. Es sollte weiter geprüft werden, inwieweit QCare eine sinnvolle Ergänzung zur gesetzlichen Qualitätssicherung sein kann. Grundsätzlich können die Qualitätsindikatoren auch als Zielparameter in sektorübergreifenden Modellprojekten oder zu deren Evaluation genutzt werden. Perspektivisch wird es wichtig sein, geeignete Qualitätsindikatoren auch für die ambulante Langzeitpflege bereitzustellen.
Lassen sich Abrechnungsdaten tatsächlich für die Qualitätsmessung verwenden?
Ganz klar ja – bei fundiertem methodischem Vorgehen. Routinedaten zeigen im stationären Bereich beispielsweise eindeutig, wenn eine frisch eingesetzte Gelenkprothese erneut gewechselt werden musste. Häufen sich solche Eingriffe, ist das ein deutlicher Hinweis auf Komplikationen. Entscheidend ist die sorgfältige Entwicklung der Indikatoren für die Qualitätsbewertung.
Im QSR-Verfahren übernehmen das Expertinnen und Experten aus Kliniken und Fachgesellschaften. Sie definieren dazu die Aufgreifkriterien für die Leistungen, erarbeiten die Indikatoren und geben die Einflussfaktoren vor, bei denen durch eine Risikoadjustierung möglichen Verzerrungen der Ergebnisse entgegengewirkt werden muss – etwa bei möglichen Unterschieden im Patientenmix der Kliniken.
Wie kommt die Qualitätstransparenz an?
Wir können im Kliniksektor auf fast 20 Jahre veröffentlichter Qualitätsdaten zurückblicken. Viele Klinikgruppen, etwa die Initiative Qualitätsmedizin IQM, ein Zusammenschluss von rund 500 Kliniken aller Trägergruppen, bekennen sich inzwischen klar zur Nutzung von Routinedaten – speziell auch der QSR-Indikatoren.
Für Patientinnen und Patienten sind die QSR-Ergebnisse im AOK-Gesundheitsnavigator ein nachgefragtes Alleinstellungsmerkmal unter den Klinikvergleichsportalen, weil sie einen objektiven Vergleich ermöglichen. Hinweise zur Verfeinerung der Methodik greifen wir kontinuierlich auf. Das ist fester Bestandteil des etablierten Routineverfahrens. Es trägt dazu bei, einen akzeptierten und fairen Klinikvergleich zu gewährleisten.
Was sind aus Ihrer Sicht die Zukunftsthemen in der Versorgungsqualität?
Vor allem Strukturfragen bleiben eine große Herausforderung. Die sektoralen Brüche in der Prävention und Früherkennung sowie bei der Versorgung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit sind eine häufige Ursache für Beschwerden. Betroffene berichten immer wieder über suboptimale Prozesse an den Schnittstellen.
Beispielsweise in der Langzeitpflege ist ein reibungsloses Zusammenspiel von Pflege, Arzneimitteltherapie, ambulanter und stationärer Behandlung entscheidend. Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat daher in der Vergangenheit immer wieder betont, wie wichtig sektorübergreifende Lösungen sind.
Sie haben auf Basis der WIdO-Analysen immer wieder für mehr Spezialisierung von Kliniken und die Konzentration von Leistungen plädiert. Hat sich dieser Einsatz gelohnt?
Ja, unbedingt. Anfangs wurde die Nutzung von Abrechnungsdaten zur Qualitätssicherung auf Kongressen noch grundsätzlich problematisiert – obwohl es international längst üblich war.
Heute bestreitet kaum jemand, dass sich Qualitätsunterschiede zwischen Einrichtungen damit zuverlässig und aufwandsarm messen lassen. Gesetzgeber und Gemeinsamer Bundesausschuss haben ihre Nutzung für die Qualitätssicherung immer wieder gestärkt. Die Erkenntnisse flossen in Gesetzgebungsverfahren ein und prägten maßgeblich die Arbeit der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Zugleich entlastet der Rückgriff auf ohnehin vorhandene Daten ärztliches und pflegerisches Personal von bürokratischen Zusatzerhebungen.
Wie steht es um die Qualitätsmessung in der ambulanten Versorgung?
Auch hier lässt sich Qualität auf Basis von Routinedaten erfassen: Ist etwa die Medikation des Herzpatienten oder der Diabetikerin leitliniengerecht? Werden notwendige Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen in den gebotenen Abständen durchgeführt?
Hier hat die AOK-Gemeinschaft mit dem Projekt „Qualität in Arztnetzen – Transparenz mit Routinedaten“, kurz QuATRo, Wege aufgezeigt. Grundlage dafür sind ebenfalls routinedatenbasierte „Qualitätsindikatoren für die ambulante Versorgung“, abgekürzt QISA. Diese sind aus der Zusammenarbeit des aQua-Instituts mit dem AOK-Bundesverband hervorgegangen.
Qualität kann damit auch in der ambulanten Versorgung aufwands- und bürokratiearm erfasst werden.
Wo sehen Sie Stellschrauben, um die Qualität in der ambulanten Versorgung noch weiter zu verbessern?
Wie gesagt: Es muss darum gehen, die Vernetzung im Gesundheitswesen zu stärken. Denn Versorgungsbrüche und begrenzte Kapazitäten sind nach wie vor Realität. Wir sehen in den internationalen Vergleichsdaten immer wieder, dass wir in Deutschland eine eher mittlere Versorgungsqualität sehr teuer einkaufen. Das spricht nicht für ein effizientes Gesundheitssystem.
Für eine qualitativ hochwertige und zugleich wirtschaftliche Versorgung benötigen wir eine bessere Integration – also ein reibungsloses Zusammenspiel aller Akteure entlang der Behandlungskette. Die Schaffung von Qualitätstransparenz auf Basis von Routinedaten ist hier wegweisend.
Auf der Systemebene könnte eine stärkere Koordinierung und Steuerung über ein geeignet ausgestaltetes Primärversorgungssystem eine Perspektive bieten.
Vielen Dank für das Gespräch.
So arbeitet das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO)
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) widmet sich seit 1976 der Aufgabe, durch Forschung für mehr Qualität und Effizienz im Gesundheitssystem zu sorgen. Es erstellt fundierte Analysen zu allen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung – mit Schwerpunkt auf der Patientenversorgung.
Dafür werten Fachleute des WIdO jedes Jahr viele Millionen Daten zur Gesundheitsversorgung in Deutschland im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit aus.
Das Institut versteht sich als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis: Es macht wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar und bringt gleichzeitig Fragen aus der Praxis in die wissenschaftliche Diskussion ein.
Weitere Infos rund um das WIdO unter: https://www.wido.de/