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Arbeitshilfe für Praxen

Klimasensible Versorgung: „Die Aufklärung von Patienten ist ein zentrales Element“

Schon heute fordert extreme Hitze in Deutschland Tausende Todesopfer und verschärft Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Infektionskrankheiten. Welche Folgen das für die ambulante Versorgung hat, wie Praxen ihre Patienten schützen können – und welche Unterstützung der neue QISA-Band bietet, erläutert Erstautorin Catriona Friedmacher.

Von Stefanie Roloff Veröffentlicht:
Wer in der Sprechstunde eine klimasensible Lebensstilberatung anbietet, kann viel bewirken, meint Expertin Friedmacher. (Motiv mit Fotomodellen)

Wer in der Sprechstunde eine klimasensible Lebensstilberatung anbietet, kann viel bewirken, meint Expertin Friedmacher. (Motiv mit Fotomodellen)

© Siphosethu F/peopleimages.com / stock.adobe.com

Frau Dr. Friedmacher, welche konkreten Auswirkungen hat der Klimawandel bereits heute auf die Gesundheit?

Hitzewellen treten häufiger und länger auf. In Deutschland gab es im extrem heißen Jahr 2018 schätzungsweise 8.300 hitzebedingte Todesfälle. Im Jahr 2023 waren es über 3.000. Besonders betroffen sind ältere Menschen und solche mit chronischen Erkrankungen. Zudem belastet Hitzestress das Herz-Kreislauf-System und kann Herzinfarkte, Schlaganfälle sowie Nierenversagen begünstigen.

Wir sehen auch eine Zunahme von Allergien und Atemwegserkrankungen. Die längere Pollensaison führt zu mehr Heuschnupfen, Asthma und allergischen Reaktionen. Dazu kommt eine erhöhte Ozon- und Feinstaubbelastung an heißen Tagen. Das kann Atemwegserkrankungen wie COPD oder Asthma verschlimmern und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.

Als Letztes können sich durch wärmere Winter und Sommer Zecken und Mücken weiter ausbreiten. Dadurch sehen wir eine steigende Inzidenz von Infektionskrankheiten wie FSME oder Borreliose durch Vektoren.

Vor welchen Herausforderungen steht die ambulante Versorgung?

Die genannten Auswirkungen des Klimawandels führen zu einer höheren ambulanten Inanspruchnahme. Unter anderem müssen Hausärztinnen und Hausärzte sowie Labore derzeit noch seltene, vektorübertragene Infektionskrankheiten schneller erkennen können.

Darüber hinaus beeinträchtigt die Hitze in Praxisräumen Personal sowie Patientenschaft. Das erfordert Hitzeschutzpläne und eine Anpassung der Tagesabläufe, etwa bei der Terminplanung. So sollten ältere und chronisch kranke Menschen eher in den kühlen Morgenstunden einbestellt werden.

Dr. Catriona Friedmacher ist Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe Universität in Frankfurt am Main und Erstautorin des QISA-Bandes.

Dr. Catriona Friedmacher ist Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe Universität in Frankfurt am Main und Erstautorin des QISA-Bandes.

© privat

Was gehört zu einer klimasensiblen Versorgung in Arztpraxen?

Eine klimasensible Medizinversorgung in Arztpraxen bedeutet, Abläufe wie die Organisation, Kommunikation, Diagnostik und Therapie so zu gestalten, dass die gesundheitlichen Risiken des Klimawandels gemindert werden – und gleichzeitig die Resilienz von Patientinnen und Patienten wie auch des Praxispersonals gestärkt wird.

Manche Arztpraxen bieten schon eine klimasensible, individuelle Gesundheitsberatung an. Dabei berücksichtigen sie Themen aus dem Bereich Klimawandel und Gesundheit im Rahmen der ärztlichen Sprechstunde.

Wie geht der neue QISA-Band darauf ein?

Der QISA-Band fokussiert auf klimabezogene Aspekte der Patientenversorgung – das heißt: nachhaltige Lebensstilberatung, Patienteninformation, die Identifizierung von Risikogruppen sowie Hitzeschutzpläne und eine rationale Pharmakotherapie.

Die QISA-Qualitätsindikatoren in der ambulanten Versorgung können eingesetzt werden, um die Versorgungsqualität im Sinne einer klimaadaptiven und krisenresilienten Versorgung zu verbessern. Sie bieten in der Praxis einen evidenzbasierten Denkansatz, um die Qualität der Versorgung im Hinblick auf zukünftige Umweltveränderungen weiter zu verbessern und abzusichern.

