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Gefahr von Resistenzen

Muss es das Antibiotika-Rezept sein?

Antibiotika-Resistenzen stellen zunehmend ein Problem dar. Neben dem Einsatz in der Masttierhaltung bleibt ein Knackpunkt die Verordnungshäufigkeit in der Humanmedizin. Eine neue Arbeitshilfe soll Arztpraxen dabei unterstützen, den Einsatz von Antibiotika auf ein sinnvolles Maß zurückzufahren.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Oft werden Antibiotika auch deshalb verordnet, weil Ärzte sicher gehen wollen – so die Erfahrung von Hausarzt Veit Wambach. Je drastischer ein Patient seine Beschwerden schildere, umso eher greife man zum Rezeptblock.

Oft werden Antibiotika auch deshalb verordnet, weil Ärzte sicher gehen wollen – so die Erfahrung von Hausarzt Veit Wambach. Je drastischer ein Patient seine Beschwerden schildere, umso eher greife man zum Rezeptblock.

© joyfotoliakid / stock.adobe.com

Berlin. Allein in Deutschland werden in der Humanmedizin jährlich rund 700 bis 800 Tonnen Antibiotika verbraucht. Zwar steht Deutschland im internationalen Vergleich (2019 wurde ein Pro-Kopf-Verbrauch im ambulanten Bereich von 11,4 DDD ermittelt) noch relativ gut da, gleichwohl sehen Experten Optimierungspotenzial. „Eine umsichtige Verwendung von Antibiotika und umfassende Infektionsprävention sind Eckpfeiler der effektiven Vorbeugung gegen Resistenzen“, heißt es denn auch in der jüngst veröffentlichten Arbeitshilfe für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zur rationalen Verordnung von Antibiotika.

Sie ist Bestandteil des Qualitätsindikatoren-Systems für die ambulante Versorgung (QISA), das der AOK-Bundesverband gemeinsam mit dem Göttinger Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua) anbietet. Der QISA-Band „Rationaler Antibiotikaeinsatz“ kann kostenfrei aus dem Internet heruntergeladen werden. Er soll besonders Hausärzten dabei helfen, den Antibiotika-Einsatz auf ein sinnvolles Maß zurückzufahren, um der zunehmenden Bedrohung der öffentlichen Gesundheit durch Antibiotika-Resistenzen zu begegnen.

Indikatoren basieren auf ARena

Die Inhalte des QISA-Bandes bauen auf Erkenntnissen des Projektes „Antibiotika-Resistenzentwicklung nachhaltig abwenden“ (ARena) auf. Die Arbeitshilfe umfasst zwölf Qualitätsindikatoren, mit denen Ärzte den rationalen Einsatz von Antibiotika in ihrer Praxis messen und bewerten können. Ein Indikator ist zum Beispiel ein zu hoher Anteil von Patienten mit bestimmten „unkomplizierten“ Infektionen, bei denen ein Antibiotikum verordnet wird.

Veit Wambach hat sich viele Jahre im ARena-Projekt engagiert, in das er seine Erfahrung als Hausarzt und Vorstand eines Gesundheitsnetzes einbrachte. Unter anderem mit Beiträgen auf der Internetseite www.antibiotika-alternativen.de klärt er darüber auf, was bei einer unkomplizierten Infektion zur Genesung beiträgt. Aus dem Arbeitsalltag weiß er, dass eine Verordnung von Antibiotika manchmal auch mit Sicherheitsdenken zu tun haben kann. „Manchmal ist es eben auch eine Frage der Absicherung. Je drastischer ein Patient seine Beschwerden schildert, desto eher ist man geneigt, zu stärkeren Medikamenten zu greifen – auch, damit sich der Patient ernst genommen fühlt. Aktion zu zeigen, ist sicher ein wichtiger Faktor.

Die Erwartung ärztlichen Agierens kann aber auch anders erfüllt werden. Zum Beispiel, indem der Arzt mehr kommuniziert und den Patienten etwa ermuntert, am nächsten oder übernächsten Tag noch einmal in der Praxis anzurufen und über seinen Zustand zu berichten. Dann fühlen sich Patientinnen auch durch den Rat, etwa bei einer Harnwegsinfektion zu Hause zu bleiben, viel Tee zu trinken und Wärme einzusetzen, ernst genommen“, erläutert er. „Man kann auch übers Wochenende ein Rezept mitgeben, aber darauf hinweisen, dass die Einnahme nur bei einer Verschlechterung des Zustands angezeigt ist.“

Kommunikation und Interaktion

Insgesamt sei er im Lauf der Jahre in seiner Arbeit immer stringenter geworden, sagt Wambach. „Die Evidenzbasierung ist für mich sehr wichtig. Und dann ist natürlich die Kommunikation und die Interaktion mit dem Patienten das Zentrum ärztlichen Tuns. Ich plane deshalb immer mindestens eine Viertelstunde ein. Das erscheint zunächst nicht besonders wirtschaftlich, aber in manchen Verträgen wird das durchaus honoriert. Für mich als Hausarzt lohnt sich gute Kommunikation zudem dadurch, dass ich über Jahre ein gutes Vertrauensverhältnis zu meinen Patienten aufbaue. Dann bleiben die Patienten der Praxis auch treu. Große internationale Studien zeigen auch, dass eine Viertelstunde sich positiv auf das Arzt-Patientenverhältnis auswirkt.“

Der QISA-Band richtet sich insbesondere an Arztnetze, die mithilfe der Indikatoren die Qualität innerhalb des Netzes oder im Vergleich zu anderen Netzen ermitteln können. „Unser Ziel ist es, das Problembewusstsein bei den Ärzten weiter zu erhöhen. Wir müssen verhindern, dass unsere stärksten Waffen im Kampf gegen komplizierte Infektionen immer stumpfer werden“, erläutert der Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband, Gerhard Schillinger.

