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Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Die rasche Eskalierung von Laborkapazitäten für Corona-Tests sowie die Entwicklung und Zulassung hochwirksamer Impfstoffe auf Basis der mRNA-Technologie binnen weniger Monate haben in der zurückliegenden COVID-19-Pandemie entscheidend zum Gesundheitsschutz beigetragen, so das einmütige Urteil von Expertinnen und Experten aus der Ärzteschaft, der Industrie und den Behörden. Die größten Herausforderungen sehen sie in der Krisenkommunikation mit der Öffentlichkeit.

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Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Dr. Florian Steiner, Hausarzt in einer niedersächsischen Kleinstadt, gibt sich noch heute kämpferisch, wenn er an den Start der Impfkampagne Anfang 2020 zurückdenkt. Steiner ist gelernter Internist und Tropenmediziner und kann auf praktische Erfahrungen bei der Bekämpfung von Ebola in Afrika zurückgreifen. „Meine Patienten waren schnell und gut informiert, und dafür habe ich eigens ein aktuelles Informationsportal auf meiner Praxis-Homepage eingerichtet.“

Mit einigem Stolz berichtet er über eine mehr als 90-prozentige Impfquote unter seinen Patienten, die durch Überzeugungsarbeit des gesamten Praxisteams erreicht worden sei. „Man muss sich kümmern, das macht viel Arbeit. Aber vor allem bei widersprüchlichen Informationen ist das Vertrauen unserer Patienten in den Hausarzt essenziell.“

Verwirrende Widersprüche

Steiner sprach damit in einer interdisziplinären Diskussionsrunde beim Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung eines der weniger gut gelösten Probleme in der Wissenschafts- und Krisenkommunikation während der Pandemie an. Denn erhebliche Wissenslücken, als widersprüchlich wahrgenommene Botschaften, fehlende Einordnung von Gefahren nach Wahrscheinlichkeiten und die ständig nötige Revision von vorläufigem Wissen erzeugten im öffentlichen Raum den Eindruck einer Kakophonie, die Vertrauen und Glaubwürdigkeit kosteten.

Dabei haben nach Einschätzung von Professor Heyo Kroemer, dem Vorstandsvorsitzenden der Charité, das Paul-Ehrlich- und das Robert Koch-Institut gut informiert. Auch habe sich in der Pandemie eine gute Struktur für die Politikberatung durch Fachleute etabliert. Ein solches Beratungsgremium sollte weiter tätig sein und nicht erst in der nächsten Pandemie erneut ins Leben gerufen werden müssen.

Das Paul-Ehrlich-Institut habe das Nebenwirkungsprofil der Impfstoffe stets sachgerecht dargestellt, betonte sein Präsident Professor Klaus Cichutek. Doch man habe vielleicht die Vorteile des Impfens zu wenig kommuniziert. „Wir hätten eine laiengerechtere Ansprache versuchen müssen.“ Das wäre auch von Nutzen gewesen, weil zumindest bis zur Pandemie auch die Impfquoten beim medizinischen Personal nicht besonders gut gewesen seien. Umso glücklicher könne man sich schätzen, dass so schnell bis heute wirksame Impfstoffe entwickelt und zugelassen werden konnten.

Erfreulich sei dabei gewesen, so Dr. Harald Gschaidmeier vom Impfstoff-Hersteller BioNTech, dass sich die Faktenlage nicht zuletzt deshalb ständig änderte, weil der medizinisch-technische Fortschritt und seine großtechnische Hochskalierung so rasant verliefen. „Das war kein Selbstläufer. Voraussetzung war eine funktionierende mRNA-Technologie als Basis, darüber hinaus ein enger Austausch mit dem Paul-Ehrlich-Institut in einem Zulassungsverfahren, das nur wenige Monat dauerte.“ Ebenso wichtig gewesen sei auch die Partnerschaft mit Pfizer und seiner Organisationskraft für internationale klinische Studien, der Infrastruktur zur Datenauswertung und der Fähigkeit, binnen kürzester Zeit Produktionskapazitäten hochzufahren und Impfstoffe zu distribuieren.