Warum liegt ein Schwerpunkt auf Hitzeschutz und Atemwegserkrankungen?

Hitzeschutz und Atemwegserkrankungen sind zwei der Hauptfaktoren des Klimawandels, welche die Morbidität und Mortalität beeinflussen. Im neuen Band ist berücksichtigt, dass nur Faktoren genannt werden, die einen möglichst hohen Evidenzgrad aufweisen und von Arztpraxen beeinflussbar sind, sodass darauf aufbauend Qualitätsindikatoren entwickelt werden konnten.

Neben der hier behandelten klinischen Patientenversorgung erfordert der Gesundheitsschutz der breiten Bevölkerung angesichts des Klimawandels noch weitere Ansätze, die sich besser im öffentlichen Gesundheitswesen oder auf politischer Ebene umsetzen lassen.

Wie dient der Band als Arbeitshilfe?

Das Hauptziel ist, valide Indikatoren zur Verfügung zu stellen, um Versorgungsqualität messbar zu machen. Zusätzlich entlastet der Band praktisch tätige Ärztinnen und Ärzte davon, selbst fundierte Indikatoren zu entwickeln. Dieser und die weiteren QISA-Bände bieten zudem Informationen zum aktuellen Stand der Evidenz und zu Leitlinien. Außerdem gibt er Hinweise und Tipps für die praktische Anwendung und Weiterentwicklung in Qualitätszirkeln.

Welche Rolle spielt die Aufklärung?

Die Aufklärung von Patientinnen und Patienten ist ein zentrales Element, um klimabedingte Gesundheitsrisiken zu mindern – gerade in der ambulanten Versorgung, wo der direkte, wiederkehrende Kontakt zu den Menschen besteht. Ärztinnen und Ärzte genießen ein hohes Maß an Vertrauen. Daher ist die Praxis ein geeigneter Ort, um über die gesundheitlichen Gefahren von Hitze aufzuklären sowie über Schutz- und Anpassungsmaßnahmen zu beraten. Dazu gehört die Förderung von Prävention und Selbstschutz.

Was können Arztpraxen für mehr Nachhaltigkeit tun?

Der Alltag in einer Arztpraxis bietet zahlreiche Ansatzpunkte, um Emissionen zu reduzieren. Im neuen QISA-Band werden zwei klinische Themen zur Nachhaltigkeit behandelt. Erstens die klimabewusste Verordnung von Inhalativa bei Asthma und COPD – da treibhausgasbetriebene Dosieraerosole einen sehr hohen CO2-Fußabdruck haben im Vergleich zu Pulverinhalatoren.

Zweitens sollten möglichst viele Versicherte im Rahmen der ärztlichen Sprechstunde eine klimasensible Lebensstilberatung erhalten, bei der gleichzeitig gesundheitsfördernde und umweltschonende Maßnahmen – sogenannte Co-Benefits – erklärt werden.

Welche Chancen bieten digitale Anwendungen?

Digitale Anwendungen sind hilfreich für die klimasensible Versorgung im ambulanten Bereich. Frühwarn-Systeme wie die Hitzewarn-App des Deutschen Wetterdienstes, Pollenflug-Apps oder der Infektionsradar des Bundesministeriums für Gesundheit lassen sich gut in die Praxisabläufe integrieren.

Zudem können digitale Patientenerinnerungen via SMS oder Push-Benachrichtigung eingesetzt werden, etwa für Verhaltensanpassungen bei Hitze oder hoher Pollenbelastung. Sie können zum Beispiel auch Informationen zur korrekten Medikamentenlagerung im Sommer übermitteln.

Wie können regionale Netzwerke oder Kooperationen zur Umsetzung der Empfehlungen beitragen?

Wenn Ärztinnen oder Ärzte die Indikatoren in der Praxis einsetzen, können die Ergebnisse in Qualitätszirkeln besprochen und als Arbeitsgrundlage verwendet werden, um die Zielerreichung zu überprüfen beziehungsweise Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Wenn etwa ein Indikator deutlich zu niedrig oder zu hoch ist, sollten Strategien erarbeitet werden, wie Maßnahmen für die Verbesserung der Versorgung implementiert werden können.

Der QISA-Band „Gesundheitsversorgung im Klimawandel“ ist abrufbar unter: https://www.aok.de/gp/qisa/baende/band-f3-gesundheitsversorgung-im-klimawandel

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