„ÄrzteTag“-Podcast
GKV in der Krise – warum ist das Klassenzimmer die Lösung, DAK-Chef Storm und BVKJ-Präsident Hubmann?
Die GKV ein Notfallpatient, die Politik sucht die passende Therapie. In Folge 8 unserer Podcast-Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“ reden DAK-Chef Andreas Storm und BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann Klartext. Über Kassenkrisen, Primärarztsysteme, Gesundheitsunterricht – und warum man mit einer Otitis nicht vier Ärzte braucht.
Veröffentlicht:Von wegen immer nur gegeneinander: Krankenkassen und Ärzteverbände können auch an einem Strang ziehen. Das machen in dieser neuen Podcast-Episode aus der Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“ Andreas Storm, der Vorstandsvorsitzende der DAK Gesundheit, und Dr. Michael Hubmann, der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ). Gemeinsam sezieren sie die Lage der GKV – und nennen Therapieoptionen.
💣 „Die GKV ist ein Notfallpatient“
Andreas Storm ist deutlich: Die Lage der Krankenkassen ist dramatisch. Zwar gab es im ersten Quartal 2025 einen Überschuss von 1,85 Milliarden Euro – „aber das ist kein Grund zur Entwarnung“, warnt Storm. „Wir hatten zum Jahreswechsel den niedrigsten Rücklagenstand in der Geschichte der GKV.“ Die Beitragserhöhungen seien ein historischer Kraftakt gewesen – „der höchste Anstieg seit 75 Jahren“. Und: „Wenn der Bund nicht endlich seine Schulden bei der GKV begleicht, dann drohen zum nächsten Jahreswechsel erneut steigende Beiträge.“
🧾 „Der Staat schuldet uns 10 Milliarden Euro – jedes Jahr!“
Storm: „Wir finanzieren seit Jahren die Gesundheitsversorgung von Bürgergeldempfängern – und bekommen nur ein Drittel der Kosten erstattet.“ Das Defizit: rund 10 Milliarden Euro jährlich. „Wenn der Bund das endlich ausgleicht, könnten wir den Beitragsanstieg stoppen.“
🩺 „Wer ist eigentlich der Notarzt – und was hat er im Koffer?“
Michael Hubmann macht es bildhaft: „Die GKV ist ein Notfallpatient – aber wir haben noch nicht entschieden, welcher Notarzt kommt und welche Medikamente er dabeihat.“ Seine Forderung: „Die Schulden des Staates bei der GKV müssen aufgelöst werden. Punkt.“
🏥 Krankenhausreform? „Gespenstisch!“
Hubmann kritisiert die Umsetzung der Krankenhausreform scharf: „Wenn man mit Landespolitikern spricht, hat jedes Bundesland angeblich schon alles perfekt gelöst. Aber die Realität sieht anders aus.“ Die Reform sei „gespenstisch“ – und der Strukturwandel überfällig. „Wir können nicht weiter 100 Milliarden Euro in Kliniken pumpen, die nicht mehr ausgelastet sind.“
🧭 Primärarztsystem: Steuerung statt Selbstbedienung
Beide, Storm und Hubmann, sehen in einem Primärarztsystem einen Schlüssel zur Effizienzsteigerung. Storm: „Wir brauchen mehr Steuerung. Ein Primärarztsystem sorgt dafür, dass Patienten schneller und ganzheitlicher versorgt werden – und es bremst den Ausgabenanstieg.“ Aber: „Das lässt sich nicht in sechs Monaten einführen. Wir brauchen eine klare Zeitschiene.“
Hubmann ergänzt: „Die Zeiten, in denen man sich sieben Meinungen einholt, müssen vorbei sein. Wir brauchen eine neue Kultur der Versorgung – und die beginnt mit Vertrauen in die Primärmedizin.“
💶 Selbstbeteiligung? Ja, aber mit Augenmaß
Storm zeigt sich offen für Selbstbeteiligung – aber nur am Ende des Prozesses: „Zuerst muss das System funktionieren. Erst wenn die Patienten spüren, dass sie schneller und besser versorgt werden, kann man über Selbstbeteiligung sprechen.“
Hubmann stimmt zu: „Die Mehrheit der Bevölkerung wird sich an ein Primärarztsystem halten. Für die wenigen, die das nicht tun, brauchen wir Instrumente – aber nicht als Einstieg, sondern als Ergänzung.“
💊 Arzneipreise: Zwischen Innovation und Kostenexplosion
Großen Reformbedarf sehen beide auch bei den rasant steigenden Arzneimittelausgaben – und bei der Frage, wie man Innovation finanzieren kann, ohne das System zu überlasten. Storm: „Wir haben Ausgabenanstiege von sieben bis zehn Prozent – das ist nicht mehr durch die Einnahmen gedeckt.“ Sein Vorschlag: kurzfristig wirksame Maßnahmen wie ein höherer Herstellerrabatt. „Das wäre ein Instrument, das man für eine Übergangszeit einsetzen kann, bis die Strukturreformen greifen.“ Auch ein Globalbudget wäre für ihn denkbar „als Ultima Ratio“, wenngleich er sich nicht sicher ist, ob ein solches Budget „schon der Weisheit letzter Schluss ist“.
Hubmann fordert: „Wir müssen ehrlich mit der Bevölkerung sprechen. Es ist ein Fortschritt, was bei Mukoviszidose passiert ist – aber wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wollen und können wir uns das leisten?“ Für ihn ist klar: „Innovation ja – aber mit Augenmaß und Steuerung.“
📚 Schulfach Gesundheit: „Nicht ob, sondern wie!“
Gipel des Gesprächs: Storms Forderung nach einem Schulfach Gesundheit. „Unsere Gesundheitsbildung ist erschreckend niedrig. Wir sind in Europa ganz hinten.“ Die Jugendlichen müssten lernen, „mündig und kompetent im Gesundheitswesen zu agieren“. Und: „Ein Projekttag reicht nicht. Das Thema gehört systematisch in den Unterricht.“
Hubmann sieht das genauso: „Wir müssen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung steigern – und das fängt im Kindesalter an.“ Er warnt: „Was wir heute nicht tun, fällt uns in 15 Jahren doppelt auf die Füße.“
🤝 Ein Schulterschluss mit Signalwirkung
Am Ende steht das Signal: Kassen und Ärzteschaft können an einem Strang ziehen. Storm: „Wir brauchen einen Schulterschluss der Ministerien – und wenn Herr Hubmann und ich helfen können, tun wir das gern.“ Hubmann ergänzt: „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Es geht um die Zukunft unserer Kinder – und um die unserer Demokratie.“ (Länge: 32:51 Minuten)