Positiver Trend in der Pandemie

Dabei geht es auch um die Verordnung besonders risikoreicher Antibiotika wie der Fluorchinolone. Eine aktuelle Auswertung auf Basis der GKV-Abrechnungsdaten zeigt, dass es hier – auch infolge der insgesamt zurückgegangenen Antibiotika-Verordnungen während der Pandemie – einen positiven Trend gibt: Während 2018 noch etwa fünf Prozent der GKV-Versicherten ein Fluorchinolon-Antibiotikum verordnet bekamen, waren es 2019 noch 3,1 Prozent. Im Pandemiejahr 2020 ging der Anteil auf 2,3 Prozent zurück. „Trotz dieser deutlichen Reduktion gehören die Fluorchinolone aber mit knapp 1,7 Millionen Verordnungen im vergangenen Jahr immer noch zu den häufig verordneten Antibiotika, obwohl sie ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen haben und zu den Reserve-Antibiotika zählen“, so Schillinger.

Wir müssen verhindern, dass unsere stärksten Waffen im Kampf gegen komplizierte Infektionen immer stumpfer werden.

Gerhard Schillinger, Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband

Die Anwendung des QISA-Indikators „Anteil der Verordnungen von Fluorchinolonen“ soll dazu beitragen, dass diese Medikamente nur bei schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Infektionen verordnet werden, wenn es keine Alternativen gibt oder sie als Mittel der ersten Wahl gelten.

Vergleich in Arztnetzen

Der Allgemeinmediziner und Facharzt für innere Medizin, Wolfgang Blank, schätzt die Qualitätsindikatoren. „Ich finde, die QISA-Indikatoren sind eine gute Sache, vor allem, weil wir sie in den Qualitätszirkeln für unsere Arbeit nutzen können. In manchen Fällen würde ich mir allerdings wünschen, dass wir die Ergebnisse zeitnah und in kleineren Zeitabständen bekommen, etwa alle drei Monate. Im Grunde sollte das funktionieren wie ein gutes Computerspiel, der Ehrgeiz sollte geweckt werden. Das funktioniert aber nur dann, wenn ich auf die Ergebnisse bei den Indikatoren Einfluss nehmen kann. Es muss also konkret und beeinflussbar sein und ich muss die Ergebnisse meines Handelns zeitnah sehen. Alles in allem schätze ich aber an QISA die Möglichkeit, allgemein Wissen über die Arbeitsweise in den Arztnetzen zusammenzubringen. Dazu gehört auch der Austausch der verschiedenen Arztnetze untereinander. Wir können voneinander lernen und uns gegenseitig unterstützen. Schließlich muss nicht jeder das Rad neu erfinden.“

Daneben verweist Blank darauf, dass Antibiotika nicht nur Hausarztpraxen, sondern auch in anderen Facharztpraxen, in Krankenhäusern und zu einem nicht unerheblichen Teil in der Tiermast eingesetzt werden. „In unserem Praxisverbund versuchen wir so wenig wie möglich Antibiotika zu verordnen und haben es inzwischen geschafft, mit 6,9 Prozent deutlich weniger Antibiotika als der Durchschnitt zu verordnen. Deshalb frustriert es mich besonders, dass in der Tiermast massiv Breitbandantibiotika eingesetzt und unreflektiert wie Smarties verteilt werden.“

Die QISA-Qualitätsindikatoren kommen bereits in zahlreichen Projekten zur Messung und Verbesserung der ambulanten medizinischen Versorgung zur praktischen Anwendung. So werden sie im bundesweiten AOK-Projekt „Qualität in Arztnetzen – Transparenz mit Routinedaten“ (QuATRo) verwendet, um die Versorgungsqualität der beteiligten Netze zu messen und zu vergleichen. Aktuell beteiligen sich insgesamt 43 Arztnetze in neun Bundesländern am QuATRo-Projekt, das seit dem Start 2013 ständig gewachsen ist. Sie erhalten datenbasiertes Feedback zu den Ergebnissen des Netzes und der einzelnen Praxen, die sie für ihre Qualitätsarbeit nutzen können. „Auch ein neuer Indikator zur Antibiotika-Verordnung fließt schon in diese Arbeit ein“, berichtet Schillinger. Die QISA-Indikatoren würden außerdem in der Versorgungsforschung oder zur Evaluation von Versorgungsmodellen genutzt, so Schillinger.

Das Qualitätsindikatorensystem QISA ist das Produkt einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem AOK-Bundesverband und dem aQua-Institut. Seit 2009 sind über 170 sorgfältig begründete Qualitätsindikatoren veröffentlicht worden, die Qualität in der Arztpraxis messbar machen und die Bewertung der ambulanten Versorgung in ihrer ganzen Breite ermöglichen. QISA beleuchtet in erster Linie Aspekte der hausärztlichen Grundversorgung, aber auch Themen der Spezialversorgung durch Fachärzte.

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© Pikovitt44 / Getty Images / iStock

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