Welche Endpunkte sind patientenrelevant?
Patientenrelevante Endpunkte im Kontext des europäischen HTA-Prozesses
Die ersten gemeinsamen europäischen Bewertungen (Joint Clinical Assessments, JCA) und Beratungen stehen ab Januar 2025 bevor und erfordern klar definierte methodische Anforderungen und ein gemeinsames Verständnis zentraler Konzepte. Die Erfahrungen aus Übungsverfahren zur Bestimmung des Bewertungsumfanges im sogenannten „Scoping“-Verfahren flossen in die Entwicklung verschiedener Guidance-Dokumente ein. Hinsichtlich der Endpunkte leistet die „Guidance on Outcomes for JCA“ einen wichtigen Beitrag zur Harmonisierung der Anforderungen zu Endpunkten im Rahmen des JCA. Die Deutungshoheit über die Relevanz von Ergebnissen zu bestimmten Endpunkten verbleibt jedoch bei den Mitgliedstaaten.
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Einleitung
Mit dem Geltungsbeginn der Verordnung (EU) 2021/2282 (EU-HTA-Verordnung) am 12. Januar 2025 stehen die ersten gemeinsamen europäischen Bewertungen (Joint Clinical Assessments, JCA) und Beratungen (Joint Scientific Consultations, JSC) für Arzneimittel kurz bevor. Der Geltungsbereich der EU-HTA-Verordnung wird zunächst auf Arzneimittel zur Therapie onkologischer Erkrankungen und Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) begrenzt sein, jedoch nach schrittweiser Ausweitung ab dem 13. Januar 2030 alle neuen Arzneimittel einschließen.1
Eine Voraussetzung für die Umsetzung der EU-HTA-Verordnung ist die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses der EU-Mitgliedstaaten und die Definition gemeinsamer methodischer Anforderungen als Grundlage für die Durchführung von JCA und JSC. Hierzu werden in den Subgruppen der HTA-Koordinierungsgruppe Guidance-Dokumente zu verschiedenen prozessualen und methodischen Aspekten entwickelt.
Das Rückgrat von JSC und JCA bildet das PICO-Schema, welches die Fragestellung der europäischen HTA-Bewertung anhand der Parameter „Population, Intervention, Comparator, Outcomes“ definiert. Eine geeignete Operationalisierung von Endpunkten ist für die Generierung aussagekräftiger Studiendaten für das JCA-Verfahren essenziell und stellt somit auch einen elementaren Beratungsaspekt in den JSC dar.
Endpunkte im Scoping-Prozess
Die Festlegung des Bewertungsumfanges für einen JCA erfolgt im sogenannten „Scoping“-Verfahren. Hierbei werden die nationalen Fragestellungen der Mitgliedstaaten anhand von PICO-Schemata abgefragt. Anschließend erfolgt eine Konsolidierung mit dem Ziel, die Bedarfe der einzelnen Mitgliedstaaten durch eine möglichst geringe Anzahl an PICOs abzubilden.
Eine Erprobung dieses Prozesses erfolgte im Rahmen des Projektes „EUnetHTA 21“ beispielhaft für drei Arzneimittel.2 Die Ergebnisse dieser „PICO exercises“ bildeten die Grundlage für die Weiterentwicklung der „Guidance on the Scoping Process“, welche Orientierung für Mitgliedstaaten sowie Assessoren und Co-Assessoren bei der Definition der nationalen PICOs und der anschließenden Konsolidierung geben soll.
In Bezug auf die Endpunkte zeigte sich in den „PICO exercises“ eine große Heterogenität der Endpunktformulierung durch die einzelnen Mitgliedstaaten (Tabelle 1).
Zunächst fällt auf, dass die in Deutschland übliche Kategorisierung der Endpunkte in die Kategorien Mortalität, Morbidität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen nicht vorgenommen wurde. Zudem unterschieden sich die einzelnen Endpunkte stark hinsichtlich ihres Konkretisierungsgrades. Teilweise wurden konkrete Messinstrumente genannt, teilweise sehr allgemein formuliert: „Any other patient centred outcome measured by patient-reported outcomes measures“. Weiterhin erfolgte in bestimmten Fällen eine Vermischung von Erhebungsmethoden und Endpunkten („Radiological tumor assessment, including overall response rate and duration of response“). Hinsichtlich der Sicherheitsendpunkte zeichnete sich die Möglichkeit der Definition eines indikationsunabhängigen, standardisierten Sets ab.
Die Erfahrungen aus den „PICO exercises“ in Bezug auf die Formulierung von Endpunkten flossen in die „Guidance on Outcomes for Joint Clinical Assessments (JCA)“ ein.3
Guidance on Outcomes for JCA: Konkretisierung der Anforderungen an Endpunkte
Dieses von der Subgruppe für die Entwicklung methodischer und verfahrenstechnischer Leitfäden entwickelte Guidance-Dokument definiert zentrale Konzepte und Anforderungen an Endpunkte im JCA. Zudem werden Vorgaben an die Formulierung von Endpunkten durch die Mitgliedstaaten im Rahmen des Scoping-Verfahrens gemacht. Durch eine einheitliche Formulierung soll die Konsolidierung von Endpunkten unterstützt werden. Beispielsweise empfiehlt die Guidance, auf die Forderung von Effektmaßen zu verzichten. Wenn die Mitgliedstaaten dennoch konkrete Effektmaße oder Messinstrumente zur Beantwortung ihrer nationalen Fragestellung benötigen, wird die Angabe einer Präferenz mit der Formulierung „[Outcome of interest] measured preferably as [insert measure]“ empfohlen.