Forschung für Therapeutika

Auf der Habenseite ist auch zu verbuchen, dass die Dynamik in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit deutlich beschleunigt werden konnte, so Dr. Daniel Kalanovic von Pfizer. So habe sich inzwischen die Entwicklungsdauer für neue Wirkstoffe in Unternehmen von ursprünglich acht auf voraussichtlich nurmehr fünf Jahre verkürzen lassen.

Verbesserungsbedarf gibt es aber nach Auffassung von Professor Sandra Ciesek vom Uniklinikum Frankfurt/Main für die gemeinsame Therapeutika-Entwicklung von Unternehmen und akademischen Forschungseinrichtungen. Wenn letztere lieber Partner als Auftragnehmer seien, erfordere das eine Klärung der Rollen. Während der Pandemie habe auch die Zeit für das Aushandeln der Verträge gefehlt. Die Virologin plädierte deshalb für das rechtzeitige Abschließen von Rahmenverträgen zwischen Unternehmen und Universitätsklinika, die im Pandemiefall in kurzer Zeit konkretisiert und aktiviert werden können.

Einige antivirale Corona-Medikamente konnten schon während der Pandemie zu Ende entwickelt werden. Doch sind sie laut Kalanovic nur zögerlich genutzt worden, obwohl beispielsweise von Paxlovid seit Februar 2022 große von der Bundesregierung finanzierte Mengen zur Verfügung standen. Hausarzt Florian Steiner stimmt dem zu: Lange Zeit habe bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin dazu „Funkstille“ geherrscht. Sorge vor Neben- und Wechselwirkungen habe zur Zurückhaltung geführt.

Als Konsequenz aus den Erfahrungen wünscht sich Steiner eine Intensivierung der Fortbildung insbesondere in Online-Streaming-Formaten, die jederzeit abgerufen werden können, mit CME-Punkten als Anreiz.

„Miserable Digitaltechnik“

Für deutlich verbesserungsbedürftig hält Steiner überdies die den Ärzten zur Verfügung stehende Digitaltechnik und Software; denn sie fresse gerade während einer Pandemie mangelnde Zeit auf: „Man verbringt Stunden damit, Fehler zu beheben.“ Eine weitere Belastung für die Praxen stelle auch der Dokumentations- und Meldeaufwand dar. Unbedingt solle auf die Erhebung nicht mehr benötigter Daten verzichtet werden. „Keep it simple“, lautet seine Empfehlung.

Den Rückstand bei der Digitalisierung beklagt auch Charité-Chef Kroemer: Dass der Impfpass noch immer nicht digitalisiert ist, wertet er als Versäumnis – „wir verharren in der Steinzeit“. Dabei könne ein eImpfpass zum Monitoring von Real-World-Daten genutzt werden, hofft Daniel Kalanovic.

Aus der Pandemie lernen, so das einheitliche Urteil, bedeute insbesondere die Überwindung einer dysfunktional gewordenen Bürokratie und Risikoaversion, die Chancen weitgehend ausblendet. Die enge Zusammenarbeit zwischen akademischer Forschung, Industrie und Zulassungsbehörden während der Pandemie und die erreichte Verschlankung und Beschleunigung von Zulassungsprozessen könne Vorbild sein, so das einheitliche Urteil. Dazu, so PEI-Präsident Klaus Cichutek, müssten alle Stakeholder aus Forschung, Industrie und staatlichen Institutionen in einen Dialog treten, um pragmatisch bürokratische Hemmnisse zu identifizieren und zu beseitigen. (HL)

Videoaufzeichnungen des zweitägigen Symposions sind unter www.paul-martini-stiftung.de/covid-19 abrufbar.

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