Plattform zur Nutzenbewertung – No. 18

Innovation und Effizienz – Synergie oder Widerspruch?

Das deutsche Gesundheitssystem zählt zu den leistungsfähigsten, aber auch teuersten weltweit. Die Synergie von Innovation und Effizienz ist erforderlich, um eine ‚gesunde‘ Fortentwicklung des Systems sowohl in inhaltlicher als auch in finanzieller Sicht zu betreiben. Innovation – mit Blick auf kontinuierliche Verbesserung der Therapieoptionen; Effizienz – mit Blick auf Prozessoptimierung und Ressourceneinsparung. Innovationen zeichnen sich häufig durch bedingte Planbarkeit aus. Der Umgang mit Unsicherheiten muss gerade bei den langfristig ausgerichteten Zell- und Gentherapien von den Akteuren im Gesundheitswesen erst erlernt werden. Dabei ist auch zu beachten, dass nicht immer nur Sprung-, sondern auch Schrittinnovationen relevante Verbesserungen für Patienten bewirken können. Die Kritik am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und den ‚Leitplanken‘ deutet auf fehlende Balance und eine einseitige Schwächung des Innovationsanreizes hin.

Ein Gastbeitrag von Georg Kippels Veröffentlicht:
Innovation und Effizienz – Synergie oder Widerspruch?

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Mit Innovationen beschreiben wir die ständige Suche nach Verbesserung und nach neuen Prozessen zur Lösung anstehender oder aber auch neu entstehender Fragestellungen. Es ist mithin ein ständiger Veränderungsprozess mit einer positiven Ausrichtung, um Antworten auf Fragen zu finden, die bislang unbeantwortet oder jedenfalls nicht zur Zufriedenheit beantwortet werden konnten. Demgegenüber orientiert sich die Effizienz an der Ablaufverbesserung, das heißt, bestehende Prozesse werden auf eine Optimierung hin untersucht, wodurch sie ressourcenschonend und ressourcensparend schneller, günstiger und häufig auch preiswerter gestaltet werden können.

Innovation und Effizienz – Synergie oder Widerspruch?

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Plattform zur Nutzenbewertung entstanden und im Februar 2024 in Heft 18 („AMNOG 2.0: Auf dem Weg zu einem effizienten System“) erschienen.

AMNOG2.0 - Auf dem Weg zu einem effizienten System (4504 kB)

Schon aus dieser Begriffsdefinition ergibt sich, dass die einzelnen Zielsetzungen sehr gut ineinandergreifen können, auch wenn sie möglicherweise im Hinblick auf die ökonomische Situation zunächst einmal Widersprüche auslösen. Hierzu ist es dann allerdings erforderlich, einen entsprechenden Zeitstrahl zu definieren, auf dem die einzelnen Fortschritte gegeneinander abgewogen werden können.

Das deutsche Gesundheitssystem steht, wie schon eingangs angemerkt, unter einem dauerhaften Finanzierungsdruck. Große Reformen aus den vergangenen Jahrzehnten, so wie etwa im Jahre 2004, führten zu Veränderungen der Vergütungsstrukturen, etwa durch die Einführung der Fallpauschalen. Auch durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), das zum 01.01.2011 in Kraft trat, sollte durch eine Preisregulierung innovativer Arzneimittel das belohnt werden, was zu einer Verbesserung der Versorgung der Patienten führt, während nur die Schaffung von gleichwertigen Alternativen keinen Vergütungsanreiz auslösen sollte.

Diese Prozesse haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zwar bewährt, sie sind allerdings auch einem ständigen Anpassungsdruck an die veränderten Verhältnisse ausgesetzt. Sowohl die Patientenstruktur infolge des demografischen Wandels als auch das Auftreten neuartiger medizinischer Techniken führen zu einer erkennbaren Effizienzsteigerung, bei der allerdings gleichzeitig zumindest die numerische Kostenbelastung ebenfalls steigt. Dies war unter anderem auch der Anlass für die Ampelregierung, im vergangenen Jahr das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf den Weg zu bringen, um die durch Innovationen deutlich steigenden Kostenbelastungen zu reduzieren, andererseits allerdings auch den Anreiz zu setzen, weitreichende Innovationen im Gegensatz zu Schrittinnovationen erkennbar zu belohnen.

Die Nachbetrachtung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes und auch die Würdigung der Kritikpunkte, die in der Gesetzgebungsdebatte erhoben worden sind, zeigen aber, dass Innovationen zwar ein ständiges Ziel von Forschung und Entwicklung sind, sie allerdings nur sehr bedingt einer Planbarkeit unterworfen werden können. Bewerten wir deshalb die Innovationen etwa im Bereich der individualisierten Medizin, der Zell- und Gentherapien, der sehr kostenaufwendigen Einmaltherapien oder aber auch der sogenannten Kombinationspräparate, so zeichnet sich der Effizienzeffekt in erster Linie dadurch aus, dass die Behandlungsintensität beziehungsweise die Behandlungsdauer deutlich komprimiert wird. Mit einem verbesserten Erfolg einer teilweise möglichen vollständigen Wiedergenesung ist die kurzfristige Kostenlast zwar hoch, die langfristige volkswirtschaftliche Betrachtung führt allerdings zu einem positiven Saldo.