Weiterhin macht das Guidance-Dokument Vorgaben zum Umgang mit Surrogatendpunkten und kombinierten Endpunkten im Scoping-Verfahren sowie zu den diesbezüglichen Anforderungen an das europäische Dossier sowie den JCA-Bericht. Hinsichtlich der Validität, Reliabilität und Interpretierbarkeit von Messinstrumenten beschreibt die Guidance, welche Angaben im Dossier gemacht und im JCA-Bericht dargelegt werden müssen, um den Mitgliedstaaten die Beurteilung der Eignung eines Messinstrumentes zu ermöglichen. Schließlich wird ein einheitliches Set an Endpunkten der Kategorie Nebenwirkungen definiert, zu denen unabhängig von den eingereichten und konsolidierten PICO-Schemata immer Ergebnisse im Dossier und JCA-Report dargestellt werden müssen.
Wichtig ist, dass im Rahmen des JCA keine Wertungsentscheidungen, beispielsweise bezüglich der Patientenrelevanz bestimmter Endpunkte oder der Validität von Surrogatendpunkten oder Messinstrumenten getroffen werden. Die Beurteilung der (Patienten-)Relevanz von Endpunkten sowie die Schlussfolgerungen aus den im JCA-Bericht dargestellten Ergebnissen und damit verbundene Wertungsentscheidungen liegen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten.

Tabelle 1: Die Erprobung des Prozesses, um zu einer möglichst geringen Zahl an PICOs zu gelangen, erfolgte in den „PICO exercises“. Dabei wurde eine große Heterogenität der Endpunktformulierung durch die Mitgliedstaaten deutlich.
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Fazit
Auch wenn wenige Wochen vor Beginn der ersten JCA-Verfahren noch einige offene Fragen bestehen, hat die intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Perspektiven der Mitgliedstaaten im Zuge der vorbereitenden Arbeit der Subgruppen der HTA-Koordinierungsgruppe relevante Fortschritte auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis ermöglicht. Die „Guidance on Outcomes for JCA“ leistet einen wesentlichen Beitrag zur Harmonisierung der Anforderungen an Endpunkte. Dies soll die Mehrfachnennung identischer oder fast identischer Endpunkte im Scoping-Verfahren und eine daraus folgende Duplikation der Darstellung von Ergebnissen im europäischen Dossier und im JCA-Report minimieren.
Welche konkreten Endpunkte in den Bewertungsumfang eingeschlossen werden sowie die Entscheidung darüber, welche Endpunkte für die Beantwortung der nationalen Fragestellung als relevant erachtet werden, liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Der Prozess zur Festlegung des Bewertungsumfanges für einen JCA kann dazu führen, dass für ein zur Beantwortung der deutschen Fragestellung herangezogenes PICO auch Ergebnisse zu von anderen Mitgliedstaaten geforderten Endpunkten im JCA-Bericht dargestellt werden, die vom G-BA jedoch nicht als relevant erachtet werden. Aus der Darstellung von Ergebnissen zu einem Endpunkt im JCA-Report ergibt sich somit keine Verpflichtung, diese Ergebnisse für die nationale Bewertung heranzuziehen.
In Bezug auf das AMNOG-Verfahren ist zudem der Grundsatz der Gleichbehandlung von Produkten, welche in den Geltungsbereich der EU-HTA-Verordnung fallen und solchen, die ausschließlich auf nationaler Ebene bewertet werden, relevant. Das ist insbesondere bedeutsam, da es zunächst indikationsabhängig parallel Verfahren mit und ohne vorgeschalteten JCA geben wird, in denen keine unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe angelegt werden sollten.

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Dr. Johanna Seeger, arbeitet seit 2021 als Referentin in der Abteilung Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Seit 2022 ist sie Vertreterin des G-BA in den Subgruppen der HTA-Koordinierungsgruppe für gemeinsame klinische Bewertungen, für gemeinsame wissenschaftliche Beratungen sowie für die Entwicklung methodischer und verfahrenstechnischer Leitfäden. 2009 schloss sie ihr Studium an der Evangelischen Hochschule Berlin als „Bachelor of Nursing“ ab. In den Jahren 2012 bis 2016 studierte sie Pharmazie an der FU Berlin. 2017 erfolgte ihre Approbation zur Apothekerin, 2021 schloss sie ihre Promotion ab.
Literatur
1 Regulation (EU) 2021/2282 of the European Parliament and of the Council of 15 December 2021 on health technology assessment and amending Directive 2011/24/EU. https://go.sn.pub/bomyql
2 EUnetHTA 21: D5.4 JCA without HTD submission (PICO exercises). https://go.sn.pub/4jvktg
3 European Commission: Guidance on Outcomes for Joint Clinical Assessments. https://go.sn.pub/1pvyzz.
Ein überprüfender Zugriff auf die Internetquellen erfolgte am 15. November 2024.