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Interview zu Klimalabel und Co

Klimafreundliche Ernährung: „Wir brauchen einen Instrumentenmix“

Führt mehr pflanzliches Essen in Kantinen und Kliniken zur Ernährungswende? Der Agrarökonom Achim Spiller über die Gefahren einer emotionalisierten Debatte und die Chancen eines Klimalabels.

Von Anna Epp und Kim-Lara Oswald Veröffentlicht:
Gesundes Essen in Mensen und Kantinen? Das wäre machbar.

Gesundes Essen in Mensen und Kantinen? Das wäre machbar.

Herr Professor Spiller, was sind die effektivsten Maßnahmen, die jede und jeder Einzelne ergreifen kann, um sich klimaschonender zu ernähren?

Weniger tierische Erzeugnisse zu konsumieren ist unzweifelhaft das Wichtigste und der größte Hebel, sich klimaschonender zu ernähren. Das betrifft nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte. Im Ernährungssektor beeinflussen besonders Wiederkäuer wie Rinder das Klima, denn sie stoßen bei ihrer Verdauung das klimaschädliche Treibhausgas Methan aus. Das führt dazu, dass die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch oder Hartkäse besonders hohe Emissionen verursacht. Zum anderen sollten wir mehr Hülsenfrüchte wie Kichererbsen oder Bohnen essen. Sie sind wegen ihrer Ballaststoffdichte nicht nur sehr gesund, sondern schützen auch das Klima.

Achim Spiller ist Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen.

Achim Spiller ist Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen.

© Marco Bühl

Was macht Hülsenfrüchte so klimafreundlich?

Sie müssen nicht so stark gedüngt werden. Die Düngung in der Landwirtschaft belastet das Klima enorm. Der übermäßige Einsatz von Stickstoffdüngern führt dazu, dass Pflanzen nicht den gesamten Stickstoff aufnehmen können. Der nicht benötigte Stickstoff wird wiederum im Boden abgebaut, wodurch Lachgas entsteht. Dieses ist 300-mal klimaschädlicher als CO2. Hülsenfrüchte hingegen binden Stickstoff aus der Luft und machen ihn für die eigene Düngung und den Boden verfügbar. Dadurch müssen sie gar nicht oder kaum zusätzlich gedüngt werden und sind besonders klimafreundlich. Die Debatte um Fleischverzicht wird oft sehr emotional geführt. Es entsteht der Eindruck von Lagerbildungen. Aber den Fleischkonsum zu reduzieren, kommt für 65 Prozent der fleischessenden Befragten infrage – ein großes Potenzial.

Wie sollten wir damit umgehen?

Wir sollten versuchen, Menschen keine Vorwürfe zu machen, sondern die positiven Seiten eines geringeren Fleischkonsums kommunizieren – so wie es die AOK mit ihrem Themenschwerpunkt tut, indem sie zeigt, dass gesunde Ernährung und Klimaschutz häufig Hand in Hand gehen. Es hilft nicht, einen Krieg um das Fleisch zu führen. Es bedarf Maßnahmen, die zeigen, dass es auch ohne Fleisch schmeckt. Der Aktionsmonat „Veganuary“ ist ein gutes Beispiel. Er schafft Aufmerksamkeit für das Thema und knüpft direkt an Verhaltensweisen an, nämlich den Neujahrsvorsätzen. Selbst die Wirtschaft sieht das Interesse in der Bevölkerung und bietet spezielle Angebote an. Dadurch tasten sich Interessierte an das Thema heran und probieren pflanzenbetonte Speisen aus. Doch auch in Mensen oder Krankenhäusern sollten mehr vegane und vegetarische Gerichte auf das Tablett kommen. Wenn sie gut schmecken, gewöhnen sich die Menschen langsam daran.

Sie arbeiten an einem staatlichen Klimalabel. 76 Prozent der Befragten finden, die Politik sollte sich für eine verpflichtende und verständliche Lebensmittelkennzeichnung einsetzen. Wie ordnen Sie das ein?

Die Konsumentinnen und Konsumenten fordern ein Recht auf Information ein. Sie wollen Infos, sie wollen mitreden und sie wollen verstehen. Wir haben aktuell mehr als 200 Nachhaltigkeitslabel auf dem deutschen Markt, also einen regelrechten Label-Dschungel. Bei einer klimaschonenden Ernährung sollten z.B. Flugwaren wie Flugmangos vermieden werden, denn gerade der Flugverkehr ist besonders schädlich für das Klima. Doch leider sieht man den Produkten nicht an, wie genau sie transportiert wurden – ob mit dem Schiff oder dem Flugzeug. Oder ob eine Tomate im fossil beheizten Gewächshaus produziert wurde. Für die Bevölkerung sollte im Detail ersichtlich sein, wie klimabelastend das jeweilige Lebensmittel ist.

Inwiefern kann ein Klimalabel die Lösung sein?

Ein Klimalabel ist ein wichtiger Bestandteil dieser Veränderung, allein aber kein Gamechanger. Wir brauchen einen Instrumentenmix: Wir müssen eine faire Ernährungsumgebung schaffen mit einer klimafreundlichen Gemeinschaftsverpflegung, also Kantinen, und Mehrwertsteuer-Anpassungen: günstiger für pflanzliche Lebensmittel, teurer für tierische. Nur so kann die gewohnheitsgeprägte Ernährung mit der Zeit langfristig verändert werden – hin zu einem klimaschonenden Ernährungssystem für Mensch und Erde.

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