Die Analyse der Veränderung der Entwicklungsprozesse und der Entwicklungsinhalte zeigt allerdings auch, dass nicht immer nur Sprunginnovationen, sondern durchaus auch die sogenannten Schrittinnovationen bei Veränderungsprozessen zu einer effizienten Steigerung der Versorgung an sich führen, die zeitlichen Abläufe des Eintretens derartiger Effizienzsteigerungen allerdings sehr unterschiedlich sein können.

Es dürfte deshalb unbestritten sein, dass wir mit Rücksicht auf die volkswirtschaftliche Belastbarkeit der Bürgerinnen und Bürger mit entsprechenden Beitragszahlungen eine wesentlich langfristigere Effizienzbetrachtung vornehmen müssen, als dies möglicherweise in der Vergangenheit betrieben oder vorgenommen wurde. Es sollte auch nicht übersehen werden, dass es durchaus gerade bei der gesundheitlichen Versorgung eine subjektive Effizienzkomponente gibt, nämlich dergestalt, dass der Patient im Hinblick auf die Wiederherstellung oder Verbesserung der Lebensqualität und damit einer längeren unbeeinträchtigten Lebensführung durchaus Willens und durchaus auch in der Lage bzw. bereit ist, einen höheren Kostenaufwand in einem frühen Stadium zu tätigen, um einen Qualitätsgewinn der Lebensführung generieren zu können.

Aus meiner Sicht spricht daher vieles dafür, dass Innovation auf der einen und Effizienz auf der anderen Seite ein durch Synergieeffekte geprägtes Interessenpaar ist, wobei allerdings die jeweiligen Fortschritte nicht zwangsläufig parallel, sondern durchaus auch in alternierender Abfolge gemacht werden können. Stellt sich nach Forschung und Entwicklung ein Innovationsergebnis ein, das – jedenfalls für einen überschaubaren Zeitraum – als solches nicht wieder weiterentwickelt werden kann, so ergeben sich durchaus Ansatzpunkte, dieses Stadium der Innovation in einem Effizienzentwicklungsprozess noch einmal inhaltlich zu optimieren. Das Ergebnis eines solchen Effizienzsteigerungsprozesses kann dann allerdings wiederum ein Wechseln in einen entsprechenden Innovationsprozess darstellen, weil die Erkenntnisse aus der Effizienzoptimierung zu einem Konzept- und Strukturwechsel führen, die eine neuerliche Innovation auslösen.

Für den deutschen Gesetzgeber besteht nun die besondere Herausforderung, dass bei allem Bemühen um Kostenbegrenzung (und deshalb durchaus auch Effizienzsteigerung) das Umfeld der wirtschaftlichen Betätigung nicht innovationsfeindlich und damit innovationshemmend ausfällt. Die Kritik am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und den dortigen Regelungen zu den sogenannten Leitplanken deutet indes darauf hin, dass das Gesetz diesen Effekt ausgelöst hat. Innovationsanreize sind nun so schwer kalkulierbar bzw. fallen so gering aus, dass sie mit den wirtschaftlichen Risiken und Vorinvestitionen nicht mehr in ein vertretbares Gleichgewicht gebracht und damit ökonomisch zumutbar abgewogen werden können.

Den jüngsten Analysen des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) über die Auswirkungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) zufolge bekennen sich diese zwar rein inhaltlich zum Bedarf und der Notwendigkeit von Forschung und Entwicklung zum Erreichen von Innovationen. Die Unternehmen sind allerdings zu stark mit bürokratischen Rahmenbedingungen belastet, die sich nur oder nur zu einseitig möglichen Effizienzverbesserungen widmen. Innovation braucht aber das Umfeld von Entwicklungsräumen und experimentellen Betätigungen bei gleichzeitiger Aussicht, den messbaren Nutzen und Zusatznutzen dann auch wirklich im System etablieren zu können.

Ich bin deshalb sicher, dass die getätigten Schritte in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal einer grundsätzlichen Analyse unterworfen werden müssen, da wir auch im Bereich der Preisgestaltung und Preisregulierung für innovative Arzneimittel den Anreizfaktor neu beschreiben und definieren und hierzu das System auf seine Effizienzreserven dauerhaft und intensiv untersuchen müssen.

Betrachten wir deshalb das Begriffspaar der Innovation und der Effizienz als eine sich gegenseitig bereichernde Wettbewerbssituation und deshalb in keiner Weise als Widerspruch, sondern sehr wohl als erstrebenswerte Synergie.

Innovation und Effizienz – Synergie oder Widerspruch?

Dr. Georg Kippels hat Rechtswissenschaften in Köln und Düsseldorf studiert und übernahm im Anschluss eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt in Bedburg. Seit 1980 ist Dr. Kippels Mitglied der CDU.

Von 2000 bis 2020 war er Ortsbürgermeister in Bedburg-Mitte. Dem Deutschen Bundestag gehört er seit 2013 an und ist seit 2015 ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit.

In der aktuellen, 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ist er Obmann der CDU/CSU sowohl im Ausschuss für Gesundheit als auch im Unterausschuss für Globale Gesundheit.

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